Der Samstag begann für meine Begleitung und mich am späteren Nachmittag. Der Hamburger Paul Gregor sollte da gerade seine letzte Platte spielen. Sein Set und das des Leipzigers Philipp Matalla hätte ich auch sehr gerne gehört. Aber Feiermarathon ist nicht mehr. Wir versorgten uns zunächst mit ein paar Radler, Bier und Cocktails und setzten uns ans Ufer des kleinen Sees. Wir liessen uns die Sonnenstrahlen ins Gesicht scheinen und hörten dazu das Set von Tom Clarke und Sam Rickets.
Diese beziehungsweise ihr Musikprojekt Cloud Boat, waren mir bis jetzt nur im Rahmen eines Podcasts auf Dazed Digital sowie durch ihr Release auf R & S (“Lions On The Beach“) begegnet. Ihr weiteres musikalisches Schaffen habe ich jedoch nicht verfolgt. Das wird sich ändern. Cloud Boat haben in mir einen neuen Fan gefunden. Ihre Musik, eine wolkenzarte Melange aus Dubstep, Garage, Electronic Pop und abstrakter Elektronika passte wunderbar in die sonnendurchflutete Stimmung des Samstagnachmittags. Die Kombination aus Sommerwärme und den Klängen von Cloud Boat kitzelte sämtliches Serotonin aus meinen Hirnwindungen. Glücksgefühl? Ja. Danke dafür!
Dieses Glücksgefühl vertieft hat Alan Abrahams alias Portable. Vor Jahren war der zwischen London, Berlin und Lissabon lebende Südafrikaner einmal im Rahmen einer Elektrolounge in Freiburg zu Gast. Damals brachte er seine zwischen 2004 und 2006 entstandene Musik als Bodycode ins E-Werk. Düster, schräg, verspult, Hörgewohnheiten auf den Prüfstein stellend. Ganz anders dagegen sein Auftritt auf dem Nachtdigital-Festival. Sein Sound ist unverkennbar, man hört’s auch im Club sofort heraus, wenn der DJ einen Portable-Track spielt. Der Stimme wohnt eine melancholische Schwere inne, genauso wie auch die Harmonien seiner Synth Pads eine melancholische Stimmung zeichnen. Auch wenn seine Stücke sonnenwarm sind, schwebt über ihnen stets ein zarter Schleier Traurigkeit – ganz so, als ob man jemanden küsst und man im Augenblick des Kusses weiss, dass dieser eine Moment die erste und zugleich letzte Begegnung sein soll. Jedenfalls war der Auftakt mit “Onward (feat. Johannes Schön)” einer der besten Augenblicke zum knutschen. “In The Beginning Lies The End.”
Eine gute Stunde später war jegliche Gedankenschwere verflogen. Carsten Meyer alias Erobique hatte die Open Air-Bühne betreten und besang die grossen Gefühle – Freude, Glück, Euphorie -, den emotionalen Rausch, der einen nahezu kollabieren lässt. Denn eines steht fest: Zumindest auf der Bühne sprüht Erobique nur so vor Lebenslust. Zudem behandelte er die Themen Disco und House mit dem wohltuenden humorvollen Abstand, den ich mir manchmal für mich selbst, manchmal für die kleine, überschaubare Musikszene wünsche. Kathartische Wirkung des Lachens – bei Erobique immer! Grossartiger Musiker, grossartige Revue-Show zwischen Pop, Dada und House.
Thema House: Ein ums andere Mal habe ich auf dem Nachtdigital-Festival die Wortfetzen “zu wenig House” aufgeschnappt. Diese Ansicht teile ich nicht. Denn gerade die Öffnung zu anderen Genre hat der House Musik in den vergangenen Jahren sehr gut getan (siehe Veröffentlichungen u.a. auf Rush Hour, Hotflush,…); zudem besteht bei zehn, fünfzehn reinen House-DJs auf einem Festival die Gefahr sich überlappender Platten-Schnittmengen. Und “Mkapella“, “Burnin” oder andere, ähnliche Konsenstracks möchte ich bei aller Liebe zu ihnen nun doch nicht drei, vier Mal an einem Wochenende hören.
Thema House, die Zweite: Das gab’s ja reichlich bei Axel Boman, Steffen Bennemann, Tama Sumo, Ata und Manamana. Map.ache und Sevensol sorgten nach Erobique für eine angenehme Zen-Ruhe, passend zum Eindunkeln des Himmels und zum Aufzug erster Sterne. Ich fühlte mich wie in einem Floating Tank liegend, schwerelos, fast schon schwebend, was ich Manamanas Auswahl an (Deep) House und Dub-beeinflusstem House und Techno zu verdanken hatte. Grandioses Set, das gegen Ende auch mit Rolandos “Jaguar” den einen oder anderen Big Room-Moment hatte.
Einen solchen benötigte zum einen die Crowd – kann ja nicht jede Clubnacht im Niedergarbereich von 115 BPM bleiben -, zum anderen das italienische Duo Margot als Anknüpfungspunkt für ihre angetrancten Melodieläufe, episch breiten Synth Pads und Bassläufen. Kurz Luft holen im Zelt bei Rocketnumbernine – Electronic-Jazz 2.0.
Henrik Schwarz -Signature Sound, ganz gleich, ob er ein House-Set oder, wie auf dem Festival, ein Techno-Set spielt. Synth- und Drum-Pattern, Tonfolge, Dynamik – das ist Henrik Schwarz durch und durch; auch sein Eins-Werden mit Laptop und Controller. Nach ihm hat Sandrien übernommen. Sie ist Resident im Amsterdamer Club Trouw und packte geradlinigen, schnörkellosen Techno zwischen R&S, Delsin, Ancient Methods, Shifted und was sonst noch so aus dieser Ecke derzeit alles kommt, auf die Decks. Auf jeden Fall ein Höhepunkt der diesjährigen Nachtdigital [Und, ja, mir fehlt in Freiburg ein DJ, der straight Techno auch nur ansatzweise so spielen kann wie Sandrien]. Gegen Ende ihres Sets liess die Trouw-Resident dann auch die eine oder andere Synth-Welle los, die das Publikum in andere Sphären bringen sollte. Doch dort waren wir alle bereits, spätestens seit dem Auftritt von Erobique. Petar Dundov nur noch mit halbem Ohr mitbekommen, und Ata musste ich den jüngeren, körperlich austrainierteren überlassen.