Innervisions 2011

Es gab eine Zeit, in der im Freundes- und Bekanntenkreis zu keinem anderen Label eine grössere Einigkeit herrschte als zu Innervisions. Es war im (Spät-)Sommer 2005, als aus der Mitte des Sonar Kollektiv-Camps ein kleiner Ableger hervorgedrängt war und mit nur wenigen Veröffentlichungen einen Wachstumsprozess durchmachen sollte, wie er manch anderem Imprint auch nach fünf Jahren des Bestehens nicht beschieden war. Der Bekanntheitsgrad war – und ist auch heute noch – exorbitant, die Reichweite und Brand-Awareness von Innervisions lässt sich nur noch durch höchst innovative und kreative Formate steigern.

Das wäre eine wirkliche Herausforderung für eine Marketing-/PR-Agentur. Denn die beste und eindrücklichste Kampagne, mit der Innervisions diesen hohen Erinnerungswert erzielt hat, und immer noch erzielt, erarbeiten und entwickeln die Labelgründer/-betreiber selbst: ihre Musik. “Rej“, “Where We At” oder “Ben Klock & Precious System – In A While / The Voice From Planet Love (Dixon Edit)” gehören zum Einmaleins der elektronischen Clubmusik. Sie aus einem Set heraus erkennen zu können, gehört zu den wenigen elementaren Grundfertigkeiten, die man so draufhaben sollte.

Stücke wie diese haben an Aktualität, Glanz und auch Brisanz nichts eingebüsst. Man nehme nur “Where We At” mit Derrick Carters – nun ja – psalmischer Rede, die mit folgenden Worten beginnt: “As I stop, and take the time, to inventory, the inside of my mind…”

Irgendwann jedoch kam eine Zeit, in der ich die Augenbrauen leicht anhob, wenn Innervisions und Veröffentlichungen darauf zur Sprache kamen oder diese im Club gespielt wurden. Zunächst ganz unbemerkt hatte ein Prozess stattgefunden, vermutlich auf beiden Seiten, der in seinem Zusammenwirken eine Ablösung ergeben hatte. Den nun erscheinenden Veröffentlichungen stand ich gleichgültig und desinteressiert gegenüber, konnte mich ihnen gerade noch auf einer “analytisch-wissenschaftlichen” Ebene nähern. Rhythmik, akustische Kompositionen, und so weiter. Mein Herz jedoch schlug nicht mehr für Tracks aus dem Hause Innervisions. Dann kam Âme mit “Rrose Selavy” und “Junggesellenmaschine“. Mit vorsichtiger Skepsis begegnete ich diesen beiden Tracks. Diese Einstellung konnte ich – das gebe ich offen zu – auch lange Zeit nicht abschütteln. Doch je länger ich die Musik auf mich wirken liess, desto bewusster wurde mir: ich fühlte wieder genauso stark und tief wie an jenem Abend im Spätherbst 2004, als ich das selbstbetitelte Album angehört hatte und umgehend erstehen musste. Auf einmal herrschte wieder Gleichklang zwischen dem Schlag meines musikalischen Herzens und den spirituellen Frequenzen, die diese Tracks zu mir aussendeten.

Was war geschehen? So ganz explizit in Worte fassen kann ich dieses Phänomen auch nicht. Doch spielt hier eine wesentliche Rolle die (Selbst-)Erfahrung der Kunst(-werke); damit in Zusammenhang steht auch die Wandelbarkeit der persönlichen Kunstanschauungen; der Geist, der Verstand, sind ja – im besten Fall – nicht statisch. Will damit sagen: mein Interesse an Innervisions-Releases war wieder über das rein analytische Betrachten hinaus geweckt. Die tief verwurzelte Leidenschaft für Innervisions war also nie erloschen. Für weiteren Auftrieb sorgten in diesem Jahr die balearisch entschleunigten Tracks “Long Way / Coppa” von Marcus Worgull sowie Âmes und Dixons Überarbeitungen zu “Envision” – House der lodernden Feuer. Mögen sie weiterhin hell brennen und weit leuchten.

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