Ein Fingerzeig nach oben. Diese Geste ist eindeutig und endgültig. Keinen Widerspruch zulassend. “C’est fini pour aujourd’hui.” “Ich spiele keine (weitere) Platte mehr“. Statt blau, indigo, violett und rot, wird das Spiegelzelt von einem hellen warmen Licht durchströmt. Ich stehe inmitten der (Party-)Gäste. Mein Blick ist nach vorne gerichtet, auf die Bühne. Traumverloren.
Während sich emsige Helferlein, der Staff, bereits daran machen, das DJ-Setup abzubauen, das Sicherheitspersonal bemüht ist, die Crowd ins Freie zu geleiten, umarmen sich die Gast-DJs des heutigen Abends in freundschaftlicher Verbundenheit, klopfen sich gegenseitig anerkennend auf die Schulter und lachen herzlich. Es sind die vom ersten Augenblick an, vom ersten eingespielten Takt bis zur letzten Sekunde des Nachhalls sympathisch wirkenden Musiker und Künstler, DJs und Produzenten Rainer Trüby (Compost Records, Freiburg) sowie Laurent Garnier (F.Communications, Frankreich). Beide sind sie weltbekannt und weltberühmt, geniessen einen exzellenten Ruf, werden enthusiastisch aufgenommen, gross gefeiert und verehrt. So auch in der Nacht von Donnerstag, den 03. Juli 2008, auf Freitag, den 04. Juli 2008 anlässlich der Root Down Exclusive auf dem Freiburger Zelt-Musik-Festival, kurz ZMF.
Nach einem verregneten Tag – für das ZMF nicht untypisch – wirft mir die Sonne, wie zum Abschied, einen letzten Blick zu. Der Abend ist vergangen, die Nacht legt sich über das Gelände auf dem Mundenhof.
Teils verspielt und detailverliebt, teils leicht und melodisch, mit einem Wort: sinnlich; teils flächig atmosphärisch, teils groovig treibende, dichte Beats und thicke Basslines, Rainer Trüby packt eklektisch-elektronisches Klangmaterial auf die beständig sich drehenden Plattenteller und erzeugt damit zauberhaft schöne Klänge, die alles andere als aufgesetzt und überladen wirken. Satt und sicher kommt der Sound aus der Anlage, ein wahrer Genuss! Aus der Tiefe des Raumes besehen, erweckt es den Eindruck, als ob Rainer Trüby als Person fast im Hintergrund bleibt, vornehm und zurückhaltend. Er scheint mit seinem “Instrument“, den Turntables, zu verwachsen. Mich ergreift dieser Sound, der im Zusammenspiel mit der Lichtgestaltung die Beengtheit des Spiegelzeltes zu sprengen vermag, Weite und Grösse sowie Höhen und Tiefen erzeugt. Neue Räume schafft.
Mit geschlossenen Augen bewege ich mich auf die Mitte der Tanzfläche zu, erfahre flüchtige Berührungen der um mich noch verhalten Tanzenden. Behutsam öffne ich sie wieder, hebe meinen Blick an. Ich befinde mich unmittelbar unter der mit Spiegelglasplättchen bedeckten, sich fortwährend drehenden Diskokugel, die, sanft angestrahlt, kleine, kaum wahrnehmbare Sonnenkränze an die Innenwand des Spiegelzeltes zaubert.
Ein fluffiger Bass, geshuffelte Beats, von Streicher-Achtelfiguren unterstützt. Die Stimme eines Mannes, der mich, uns, die Crowd, mit seiner “Speech” auf Abfahrtskurs bringen wird. “Watcha here for tonite? Whatcha here for tonite?” Es ist ein eigens für diesen Abend eingeladener MC, dessen Name ich mir leider nicht behalten konnte. Man möge Nachsicht mit mir üben.
“It’s Root Down Exclusive presenting Rainer Trüby and…” – das “and” spricht er sehr gedehnt – “…Laurent Garnier.“
Rainer Trüby überlässt seinem Gast Laurent Garnier, der Ikone der elektronischen Musikszene, die Plattenteller. Abfahrt! Pumpende Upbeats, Piano-Arpeggi und eine Stimme, die mich stark an Linda Viera Caballero, “La India” erinnert. Eine alte Masters-At-Work-Produktion? New York Soulful House, serviert aus den Händen eines Laurent Garniers? Wer denkt, dass der Franzose ausschliesslich für Techno steht, geht fehl. Seine Wurzeln liegen im Acid House und im frühen Techno der 80er Jahre, sein musikalisches Repertoire ist breitest gefächtert, von flächigem Ambient über (Deep-)House, Disko, Soul oder Jazz bis hin zu Grossrave-Technonummern. Und genau diese Bandbreite zeichnet einen Weltklasse-Künstler aus: sich nicht auf einen einzigen Stil festlegen (lassen) und Einflüsse aus den verschiedenartigsten Genres in seine DJ-Sets einzubauen.
Langsam durchgezogene Bassloops, die knochentrockene Kickdrum tragend, hypnotisierend: eigentlich kann und darf ich nicht mehr still stehen. Doch blicke ich gebannt zu den DJs: Rainer Trüby und Laurent Garnier spielen Back-To-Back, also abwechselnd. Laurent Garnier verzichtet darauf, sein Set an einem Stück geschlossen zu spielen. Geschichtsträchtig! Seine Hände wuseln flink über die Drehregler und Knöpfchen am Mischpult, während Rainer Trüby sich um die Feinjustierung der Drehgeschwindigkeit einer 12″-Vinyl an der rotating disk kümmert. Reizt Rainer Trüby die Equalizer aufs Äusserste, blendet Laurent Garnier in einen neuen Track ein. Technische Schwierigkeiten sind den beiden fremd.
In der Folge treffen samtweiche Piano-Arpeggi, Saxophon- oder Flötenstimmen auf rauhe und ungeschliffene Beats, offene oder geschlossene Hi-Hats peitschen durch das Spiegelzelt, die Basslines wummern gnadenlos aus den Lautsprechern, wirken direkt auf den Sinusknoten ein: mein Puls wird schneller, während wir Kurs aufnehmen auf die “Motor City“, Detroit. Rainer Trüby und Laurent Garnier huldigen der “Heiligen Dreifaltigkeit” des Detroit-Techno, Juan Atkins, Kevin Saunderson und Derrick May. “Let me take you to a place I know you wanna go…” Sie spielen “Good Life” von Inner City (das sind Kevin Saunderson & Paris Grey), einen von vielen Klassikern dieses Genres.
Einen kurzen Moment nur möchte ich mich draussen, vor dem Spiegelzelt, in der frischen und klaren Nachtluft abkühlen. Keine Chance. Der floaty Beat, der dunkle und melancholische Groove von Djembe und Marimba. “I Exist Because Of You” von Henrik Schwarz feat. Amampondo. Unaufdringlich und voll satter Deepness sorgt dieser Song für einen gewissen spirituellen Moment. Techno mit Soul (und Einflüssen von World Music). Ich bin den DJs, der Musik ausgeliefert. Widerstand zwecklos.
Schon mehrere hundert Male müssen beide DJs ähnliche Shows bestritten haben. Und dennoch schaffen sie es immer wieder aufs Neue, wie auch in der Nacht vom 03. auf den 04. Juli, die Menschen zu fangen, zu fesseln und zu begeistern, so dass es ein Leichtes ist zu schreiben: den Veranstaltern ist es gelungen, zwei ausserordentlich individuelle Künstler – verschmolzen zu einer perfekt aufeinander abgestimmten Einheit – ins Spiegelzelt zu holen. Vielen Dank für diesen unvergleichlichen Abend!