Hippiekind, Punk, Anschieber der deutschen Techno-Szene: Am heutigen Mittwochabend kommt Westbam in die Passage46, liest aus seinem Buch “Die Macht der Nacht” und stellt sich den Publikumsfragen zum Thema Clubkultur.
Es gehört zu den wesenseigenen Merkmalen einer Clubnacht, dass sie die Wirklichkeit verfremdet und verzerrt. Das diffuse, in Dunkelheit übergehende Licht zeichnet die Konturen weich. Grenzen verwischen. So provoziert die Nacht Irritationen und bietet Gedanken und Träumen einen Freiraum. Die schöne Frau an der Bar ist eigentlich ein Kerl. Der schlanke, knabenhafte Körper, der scheinbar schwerelos über die Tanzfläche gleitet, gehört zu einer Frau. Le Garçon, la Garçonne. Geschlechteridentitäten spielen keine Rolle.
Die Nacht beschönigt. Die Nacht übertreibt. Die letzte Party war die beste überhaupt. Das kommende Wochenende wird noch viel besser. Sie kaschiert die Realität, denn eigentlich war alles Scheiße. Die Musik, die Menschen, der Alkohol, die Drogen. Ignorance du vrai. So kommt es, dass der Zeitkreislauf eines Partylebens immer wieder Dinge hervorbringt, die längst vergessen schienen. Der Ex, die Ex, ein Dealer, der einen über’n Tisch gezogen hat, einstige Studienfreunde aus der Hochschulzeit und Berufskollegen, die ihrer verlorenen Jugend hinterher hecheln.
Manchmal beinhalten die Begegnungen ein weitaus weniger dramaturgisches Potenzial. Das kann zum Beispiel eine Platte sein, die ein Disc Jockey zu später Stunde spielt. Ein Tanzflächenhit vergangener Tage. In manchen DJ-Kreisen – und somit bei manchen Clubgängern – erfährt gerade “Oldschool, Baby” von Nena und Westbam seinen zweiten oder dritten Frühling. Die Smallpeople (Julius Steinhoff & Dionne) und Gerd Janson haben gerade Remixe davon angefertigt. Sie erscheinen auf einem Kleinstlabel, das Fuck Reality heißt. Ein passender Name. Am schönsten ist vielleicht immer noch der Piano Mix. Dieser Bass. Diese Akkorde. Euphorie. Ein Stück, zu dem man schon einmal einen Fremden oder eine Fremde auf der Tanzfläche knutschen kann.
Nena. Die kennt man. 55 ist die wohl bekannteste Tochter der Stadt Hagen in diesem März geworden. Wenn sie “Willst du mit mir gehen” singt, möchte man trotzdem sofort mit “Ja” antworten. Und Westbam? Den kennt man auch. Eigentlich.
Wer mit dem Namen Westbam sofort etwas anfangen kann oder gar ein persönliches Erlebnis verbindet, ist meistens schon etwas älter. Vielleicht schon zu alt, um noch ausgehen zu können, zu dürfen. Der Typ, der immer etwas unbeteiligt am Tanzflächenrand steht. Der Typ, der irgendwie alle Disc Jockeys kennt, auch die jungen. Denn er war ja schon vor ihnen da – und er wird auch nach ihnen sein, wenn sie ihr Studium abgeschlossen haben, ihr erstes Kind getauft wurde, die Scheidungspapiere unterzeichnet sind.
So ein Typ könnte auch dieser Westbam sein. Doch der Mann, 1965 als Maximilian Lenz geboren, hat eine Aufgabe, die einen festen Platz verlangt. Seit rund dreißig Jahren ist dieser “hinter den Plattentellern”, was ihm heute noch erlaubt, “ein bisschen länger [zu]bleiben, ohne [sich]zum Affen zu machen, wie er in einem Interview mit der Welt sagt. Lenz ist im Verlauf seines Lebens oft “ein bisschen länger” auf einer Party geblieben. Der Münsteraner, Kind von Hippie-Eltern, gehört zu den Anschiebern der deutschen Techno- und Ravebewegung. Zeitverlorenheit ist ihr immanent.
In seiner Jugend nannte er sich noch Frank Xerox, spielte Bass und Synthesizer und gründete mit vierzehn Jahren die New Wave- und EBM-Band Anormal Null. Die löste sich schnell auf, Lenz legte mit Kriegsschauplatz nach und spielte Anfang der achtziger Jahre in Musikkellern und auf Festivals in Berlin vor Bands wie den Einstürzenden Neubauten und der Tödlichen Doris. Eine Musik, die in ihrer Schroffheit nahe dran war an dem Sound, der zeitgleich in den Kellern von Chicago und Detroit entstand. Eine Musik, die vielleicht auch nur dort gut klingt.
Doch Lenz, der sich aus einer Verehrungshaltung vor dem großen New Yorker HipHop- und Turntablilsm-Pionier Afrika Bambaataa bald West(falia)Bam(baataa) nennen sollte, hat diese Musik aus der Dunkelheit ins Tageslicht geführt, auf die Straße (Love Parade) und in große Messehallen (MayDay) – und damit verblasste vielleicht auch ein wenig ihr ästhetisches Potenzial.
So kritisch betrachtet Lenz das in seiner Autobiografie, die er im März diesen Jahres unter dem Titel “Die Macht der Nacht” veröffentlicht hat, allerdings nicht. Er konzentriert sich darin vor allem auf sein Leben voller Wahnsinnserfahrungen und Augenblicke, die den Zeitkreislauf durchbrechen. Noch zur Zeit des Kalten Krieges hat er in Riga aufgelegt, das Goethe Institut schickt ihn als deutschen Kulturbeitrag zu den Olympischen Sommerspielen ins koreanische Seoul (1988), remixt Yello, Moby und den Wu-Tang Clan. Lil Wayne, Kanye West und Joy Divisions Bernard Sumner sind nur drei von zahlreichen Gastmusikern, mit denen er für sein Album “Götterstraße” (2013) ins Studio gegangen ist. Kendrick Lamar wird einer der Produzenten sein, mit dem er Hand an Stücke für ein neues Album legt.
“Die Macht der Nacht” ist ein wilder, schriller, lauter Trip, sprachlich und inhaltlich. Lenz jagt von ersten DJ-Jobs zu großen Raves, von ersten Gehversuchen als Produzent zu seinen Hits (“Bam Bam Bam”, “We’ll Never Stop Living This Way”), von Musikrausch zu Drogenrausch und dem bisweilen schmerzhaften Erwachen am darauffolgenden Tag. Da beschönigt Lenz nichts. Da übertreibt er nicht. Am Ende des Buchs weiß der Leser vor allem zwei Dinge: Es war tatsächlich so – und die Nacht ist eine Droge. Eine harte, schöne Droge.
Freiburg, Westbam – Lesung & Club Talk, Passage 46, Mi, 20. Mai, 20 Uhr
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[Dieser Beitrag erschien auch im Freiburger Onlinemagazin fudder.de]