Shift Festival 2009 – ein kleiner Nachtrag (Teil 1)

Das Shiftfestival – Festival der elektronischen Künste ging am vergangenen Wochenende in seine dritte Runde. Wie schon in den beiden vergangenen Jahren fand es auch dieses Jahr wieder auf dem Dreispitzareal und erstmals auch im Schaulager in Basel-Münchenstein statt, und zwar von Donnerstag, den 22. Oktober 2009, bis einschliesslich Sonntag, den 25. Oktober.

Das diesjährige Motto lautete „MAGIC – Übersinnlichkeitsvermutungen und Technologiebeschwörung“, zu diesem eine Vielzahl Kunst- und Medienschaffender, Newcomer genauso wie sogenannte High Professionals, ihre Schaffenswerke einer grossen Öffentlichkeit präsentieren konnten. Gleichzeitig hatten die Festivalbesucher die Möglichkeit, in den experimentellen Prozess ihrer Arbeit, ob Installation oder Live-Inszenierung, Einblick zu nehmen.

Hauptanziehungspunkt war jedoch auch in diesem Jahr das musikalische Rahmenprogramm. Dorit Chrysler eröffnete das Festival mit ihrem faszinierenden Theremin-Spiel. Immer wieder auf’s neue für mich erstaunlich, welche seltsamen Klangmuster diesem Instrument zu entlocken sind – melancholische, gedehnte Striche, kurze Staccati – und das für Aussenstehende scheinbar nur durch eine einfache Handbewegung in der Luft. Dorit Chrysler liess uns auf diesem Weg eine Dissonanz spüren, weniger auf musikalischer als auf der Ebene der Wahrnehmung.

Am zweiten Abend standen unter anderem Steve Reid & Kieran Hebden (Four Tet) auf dem Programm, auch die bunt schillernde Ebony Bones hatte ihre Stimmgewalt unter Beweis zu stellen, als DJs standen der norwegische Cosmic Disco-Papst Prins Thomas sowie die Basler Lokalmatadoren Pharao Black Magic auf dem Programm. Ein paar Eindrücke im Folgenden:

Geshuffelte Drums und Hi-Hats, Minimoog-Sounds, versehen mit sanften Dubs und Delays, unterlegt mit schroffen Gitarrenriffs, kraftvollen Bässen und in den Breaks sphärisch-metallische Klangwelten, die an balinesische Gamelan-Orchestrierungen erinnern, erfüllen die Konzerthalle. Der Jazzdrummer Steve Reid, der lange Jahre an der Seite von Miles Davis und Sun Ra gespielt hat, sowie der Brite Kieran Hebden (Four Tet) amalgamisieren in einem energetischen Live-Set Jazz und elektronische Musik. Welten begegnen sich. Auf den ersten Blick sind sie sich fremd. Doch nach einer Weile aufmerksamen Hörens merke ich, dass beide Musiken nur sehr wenig trennt, dass sie sich vielmehr in den unterschiedlichsten Kombinationen von Längen, Rhythmen sowie Harmonien begegnen, berühren, sich für eine kurze oder lange Zeit verzahnen, auch wenn ihr gemeinsamer Weg keineswegs linear ist.

Farbige Klänge schweben in der Luft, förmlich greifbar. Jedes Mal, wenn sie zu Boden fallen drohen, treibt sie Steve Reid mit seinen hochfrequenten Shuffles aufs Neue an, manchmal auch in die Gegenrichtung. Dort wartet Kieran Hebden mit kurzen Melodiefloskeln, mal zart und melancholisch, mal druckvoll und euphorisch, mal gedankenverloren, mal ausbrechend und lebensbejahend.

In diese teilweise bizarren Klangwelten möchte man abtauchen, sich verlieren und sich vielleicht dazu bewegen. Doch ein Grossteil des Publikums scheint resistent gegenüber dem Zauber dieser Musik. In kleinen Grüppchen stehen sie beisammen, in der einen Hand das Weinglas, in der anderen Hand die Zigarette, und unterhalten sich über die Geschehnisse des letzten Arbeitstags der Woche. Wenigstens haben sie sich einen gewissen Restanstand bewahrt und klatschen nach jedem Stück frenetisch Beifall, auch wenn es für mich nur wie ein Automatismus wirkt.
Abgelöst werden die beiden Ausnahmemusiker durch das Basler DJ-und Produzenten-Duo Pharao Black Magic. Mit ihrer Plattenauswahl aus vertrippt-psychedelischem Disco sowie hypnotisierend-schlurfenden House-Rhythmen setzen sie nahtlos am Groove von Steve Reid und Keiran Hebden an. Diese elegischen, düsteren Klangsphären, dieser hypnotisierend verschraubte Beat, diese Stimme – es ist Grace Jones’ “Williams Blood”, hier in einem Edit von Greg Wilson (http://www.youtube.com/watch?v=NEJiSyvYymg), das aus den Boxen dringt. Kaum nachvollziehbar, weshalb sich die Konzerthalle innert kürzester Zeit leert. Nur vereinzelt schweben ein paar Mädchen anmutig über die Tanzfläche, das war’s. Weder der tief brummende Bass von Sister Sledge im The Revenge Remix (http://www.youtube.com/watch?v=Xlz-wXzrd4g) noch leicht Daft Punk-angehauchtes Material reizt die schläfrige Crowd.

Minuten später bin ich schlauer: die Festivalgäste haben ihre Kräfte geschont für den Auftritt der Britin Ebony Bones. Sie ist spätestens seit der Veröffentlichung ihres Albums „Bone Of My Bones“ kein Geheimtipp mehr. Was sie mit ihrer Musik allerdings zum Ausdruck bringen möchte, frage ich mich nach ihrem Auftritt noch vielmehr als schon zuvor. Das Drumming weist stark in Richtung Punk, sie selbst und ihre Crew schillern poppig bunt, und wenn sie einmal nicht überdreht ins Mikrofon schreit, vermag man ansatzweise etwas Soul aus ihrer Stimme herauszuhören. Grace Jones auf LSD. Den musikalischen Nerv des Publikums trifft sie allemal, denn noch bevor der Schlagzeuger die Drumsticks zum ersten Snare-Wirbel ansetzt, geht der Rave ab. Nur an der Textsicherheit müssen die Besucher noch ein wenig arbeiten. „I say Ebony, you say…“ schreit sie ins Publikum. „Bones“ hätte dieses erwidern müssen. Doch Ebony „Bones“ Thomas wartet oftmals vergeblich auf eine Antwort.

Eine dreiviertel Stunde später gibt sie die Crowd perfekt aufgeheizt an den norwegischen Disco-Kauz Prins Thomas ab. Dieser setzt von Anfang an auf Interaktion mit den Tanzenden, zu sehr ist der hochtalentierte Beatbastler und Plattendreher – er spielt an vier Decks – auch Partymensch. Ein schleppender Drumrhythmus, eine Acidbassline, schwulstig wabernde, ein wenig an Pink Floyd erinnernde Synthesizer und weichzeichnende Streicherpassagen – einer der ersten Tracks, den Prins Thomas auf die Tanzfläche abfeuert, verfehlt seine Wirkung nicht: nahezu alle Hände sind in der Luft. Er versteht es meisterhaft, verschiedene Stimmungen zu erzeugen, oftmals in dichter Abfolge. Slowmotion-Funk, trippig spacige Psychedelic Rock-Platten, (Deep) House, (Minimal) Techno. Zuckersüsse Melodien, knietief im Kitsch stehend, zerbricht er, die Equalizer strapazierend, mit Vokalfetzen und hammerharten Riffs, und immer wieder verzaubert er mit Nummern im Stile von Dolle Jolles “Balearic Incarnation” (http://www.youtube.com/watch?v=15LyfyhVgpM) – ein Klassikeri in seinen Sets – die Tanzenden. Balearic Kitsch for sophisticated People. Ach ja, ein wenig kindlich-ausgelassenes Feiern gehört am Ende seines schweisstreibenden Setsauch dazu, so beispielsweise mit “Tequila” von The Champs (http://www.youtube.com/watch?v=XYJg9JmNasc) oder “Ofterschwang” von Jürgen Paape (http://www.youtube.com/watch?v=_QuxTbZORx4&hl=de), zu deren folkloristisch-angehauchten Sounds auch Prins Thomas das Tanzbein kräftig schwingt.
Mehr im Web:
Absolut sehenswert: Steve Reid & Kieran Hebden (Four Tet) @ Shift Festival: http://blog.shiftfestival.ch/?p=898
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