Jetzt schon Altweibersommer? Mir egal, ich liebe die derzeitige angenehme Wärme tagsüber, die doch recht frischen Nächte; das Licht und die Stimmung eines Hochsommertages über Mittag, die länger werdenden Schatten und den Hauch von Herbst am Abend; geniesse den kurzen Weg über den bunten und geschäftigen Bauernmarkt auf dem Münsterplatz sowie die ersten Gläser Krätzer (Neuer Süsser oder Federweisser). Die Stadt, in der ich derzeit lebe, kann so wunderschön sein, und dennoch wird das Gesamtbild regelmässig leicht getrübt durch Begebenheiten wie diese:
Gestern Vormittag fuhr ich mit der Strassenbahn in Richtung Stadtmitte, als an einer Haltestelle eine rüstig agile Dame einstieg. Dunkelblauer Faltenrock, weisse Bluse, Biedermeierbrosche, das grau-glänzende Haar zu einem Knoten geformt, in der Hand die ebenfalls dunkelblaue Strickjacke sowie eine Handtasche aus dunkelbraunem Leder in Knautschbeuteloptik. Sie setzte sich mit gegenüber, musterte mich für ein paar wenige Sekunden eindringlich, und meinte schliesslich: “Sone junge Maa wie Sie sott uff dr Arbeit sii und nit im Tram fahre.” Ausgeschlossen, ihr in einem Zeitraum von gerade einmal fünf Minuten die Möglichkeiten alternativer Lebensentwürfe fernab eines klassischen Nine To Five-Jobs, teils selbst gewählt, teils den derzeitigen Umständen geschuldet, zu erklären. Denn kaum, dass ich zu einem “Gute Frau, wissen Sie,…” ansetzen konnte, tönte es von ihrer Seite, den Stolz kaum verbergend: “Mis Änkeli het e Usbildig gmacht und schafft itz bi dr Stadtverwaltig. De isch kei vo dene, wo…“
Jaja, ihr Enkelkind hat wahrscheinlich in diesem Sommer seine Ausbildung zum Verwaltungssachbearbeiterassistenten als Jahrgangsbester und mit Auszeichung abgeschlossen, wurde von der Stadt Freiburg übernommen und sitzt jetzt, noch übereifrig und stark arbeitsbedürftig (in einem Jahr sieht’s anders aus) irgendwo in diesem grässlichen Haus am Fahnenbergplatz (oder wo immer sich “die” Stadtverwaltung niedergelassen hat), stellt (Abfall-)Gebührenbescheide aus, sortiert Akten aus Ordner D.135-A bis D.135-G in Ordner M.152-A1 bis M.152-A4, kocht zwischendurch Kaffee und bringt seinen langjährig erfahrenen Mitstreiterinnen immer als erstes eine Tasse. Wahrscheinlich zählt ihr Enkelkind auch zu den Freiburgern, die einen mit vor Staunen starren Gesichtszügen und weit aufgerissenen Augen anglotzen, wenn man sich über Mittag etwas halbwegs Essbares bei einem der zahlreichen chinesischen Schnellimbiss-Restaurants oder dem kleinen Inder (ausgesprochen lecker; liegt in der Kaiser-Josef-Strasse, in Richtung Friedrichsbau-Kino – wo sonst, das Freiburger Stadtleben findet doch fast ausschliesslich auf dieser Achse statt) abholt und es im Freien, auf den Treppenstufen am Augustinerplatz, am Stadttheater oder sonst irgendwo verzehrt. Ach je…!
Wie gestern. Da war ich bei diesem kleinen Inder, holte mir etwas in Richtung “vegetable biryani” ab. Kaum dass ich wieder aus der engen, überhitzten Garküche ins Freie getreten war und mich in Richtung Augustinerplatz aufmachte, hörte ich, wie sich hinter mir ein Mann und eine Frau über mich und mein Lunchpaket unterhielten. “He jo, d’ Studente hen halt Ziit, sich über Mittag no in d’Sonne z’lege. Grossi Sprüch klopfe, aber nix schaffe. Kai Wunder…” Diese südbadisch kleinbürgerlich-kleingeistige Geisteshaltung, immer alles und jeden kommentieren und bewerten zu müssen, der sich nur ansatzweise von der eigenen Mein Haus-Mein Auto-Mein Weiss Gott Was-Vorstellung unterscheidet, geht mir manchmal wirklich sehr auf die Nerven!
Wenigstens schmeckte das Essen. Ich war angenehm überrascht, dass das Gericht u.a. auch mit Okra zubereitet war. Diese grünen Schoten mag ich sehr. Genauso wie einen Blog, der sich in seinem Titel ganz diesem Gemüse verschrieben hat. Auf “I Love Okra“, so heisst dieser Blog, veröffentlicht ein gewisser Matt aus Effland, North Carolina (USA), seit Dezember 2006 in sehr regelmässigen Abständen überaus hochwertige, stilistisch keine Grenzen kennende Mixe. Auf die Plattenteller kommen ihm House, Techno, Disco, experimentelle elektronischer Musik, Jazz, Soul und Funk. Seit Jahren sind seine Mixe fester Bestandteil meines mp3-Players, und ich hoffe, er aktualisiert seinen Blog noch sehr, sehr lange. Matt, you rock!
Hier geht’s zum Blog: http://iloveokra.blogspot.com/.