Sarah Farina: Ein paar Stunden Weltfrieden

Juke, Jungle, Grime, Garage. Sarah Farina passt in keine Genre-Schublade. Ihren eigenen Sound nennt sie Rainbow Bass – warum?

Sarah, du beschreibst deinen Sound mit dem Begriff Rainbow Bass. Was meinst du damit?
Sarah Farina:
 Ich finde Regenbögen sehr schön und verbinde Musik mit Farben. Ich sehe zwar keine Farben, wenn ich Musik höre, aber in meinem Kopf sind alle Stile, die ich spiele, wie die Farben eines Regenbogens verbunden. Sie fließen ineinander, gehen in eine andere Farbe über, genauso wie sich die Musikstile zueinander verhalten, die aus England kommen. Garage, 2-Step, Jungle, Dubstep sind miteinander verbunden. Diese Genre verbindet, dass sie sehr basslastig sind. So bin ich auf den Begriff Rainbow Bass gekommen. Außerdem mag ich es, dass man ihn nicht sofort deuten und mich nicht in eine Schublade stecken kann.

Dennoch hat dein Sound einen starken Bezug zu London und seiner Musikszene.
Sarah Farina:
 Ich war letztes Jahr auch mehrere Wochen in London. Ich wollte viel Zeit in dieser Stadt verbringen, damit ich besser verstehen kann, warum die Musik so klingt wie sie klingt. Was für eine Kultur dahinter steckt. Ich wollte mir mehr Wissen vor Ort aneignen, damit ich diese Musik mit anderen Ohren höre.

Wie hat der Aufenthalt dein Hörverständnis verändert?
Sarah Farina:
 Ich habe ich zwar mit Menschen getroffen, die zu einer Zeit Musik produziert und aufgelegt haben, als ich noch gar nicht auf der Welt war. Die haben mir erzählt, woher die Einflüsse kommen und wie die Genre miteinander verbunden sind. Mir ging es aber viel mehr um ein Gefühl. Das kann ich nicht wirklich in Worte fassen.

London gilt ja als eine Heimat der Soundsystem-Kultur. Aber hat Musik überhaupt eine Heimat?
Sarah Farina:
 Das kommt darauf an, wie man Heimat definiert. Ich finde diesen Begriff schwierig. Ich denke, es ist wichtiger, zu verstehen, wie die einzelnen Musikstile miteinander verbunden sind. Deshalb finde ich es auch wichtig, dass man sich mit politischen Kontexten in der Musik auseinander setzt. Das gilt erst recht für mich als Discjockey und Musikliebhaberin. Ich möchte wissen, woher etwas kommt und eine stärkere emotionale Intelligenz für etwas entwickeln.

Hast du schon einmal die Musik eines Künstlers aussortiert, weil er für dich politisch nicht mehr tragbar war?
Sarah Farina:
 Ich muss da etwas differenzieren. So politisch bin ich nicht, dass ich einzelne Stücke aussortiere. Da müsste ich ja den ganzen HipHop auseinander nehmen und dürfte wahrscheinlich nur noch wenige Songs auflegen. Ich möchte da eine gute Balance haben.

Wie meinst du das?
Sarah Farina:
 Ich wünsche mir ganz allgemein, dass man mehr Bewusstsein für die Musikgeschichte entwickelt. Wenn man sich zum Beispiel House anschaut, fand diese Musik vor allem in einem schwarzen, lateinamerikanischen und schwulen Kontext statt. Diese Menschen haben sich mit der Musik einen Rückzugsort geschaffen. Das darf man nicht vergessen. Wenn dann ein Discjockey wie Ten Walls sich homophob äußert, frage ich mich, warum er so geschichtsvergessen ist.

Das kann man auch auf die Soundsystem-Kultur übertragen.
Sarah Farina:
 Absolut. Dass der karibische Einfluss auf die Musik in London so groß ist, hat ja viel mit den Auswirkungen des Kolonialismus zu tun. Aber umso schöner ist es, dass diese Kultur weltweit Einfluss nimmt auf die Musik. DJ-Kultur, MC-Kultur, und ohne die Effekte des Dub würde die elektronische Musik auch nicht so klingen, wie sie heute klingt.

Der Plattenladen Hardwax in Berlin hat ja eine große Auswahl an Reggae, Dub und Roots Music. Manchen Menschen ist nicht bewusst, dass es eine starke Verbindung zwischen dieser Musik und Techno gibt. Das hört man deutlich beim Projekt Rhythm and Sound. Das ist so zeitlos. Wenn ich diese Stücke höre, bekomme ich immer Gänsehaut. Ich finde es schön, wie diese Welten verschmelzen. Ich wünsche mir, dass Discjockeys und Veranstalter weniger in Grenzen denken. In meiner Wunschvorstellung gibt es nur einen einzigen großen Dancefloor.

In deinen DJ-Sets spielst du HipHop, Miami Bass, Grime, Drum and Bass, Jungle. Wo ziehst du für dich eine Genre-Grenze?
Sarah Farina:
 Ich packe keine hundert Genres in zwei Stunden Auflegen rein. Wenn ich in einem Set einmal keinen Jungle spiele, ist das auch nicht schlimm. Mir geht es vor allem um ein Gefühl, das ich vermitteln möchte. Die Leute auf der Tanzfläche sollen Spaß haben und den Moment feiern. Davon abgesehen beschäftige ich mich so intensiv mit der Musik, dass ich keine Angst habe, den Überblick zu verlieren. In meinem Kopf macht das alles Sinn und es gibt für mich keine Genre-Grenzen.

Worauf achtest du, wenn du deine Sets aufbaust?
Sarah Farina:
 Wenn ich für ein Publikum spiele, das nicht so tief drin in meiner Musik ist, gestalte ich mein Set zunächst sehr zugänglich. Es macht dann für mich keinen Sinn, mit einem rhythmisch komplexen Stück zu beginnen, zu dem niemand weiß, wie er sich bewegen soll. Ich habe festgestellt, dass sich die Menschen sehr gut auf ein House- oder Techno-Tempo einlassen können. Wenn ich mit einem Garage-Track beginne, fasst die Crowd schnell Zutrauen. Auf HipHop reagieren die meisten Menschen auch sehr gut. So kann ich mein Set von zwei Seiten aus zugänglich gestalten.

Und die Verbindung zwischen Publikum und Discjockey herstellen.
Sarah Farina:
 Die besten Gigs habe ich immer, wenn alles passt, das Soundsystem, der Raum, der Club. Je kleiner, desto besser. Ich mag einen intimen Rahmen, wenn ich auf Augenhöhe mit dem Publikum spiele, viel mehr als wenn ich auf einer großen Festivalbühne spiele und zwischen mir und dem Publikum ein Graben ist. Ich möchte auch kein Spotlight haben, da ich es sehr unangenehm finde, wenn der Discjockey so etwas wie ein Superstar ist. So David-Guetta-Style. Das ist nichts für mich. Die besten Gigs fühlen sich an wie ein paar Stunden Weltfrieden. In Ländern, deren Sprache ich nicht spreche, merke ich noch viel mehr, wie universell doch die Musik ist. Deshalb mache ich das doch auch: Damit wir als Menschen eine bestmögliche Zeit verbringen können.


[Dieser Beitrag erschien zuerst am 15. Juni 2018 auf badische-zeitung.de]

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