Rainer Trüby und 20 Jahre Root Down – Porträt und Erinnerungen

Das Who Is Who der Downbeat- und House-Szene hat bei Rainer Trübys Clubnacht Root Down gespielt: Peter Kruder, Richard Dorfmeister, Âme, Henrik Schwarz. Am Samstag ist es 20 Jahre her, dass der Freiburger Discjockey zum ersten Mal zu Root Down ins Waldsee eingeladen hat.Movie Fifty Shades Darker (2017)

Rainer Trüby steht im Keller seines Hauses. Er legt eine Platte auf. Shuffle-Beats, Percussion, lateinamerikanische Instrumentals und ein kavernenartig tiefer Bass erfüllen den Raum. Das Stück heißt „Root Down“. Produziert hat es der österreichische Produzent und Discjockey Peter Kruder vor rund siebzehn Jahren. Es heißt so, wie Rainer Trübys Clubnacht. Am Samstag ist es zwanzig Jahre her, dass er und sein Veranstaltungspartner Jürgen Oschwald dazu erstmals ins Waldsee eingeladen haben. Einen eigenen Song haben sonst nur Clubs wie die Paradise Garage in New York, das Warehouse in Chicago oder das Berghain in Berlin bekommen. Die Legendären. Kann Trübys „Root Down“ da mithalten?

Abschalten und Spaß haben. Sich verlieren und verlieben. Musik, Rausch, Liebe. Das treibt Menschen an, auf Partys zu gehen, zu feiern und zu tanzen. Verantwortlich für den symphonischen Soundtrack dieses Treibens ist seit jeher der Discjockey. Seine Plattenauswahl und Mixkünste. Was passiert, wenn dieser die Hörgewohnheiten seines Publikums auf den Prüfstand stellt, kann man Woche für Woche beobachten. Körperliche und verbale Reaktionen lassen nicht lange auf sich warten. Manche schütteln angewidert den Kopf, schimpfen, verlassen den Club. Andere lassen sich ansprechen, begeistern – und feiern.

Letzteres geschah auch in einer Januarnacht im Jahr 1996. Damals spielte der 23 Jahre alte Rainer Trüby zum ersten Mal im Waldsee. Kurz zuvor hatte der Drifter’s Club die Zusammenarbeit mit ihm beendet. Der gebürtige Wernauer war ohne Ort für seinen Clubsound, eine Mischung aus Disco, Soul, Funk, Jazz sowie deren Rezeption in Genres wie sowie deren Rezeption in Genres wie Acid Jazz, Broken Beats und Drum and Bass. Oder: „from jazz to jungle from bebop to triphop from latin to soul“. So stand es auf dem ersten Flyer, den eine Frau mit Prinz Eisenherz-Frisur ziert. Das Motiv ist bekannt.

„Ich habe mein Publikum in den ersten Jahren ab und zu strapaziert. Auf BPM-Zahlen habe ich nicht geachtet, auf glatte Übergänge auch nicht. House war noch ein Schimpfwort“, sagt Rainer Trüby. Er lacht, kniet sich vor sein Plattenregal hin, zieht Soul-Siebenzöller und einseitig gepresste Drum and Bass-Singles raus. Sowieso Drum and Bass. Dieser britische Schnelltanzsound war lange Zeit fester Bestandteil in seinen Sets, gerne eingefärbt mit swingenden Bossa-Melodien und Samba-Patterns. Schwer in einen Mix zu bekommen, doch das Publikum ist geblieben. Bis heute.

[soundcloud url=”https://api.soundcloud.com/tracks/98518046″ params=”visual=true&color=ff5500&auto_play=false&hide_related=false&show_comments=true&show_user=true&show_reposts=false” width=”100%” height=”166″ iframe=”true” /]

„Jürgen von Knoblauch hatte ein Händchen für sogenannte Brückenplatten. Stücke, die den Flow nicht zerstören und mit denen man sich in die eine oder andere musikalische Richtung bewegen kann. So konnte man auch einen Genrewechsel verkraften“, erinnert sich Trüby.

Diese Beats. US-Ostküste. Hood-Hinterhof-Charme. „Studiere die großen, die vor dir waren“, hat der HipHop-Produzent DJ Premier einmal gesagt. Genau so klingt der Groove. Produziert hat die Platte, die Rainer Trüby jetzt spielt, ein Premier-Zeitgenosse. Kenny „Dope“ Gonzalez, eine Hälfte des DJ-Duos Masters At Work, dreimal für einen Grammy nominiert. Als lebende Beat-Enzyklopädie wird er beschrieben. Wie würden die Reaktionen auf den Tanzflächen ausfallen, spielte man seinen Lowdown-Mix des House-Klassikers „I Can’t Get No Sleep“?
Wieder mehr wagen, sich leichter zwischen den verschiedenen Genres hin und her bewegen – das hat sich Rainer Trüby auch für seine DJ-Sets vorgenommen. Dass der heute 43-Jährige auf der Höhe der Zeit geblieben ist, zeigen ein Blick nach Amsterdam, in das Umfeld des Plattenladens Rush Hour und des Red Light Radios, sowie nach Berlin. Dort hat sich in den vergangenen Jahren eine aktive Freistil-Szene entwickeln können, genährt von Plattenläden wie Oye Records, von Produzenten und Discjockeys wie Max Graef, Glenn Astro, Delfonic, um die bekanntesten zu nennen.

DJ Die aus Bristol, DJ Yellow aus Paris, die Österreicher Peter Kruder und Richard Dorfmeister, der Schwede Mad Mats, heute Inhaber des House-Labels Local Talk, Michael Rütten und Jazzanovas Alexander Barck, damals unter einem Pseudonym, das er heute nicht mehr lesen möchte, und immer wieder Gilles Peterson: Die Gast-DJs der ersten drei Jahre lesen sich wie ein Who Is Who der Downbeat- und Freistilszene.

„Gilles Peterson ist der einzige, der zum Mikrofon greifen und Stücke in Radiomanier anmoderieren darf“, sagt Trüby. Das stimmt so nicht ganz. „Wenn Rainer ein Glas Weißwein zu viel getrunken hat, macht er das auch gerne.“ Jürgen Oschwald schaut Rainer Trüby herausfordernd an. Der 46 Jahre bildende Künstler und Grafikdesigner frotzelt ihn freundschaftlich. Oschwald war von Anfang an bei Root Down mit dabei und kümmert sich auch heute noch um die Dekoration. „Meistens am Tag vor der Party, ich brauche den Druck“, sagt er und lacht.

In den Anfangsjahren von Root Down hat Oschwald den Clubraum des Waldsee mit Zeltplanen und Flächentarn eingekleidet, Möbel ineinander gestapelt, alte Fernsehgeräte zwischen DJ-Pult und Bar aufgestellt. „Ich habe viel ausprobiert. Das Waldsee war mein Experimentierort für meine Kunst“, sagt er. Auch um das Design der Flyer kümmert er sich noch heute. Zeigen sie weibliche Körper, sorgen sie regelmäßig für Diskussionen. Dann wird er als Sexist bezeichnet. „Rainer Trübys Musik ist hot, anspruchsvoll, das darf dann auch der Flyer wiedergeben. Außerdem mag ich es, auch einmal zu polarisieren.“ Wie Trüby als Discjockey machte und macht Oschwald, worauf er Lust hat. So auch Christian Schliesser, der sich nachwievor um die Video-Installationen kümmert. Zu den bekanntesten zählt der Schriftzug „Heute keine Deko“, der während einer Root Down-Nacht über die Bildschirme flimmerte.

Warm und körpervoll klingt die Stimme. Sie singt über Seeleute und Prostituierte, deren Kleidung für ein ganz bestimmtes körperliches Vergnügen steht. „Sealine Woman, dressed in red, make a man, lose his head.“ Nina Simones Adaption eines Südstaaten-Hafenlieds aus dem 19. Jahrhundert. Im Remix von Kerri Chandler und Jerome Sydenham. House.

„Mit den Jahren habe ich gefallen gefunden, den Soul und Funk in hypnotischeren Genres zu finden“, sagt Trüby. Die Melancholie dieser Platte transportiert auch ein Gefühl, das bei ihm und Oschwald mit Blick auf das abgelaufene Jahr aufkommt. Im März 2015 zogen sie mit der Root Down in die Passage46 in der Freiburger Innenstadt. Doch dieser Club musste wenige Monate später Insolvenz anmelden. Für eine Zeitlang sah es so aus, als ob die Grande Dame des Freiburger Nachtlebens den runden Geburtstag nicht erleben sollte. Wie vor zwanzig Jahren standen sie ohne Club da für ihre Musik. Oschwald wollte hinschmeißen, Trüby ließ sich nicht entmutigen.

Wieder sprachen sie im Waldsee vor, an dem einst der Jazzmusiker Sun Ra mit den Bäumen sprach, an dem sie Legendäres schufen. Schließt sich eine Tür, öffnet sich eine andere. So ausgelutscht dieser Spruch sein mag: Auf Rainer Trüby und seine Partyreihe Root Down trifft er zu. Mit Nacho Velasco und Patrick Jahn an den Plattenspielern blickt Rainer Trüby an diesem Samstag auf diese Zeit zurück – und stößt auf zukünftige Clubnächte an. Wo immer die dann stattfinden werden.

[soundcloud url=”https://api.soundcloud.com/tracks/263389812″ params=”visual=true&color=ff5500&auto_play=false&hide_related=false&show_comments=true&show_user=true&show_reposts=false” width=”100%” height=”166″ iframe=”true” /]

Was: 20 Jahre Root Down w/ Nacho Velasco, Patrick Jahn, Rainer Trüby
Wann: Samstag, 30. Januar 2016, 22 Uhr
Wo: Waldsee, Freiburg

[Dieser Beitrag erschien am Freitag, 29. Januar 2016, im Freiburger Onlinemagazin fudder.de]

Nach oben scrollen