Mathilda. In der Literatur der Deutschen Romantik ist Mathilda eine zwischen Kindheit und Jugend stehende Mädchenfigur in Friedrich von Hardenbergs (Novalis) Bildungs- und Erziehungsroman “Heinrich von Ofterdingen”. Der Leser erfährt sie, Mathilda, als Sehnsuchtsobjekt des titelgebenden Helden, Heinrich von Ofterdingen. Sie offenbart sich ihm mehrmals im Traum, im Topos der Blauen Blume, und steht somit sinnbildlich für Reinheit, sittliche Ideale, Treue, Liebe, aber auch für die Welt der Poesie und der Kunst im Allgemeinen.
Ob und inwieweit der spanische DJ und Produzent (John) Talabot, dem jüngst ein Breaking Through-Feature auf Residentadvisor gewidmet wurde, sich davon hat beeinflussen lassen, bleibt höchste Spekulation. Ein irgendwie gearteter äusserer oder innerer Zusammenhang zwischen dem Werk der Literatur und der 12″ des Spaniers auf Permanent Vacation erscheint zu konstruiert.
Fest steht jedoch: beiden, Dichter wie Produzent gleichermassen, ist eigen eine poetische Ausdruckskraft, die ihren Werken eine traumwandlerische Schönheit verleiht. Geradezu süchtig macht, sowohl bei Friedrich von Hardenberg / Novalis als auch bei Talabot – die Spannung zwischen jugendlich unbeschwerten Momenten und einer melancholischen Trauer, vielleicht gerade über den Verlust der Unbekümmertheit.
Auf “My Old School“, seiner Vorgängerveröffentlichung auf dem Münchener Elektronika-Disco-Imprint Permanent Vacation sowie “Sunshine” auf Hivern Disc lieferte er im Vorjahr zwei – nun ja, ich lehne mich einmal ein wenig weiter zum Fenster hinaus – Blaupausen für den Spätnuller Balearic Sound aus akustischen Gitarren, Disco Dub- und afrikanischen Ethno-Elementen sowie einem ordentlichen Schöpfer aus dem Schmalztopf abgeliefert. Dass mit diesen beiden EPs die Messlatte für jede nachfolgende 12″ hoch lag, versteht sich von selbst.
Mit “Matilda’s Dream” zementiert (John) Talabot ein weiteres Mal seinen Rang als hochbegabter, mit brillianter Kreativität ausgestatteter Produzent. Mit dem Original schickt er den Hörer / Clubgänger / DJ auf eine wahre Astralreise. Schon mit den ersten Takten glaubt man, seinen Körper zu verlassen, was ich einmal auf den hypnotisierenden Effekt von seinem metallisch klingenden Drumgerüst, der raumgreifenden, sich dennoch behutsam bewegenden Acid Synth-Line und den gebrochenen (triolisch gespielten?) Akkorden zurückführe.
Und weil ich’s eingangs schon mit deutscher Literatur hatte, komme ich nicht umhin, an dieser Stelle ein weiteres Mal einen Dichter und Denker der Deutschen Romantik zu zitieren. Es handelt sich dabei um Friedrich Hölderlin, der den Protagonisten in Hyperion folgende Worte sprechen lässt: “Und wenn mich oft um Mitternacht das heisse Herz in den Garten hinuntertrieb unter die thauigen Bäume, und der Wiegengesang des Quells und die liebliche Luft und das Mondlicht meinen Sinn besänftigte, und so frei und friedlich über mir die silbernen Gewölke sich regten, und aus der Ferne mir die verhallende Stimme der Meeresfluth tönte, wie freundlich spielten da mit meinem Herzen all’ die großen Phantome seiner Liebe!” Ich finde, diese Stelle passt sehr gut auf diesen Track.
Matilda’s Dream by John Talabot
Auf der B-Seite begegnen uns zum einen “La Ninya” in der Afrodub Version – hypnotischer Grundrhythmus, gitarrenlastig, zahlreiche Clap- und Perkussions- und Drum-Elemente, insgesamt heller, offener, sich zum Licht hinwendend. Ausserdem wartet die EP mit einem Remix von “Matilda’s Dream” auf. Für diesen steht der New Yorker Mann von Runaway und DFA, Jacques Renault, gerade, der diese epische Hymne mit seinem bestechenden Cosmic Disco-sleaze überzieht. Wahnsinns EP!
La Ninya (Afrodub version) by John Talabot
English (short) version: epic 12″ by spanish DJ and producer (John) Talabot, delivering two dreamy, floating soundscapes blending deep house and cosmic disco together. On the flip, there’s a remix by New York based cosmic master Jacques Renault. Massive!
Mehr im Web:
John Talabot @ MySpace
Jacques Renault @ MySpace
Permanent Vacation
John Talabot – Mix @ Hivern Disc