Familienzusammenkünfte. Einerseits Grund zur (Vor-)Freude. Denn unter den vielen Nah- und Fernverwandten gibt es ja immer wieder einige, mit denen man’s wenigstens für die Dauer eines Treffens kann. Oder man freut sich tatsächlich auf sie. Soll auch vorkommen. Andererseits ist so ein “gathering” Grund und Anlass genug, im Visitenkartenmäppchen nach der Karte des Psychotherapeuten oder Gesprächstherapeuten von vor fünf, sechs Jahren zu suchen, um schnellstmöglich einen Termin zu vereinbaren. Denn man kann im Vorfeld dieser Veranstaltung kaum mehr schlafen – biblische Zitate wie “lass diesen Kelch an mir vorübergehen” laufen vor dem inneren Auge hoch und runter. Klar geht der Kelch an einem vorüber. Doch gezeichnet geht man dennoch aus so einer Familienzusammenkunft hervor.
Grund? Man sitzt neben dem “falschen” Familienmitglied. Weil man zu spät an dem vereinbarten Treffpunkt ankommt. Weil man von Cousine No. 7 in Beschlag genommen wird, die einem von ihren ganz, ganz tollen Erlebnissen des letzten halben Jahrzehnts erzählt. Weil der Gastgeber einen bewusst neben sich platziert hat, um einen die ganze Zeit des Essens über mit Fragen zu löchern, die im engeren Familienkreis längst tabu geworden sind. Also Fragen nach dem äusseren Erscheinungsbild, dem Fortgang des Studiums, dem erfolgreichen Abschneiden in demselben, dem Job, dem monatlichen Einkommen, warum man sich schon wieder von seiner Freundin getrennt hat, ob man überhaupt zu einer Beziehung in der Lage ist, und so weiter. Ganz beliebt beim Fragesteller, hoch gefürchtet beim jeweiligen Adressaten, ist folgendes Intro: “Und, was machst du so?” Wahlweise betont der Fragesteller “was”, “machst”, “du” oder “so” unterschiedlich intensiv, je nachdem, was für Informationen er aus einem herauskitzeln möchte oder in welche missliche Lage er einen hineinreiten möchte. Solche Zusammenkünfte nehmen in der Regel ein schlimmes Ende. Überfressen, hemmungslos betrinken, im Vollrausch mit Cousine No. 4 knutschen, und so weiter.
Wie auch immer. Langer Exkurs. Ein Familientreffen, das jedenfalls für mich keinen “Horror” mit sich bringt, ist die neue 12″ auf dem Leipziger Label Kann Records. Sie ist eine kleine Künstlerschau und hat (fast schon) Longplayer-Charakter. Denn auf ihr versammelt sind zum einen der ganz enge Kern der Familie mit Sevensol, Bender, Map.ache und Johannes Beck, die von Anbeginn – Various Artists – Kann 00 – dabei sind. Mit den Jahren hat diese Familie Nach- und Zuwachs bekommen. Sie ist grösser geworden, beziehungsweise hat das Label seine Fühler ausgestreckt nach weiteren DJs / Produzenten, die man für würdig erachtet hat, in den Familienkreis aufzunehmen. Dazu zählen Even Tuell von Workshop Records, Dials Efdemin, Falke und die beiden Schweden Fabian Bruhn und Alexander Berg als Dorisburg. Alle sieben Tracks sind grossartig. Zwei davon, nämlich “Emotion” von Dorisburg und “Enola” von Map.ache konnte man vor gar nicht allzu langer Zeit im Kannpod03 – Snotty Nose, zusammengestellt, eingespielt und aufgezeichnet von Bender, anhören. Mit diesem Podcast lässt sich im übrigen auch die Zeit bis zur Veröffentlichung der (Doppel-)EP sehr gut überbrücken.
English (short) version: family gathering at Kann Records. The only horror is, to miss it!
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