Rip It! heißt eine Veranstaltungsreihe des Theaters Freiburg rund um das Thema Geschlechterbilder. Daniel Wang, Disco-Conaisseur aus Berlin, spielt zum Auftakt in der Passage46. Ob man als weißer Heterosexueller zu queerer Musik tanzen darf:
Daniel, die Red Bull Music Academy bezeichnet dich als ‚disco professor’. Was wirst du den Gästen in der Passage46 beibringen?
[lacht]Die Red Bull Music Academy hat sich da einen kleinen Scherz erlaubt. Ich bin ja Disc Jockey und kein Professor. Deshalb halte ich keine Vorlesung, wie man es von der Uni her kennt. Ich lege Schallplatten auf und zeige, dass Tanzmusik vielmehr sein kann als Loops, die an einem Laptop arrangiert und von einem Laptop abgespielt werden. Ich betreibe da aber keine Wissenschaft. Bei mir geht das Lernen über das Fühlen und Genießen.Du legst seit über 20 Jahren auf. Worin liegt für dich der Zauber von Tanzmusik?
Tanzmusik, ob Disco, Italo oder House, hat ihre Wurzeln zumeist in den Kulturen der Schwarzamerikaner und in der Schwulenbewegung der Sechziger bis Achtziger Jahre. Sie ist fest mit diesen Alternativkulturen verbunden, die für Toleranz und Offenheit stehen. Andererseits hat für mich Musik nicht wirklich etwas mit politischen Hintergründen zu tun. Der Zauber der Musik ist in den Rhythmen und Akkorden selbst zu finden. Es gibt Stücke, die ganz toll, gespielt, gesungen, arrangiert und produziert wurden. Insoweit ist der Zauber etwas Universelles. Etwas, das jeder erleben kann und soll. Da braucht es auch nicht unbedingt eine intellektuelle Rechtfertigung.
Daniel Wangs Handy klingelt. Ein Freund ruft an. „Gib mir eine Minute. Buchstäblich“, sagt er und lacht. Es ist ein offenherziges Lachen. Es klingt so vertraut, als kennten wir uns seit Jahren. Ich stelle den Timer. 3, 2, 1. Ich rufe ihn wieder an. „Good timing“, sagt er.
Darf man denn als weißer Heterosexueller diese Musik auflegen und zu ihr tanzen?
Natürlich. Diese Musik ist auch für alle Menschen da, die weder afroamerikanischer Abstammung noch homosexuell sind. Ich bin ja schließlich selber einer der unwahrscheinlichsten Kandidaten als Disc Jockey. Ich bin offen schwul. Aber wie viele Kinder von chinesischen Einwanderern in den USA oder Europa machen so was?
Welche Rolle spielen dabei Geschlecht, soziale Herkunft und Abstammung?
Überhaupt keine. Vor einigen Jahren habe ich in einem Club in Berlin aufgelegt. Sie haben mir erzählt, dass sie in Marzahn und Köpenick aufgewachsen sind. Sie waren deutsch, aber sie haben getanzt wie Old-Skool Streetdancers aus der Bronx oder Brooklyn.
Wie schwer ist es eigentlich für dich, aufzulegen und ans Mischpult gefesselt zu sein?
[lacht]Eigentlich ist das sehr leicht. Ich tanze die ganze Zeit selber. Wenn ein Disc Jockey statisch bleibt, finde ich das kritisch. Ich habe da oft den Eindruck, dass die Musik nicht zu ihm spricht. Dieser Eindruck hat sich in den vergangenen Jahren noch verschärft. Disc Jockeys sind zu Datenverwaltern geworden. Du weißt, was ich meine.Ja. Die Vinyl-vs.-MP3-Debatte. Lassen wir die für heute. Angenommen, du dürftest nur einen einzigen Song auflegen und danach wäre für immer Stille: Welcher Song wäre das?
Huh! Oh! Das geht nicht. Spontan würde ich „Backtrackin’“ von Illusion Orchestra wählen. Dieses Stück lief vorhin bei mir. Wobei. Halt. Nein. Ich darf mich anders entscheiden. Ich würde „Souvenirs“ von Voyage spielen. Dieser Song vermittelt ein Gefühl von Unendlichkeit. So soll Tanzmusik sein. Das waren jetzt zwei. Trotzdem okay?
<iframe width=”420″ height=”315″ src=”//www.youtube.com/embed/rZTySRIscCI” frameborder=”0″ allowfullscreen></iframe>
Wang kommt ins Schwärmen. Mit jeder Platte, über die er spricht, verbindet er ein Ereignis aus seinem Leben. Er ist in San Francisco als Sohn chinesischer Einwanderer geboren, wuchs auf Taiwan und in Chicago auf, lebte dann in New York, seit 2003 in Berlin.
Wann und wo hast du dieses Gefühl zum ersten Mal erlebt?
Das war mit 13 auf Taiwan. Die Partys fanden damals in illegalen Diskotheken statt, die zum Beispiel in verlassenen Bürohäusern untergebracht waren. Die Disc Jockeys spielten Madonna, Freeez, Hi-NRG-Platten wie Hazell Dean und Miquel Brown. Am Wochenende nach Silvester war ich in der Panoramabar. Da haben die Disc Jockeys genau dieselben Platten gespielt. Das Publikum flippte aus. Es war einfach toll.
Und heute?
Ausgehen, auflegen und feiern ist bei mir immer mit diesem Gefühl positiver Aufregung verbunden. Ein geiler Rhythmus bleibt halt ein geiler Rhythmus.
Wolltest du damals sofort Disc Jockey werden?
Als Kind wollte ich immer Schriftsteller werden. Ich wollte Kurzgeschichten und lange Romane verfassen. Doch ich wuchs in einem Umfeld auf, das für Kunst nicht sehr offen war. Meine Mutter war Lehrerin, mein Vater Ingenieur. Beide haben hart gearbeitet. Nach dem Abitur habe ich mich sogar für ein Ingenieursstudium eingeschrieben, um der Familie zu genügen. Dann aber sattelte ich schnell auf Literatur und Psychologie um.
Nahezu zeitgleich gründete Wang sein Liebhaberlabel Balihu, veröffentlichte Platten auf Environ und Playhouse. 2009 widmete ihm das Amsterdamer Label Rush Hour eine Werkschau.
Du hast zwar keine Bücher geschrieben, dafür jede Menge poetische Platten produziert. Wie fühlen sich diese Stücke heute für dich an?
Oh. Wow. Ich habe eine sehr lange Pause gemacht und in den vergangenen Jahren viel dazugelernt. Deshalb denke ich, dass ich in der Vergangenheit gute Momente beim Produzieren hatte. Aber ich hoffe, dass ich in den nächsten Jahren noch etwas Besseres veröffentlichen werde.
PASSAGE46 | Freiburg | Daniel Wang | Donnerstag, 2. Januar, 22 Uhr
Weiterführende Links:
Facebook: Daniel Wang
Twitter: Daniel Wang
Soundcloud: Tim Sweeney – Balihu Records Mega Mix
As You Like It: Interview mit Daniel Wang (2013)
Resident Advisor: Playing Favourites: Daniel Wang (2008)
Fact: Interview mit Daniel Wang (2009)
[Dieses Interview erschien auch im Freiburger Onlinemagazin fudder.de; Auszüge davon auch auf bz-ticket.de]