Von “Keep On Turning” zu “Phantasy” und “Deliver Me”. Matthias Vogt und Christian “C-Rock” Rindermann. Motorcitysoul. House aus und in Deutschland ohne sie? Undenkbar. Ausführliches Interview, interessanter Podcast. Enjoy!
1. Hallo Matthias, hallo Christian, soeben habt ihr mit „Motorcitysouled“ ein weiteres Album veröffentlicht. Mit diesem im Gepäck werdet ihr auch auf Tour gehen. Was erwartet uns im Vergleich zu „Technique“ und „Back Up“?
Der entscheidende Unterschied von „Motorcitysouled“ zu „Technique“ ist, dass es sich dabei um kein reines Studioalbum handelt. „Technique“ war ja ein dezidiertes Künstleralbum. Wir haben es auf den Punkt konzipiert und haben uns dann ins Studio zurückgezogen und an den Tracks und deren Arrangement gearbeitet. Bei „Back Up“ handelt es sich um eine Mix-Compilation, bei der wir uns aus dem Backkatalog des Labels Infracom bedienen durften, um damit ein musikalisches Bild von Motorcitysoul als DJs zu vermitteln.
Mit „Motorcitysouled“ hingegen stellen wir hingegen einen Ausschnitt aus unserem Schaffen als Remixer vor. Es ist eine Kollektion über die Studioarbeit der letzten sechs Jahre, in denen über 30 Remixe für die verschiedensten Produzenten von Blaze über Kevin Griffiths bis zu Solomun & Stimming entstanden sind.
2. Von Anfang an habt ihr euch eingehend mit dem Thema Remix befasst. Worauf kommt es eurer Meinung nach beim Remixing an? Wo zieht ihr die Grenze zwischen Edit und Remix?
Für uns als Musiker und Produzenten ist der Remix eine Kommunikation zwischen dem Sound des Künstlers, den wir zur Bearbeitung vorliegen haben, und unserem eigenen Sound. Das Grundthema mag zwar durch das Ausgangsmaterial vorgegeben sein. Dennoch bestehen unsere Überarbeitungen zu etwa zwei Dritteln aus eigenen Sounds, die wir verwenden. Das kommt dann einer eigenen Produktion schon sehr nahe. Ein gutes Beispiel für einen Remix, bei dem die Grenzen zur eigenen Produktion verschwimmen, ist unsere Version von „Keep On Turning“. Diese heisst lediglich „Motorcitysoul Original Dub“, weil Thorsten Scheu alias Glance dazu eine Neuabmischung beigetragen hat.
Beim Remixing verfolgt jeder Produzent seine eigene Schule. Wir stellen uns regelmässig die Frage, ob wir uns mit unserem Stück bewusst vom Original abgrenzen wollen, ob das Ausgangsmaterial Elemente bereithält, die wir – aufgrund unseres Verständnisses von der Musik – stärker hervorheben oder gar nicht mehr dabeihaben wollen. Es kann allerdings auch vorkommen, dass wir musikalisch in dieselbe Kerbe schlagen, wie sie der Urheber des Originals vorgesehen hat.
Auch die Grenzlinie zum Edit ist oftmals schwer zu ziehen. Heute arbeiten ja nur noch wenige Musiker und DJs mit einer Bandmaschine – die Greg Wilson-Schule (lachen) -, verlängern Intro und Outro, schneiden einen Break heraus oder verlängern einen Break, um stärkere Spannung zu erzeugen.
Wenn man von diesem Bild des klassischen Edits ausgeht, gibt es die heutzutage kaum mehr. Und die, die es gibt, sind oftmals auch miserabel, verstehen das Original nicht auf ihre Tanzbarkeit zu untersuchen, den Wesenskern herauszuarbeiten, und so weiter.
3. Viele (House-)Klassiker werden oftmals gerne von grossen Dance-Label mit einer Vielzahl von Remixen neu aufgelegt, beinahe schon im Jahresrhythmus. Wie steht ihr dazu?
Vor grossen Remix-Paketen haben wir gewisse Berührungsängste. Denn hier teilt sich die Aufmerksamkeit, die dem einzelnen Künstler zu Teil wird, um den Faktor vier, fünf oder sechs – je nachdem, wieviele Produzenten eine eigene Version dazu beisteuern. Auch fragt man sich da, was denn der einzelne Produzent verändert haben soll, denn bei vielen Stücken gibt das Original schon gar nicht so viel her, um etwas Neues daraus zu schaffen.
Ein Remix kann jedoch einem Stück zu einer grösseren Bekanntheit verhelfen, beispielsweise, wenn der Urheber des Originals noch nicht so bekannt ist. Für diesen kann die Neuabmischung von bekannteren Produzenten positive Synergieeffekte mit sich bringen.
4. Ihr habt es eingangs bereits einmal erwähnt: in sechs Jahren habt ihr über 30 Remixe veröffentlicht. Gibt es dabei einen, der nicht die Beachtung erfahren hat, obschon ihr in diesen besonders viel Herzblut und Leidenschaft investiert habt?
„Beachtung erfahren“ liegt unserer Meinung nach stets auch ein wenig im Auge des Betrachters. Deswegen ist ein Album wie „Motorcitysouled“ auch sehr dankbar, denn es lässt sehr viele Stücke aus unserer Produzenten-Vergangenheit wieder auflegen.
Herzblut-Unterschiede gibt es so bei uns keine grossen. Natürlich haben wir uns in der Vergangenheit an dem einen oder anderen Sound im Studio etwas länger abgearbeitet. Es gab Stücke, die eine zeitintensivere Bearbeitung verlangt haben, als andere. Doch die Vision, wie wir unsere Vorstellung von House in einen Track importieren, war stets von Anfang an gegeben. Wir hatten wahrscheinlich auch das Glück, dass wir stets hinter den Originalen standen, die uns zum Remixing vorgelegt wurden. Und wie unser eigenes Kind behandeln wir sowieso jeden Track, an dem oder mit dem wir arbeiten.
5. Nun zu etwas ganz anderem: mit Stir15 habt ihr ein Label im Rücken, das Christian 1994 gemeinsam mit Nelson Machado gegründet hat und auf dem sehr viele eigene Produktionen auch erschienen sind. Was waren der Auslöser und die Motivation für die Labelgründung?
Was die Label betrifft, war House Anfang und Mitte der Neunziger Jahre ein stark amerikanisch beziehungsweise englisch dominierter Markt. 20/20 Vision, Classic, Strictly Rhythm und die ganzen Imprints aus der Chicago- und Detroit-Ecke. Wir wollten eine eigene Plattform, um deutsche House-DJs und Produzenten unter einem Dach zu vereinen und zu positionieren. Wenn man sich den Katalog einmal ansieht, haben wir mit Glance, Jackmate, Superlova oder Marvin Dash interessante Produzenten veröffentlicht, die heute ebenfalls überaus aktiv und angesehen sind. Vielleicht war unser Label sogar eine kleine Initialzündung für diese Produzenten, wer weiss. Auf jeden Fall war es zu der damaligen Zeit eine Pionierleistung, in Abgrenzung zum US- und UK-House-Markt mit einem eigenen Label aufzutreten.
6. Wie bewertet ihr den Stellenwert eines Labels damals / heute?
Damals hat ein Label wie Stir15 eine Lücke geschlossen. Der Vorteil früher war: man konnte damit auch tatsächlich ein wenig Geld verdienen und war als Marke überaus stark präsent.
Heute ist ein Label im Hinblick auf finanzielle Fragen nicht mehr attraktiv. Mit einem eigenen Label lässt sich kaum oder nur schwer Geld verdienen. Da es aus finanziellen Gründen eigentlich keinen Sinn mehr macht, hat man auf der anderen Seite jedoch wieder künstlerische Freiheiten gewonnen. So spielt es keine Rolle, ob ein oder gleich vier Releases pro Jahr anstehen. Man kann als Labelbetreiber noch stärker auswählen, was man veröffentlichen möchte und was besser auf der Festplatte bleibt. Und als Produzent kann man sich noch intensiver mit der Musik befassen.
Ein Label ist heute vielmehr eine Visitenkarte. Man könnte auch sagen, dass ein eigenes Label das Portfolio eines DJs vervollständigt.
7. Lasst uns nun noch ein wenig auf eure ersten Schritte als DJs und Produzenten zu sprechen kommen. Erinnert ihr euch noch an die ersten Platten, die ihr vor Publikum gespielt habt?
Matthias: Bevor es zu meinem ersten Gig kam – kann man da überhaupt von Gig sprechen? -, war erst einmal massives Ausgehen angesagt. Dadurch entbrannte auch meine Leidenschaft, Platten ineinander zu mischen, verschiedene Genre und Styles zu mischen, und so weiter. Wahrscheinlich verhält es sich bei fast allen DJs so. Meine erste Platten die ich vor öffentlichem Publikum gespielt habe, waren von Soul II Soul und anderen Musikern.
Christian: Was mein erstes Mal auflegen vor Publikum betrifft, muss ich ein wenig ausholen. Früher war es nämlich keine Selbstverständlichkeit, dass ein DJ Beats angleichen und Platten nahtlos ineinander vermischen konnte. Da ging es vielmehr um die Auswahl, der Aufbau des Sets, die Abfolge, und so weiter.
In Frankfurt jedoch war ich es gewohnt, dass die DJs in den Clubs wie dem Vogue, dem Omen, und so weiter, Beats angleichen und mischen konnten. Als ich damals dann Freunde in München besucht habe und mit diesen durch die Clubs zog, war ich ganz überrascht und dachte mir: warum können die DJs hier alle nicht auflegen?
Um in Frankfurt an die Decks zu dürfen, musste man das Auflegehandwerk beherrschen. So kam für mich nur üben, üben und nochmals üben in Frage. Irgendwann einmal war ich auf einer Veranstaltung eines Freundes. Das war so eine mobile Disco und der Haupt-DJ konnte aus irgendwelchen Gründen nicht auflegen. So hiess es „leg du mal auf“, und schon musste ich an die Plattenteller treten. Die eine Platte war eine B-Seite von Madonna, die nächste war dann etwas von New Order.
8. Wie seid ihr dann zu House gekommen?
Matthias: Ich bin zu Beginn meiner Jugendzeit sehr experimentell ausgegangen. Da ich in einem strengen Elternhaus aufgewachsen bin, war ich, was Dancemusic und verschiedenste Subkulturen betrifft, mit anderen Vorzeichen gross geworden. Deswegen habe ich sämtliche Jugendkulturen ausprobiert. Zu House bin ich insbesondere über Veranstaltungen in Hamburg, in Clubs wie dem damaligen „Opera House“ und dem „Grünspan“, gekommen.
Christian: Anfangs hatte ich sehr viel mit Rap, Hardrock und Heavy Metal zu tun, rutschte jedoch sukzessive in die House-Szene rein.
9. Wann und wo habt ihr eure ersten Schritte als Produzenten unternommen? Ging das Hand in Hand mit dem DJing?
Matthias: Das ging eigentlich sehr schnell. An ersten Stücken arbeitete ich bereits 1992, hatte mit Michael Staab als „Matt + Mike“ 1994 ein erstes Release, und ab dann ging das beständig weiter mit dem Veröffentlichen.
Christian: Bei mir verhielt es sich ähnlich. Anfang / Mitte der Neunziger die ersten Tracks und EPs, dann mit „Cut and Paste“ und „Track and Feel“ auch zwei Alben. Das eine veröffentlichte ich als Stardub, das andere unter dem Alias C-Rock.
Mann muss dazu sagen, dass bei uns der ganze Tech-Talk auch schon sehr früh eingesetzt hat. Uns hat beide die Neugier gepackt, wie so eine 303 oder eine 808 funktioniert, was man mit Bandschneidemaschinen, Effektgeräten etc. alles anstellen kann.
10. Matthias, Du bist ja ausserdem ein ausgebildeter und sehr aktiver Jazz-Musiker. Stellt sich dies nicht ab und zu als Hindernis dar, um Musik für den Club zu schreiben?
(lacht). Losoul, den ich als Produzent überaus schätze, hat einmal gesagt: „Wie gut, dass ich kein Musiker bin“. Meiner Meinung nach kann man die Ebenen DJ – Jazz-Musiker – Produzent auch nur sehr schwer trennscharf auseinander halten. Sie greifen ineinander über und genau das macht mich als Künstler auch aus. Daher mache ich mir keinen Kopf, wenn ich meine Studiozeiten habe, Bandproben oder an den Plattentellern stehe.
Die Frage, wieviel Musikalität ich in einen Clubtrack einfliessen lassen kann, darf oder will, bestimmt ja oft auch der Zeitgeist. In einem Jahr sind Strings als Instrumental vorherrschend, das Jahr darauf begegnet man überall nur Blechblasinstrumenten. Dann wieder sind es Vocals oder Percussions. Und als DJ bestimmt es auch die aktuelle Tageslaune oder die Art des Bookings, ob ich melodischer oder straighter spiele.
Christian: Es geht ja vor allem auch um den Menschen, der hinter der Kunst steht und dessen Persönlichkeit die Kunst ausmacht. Deswegen finde ich, soll man diese Ebenen auch nicht dogmatisch getrennt halten.
11. Als „Motorcitysoul“ tretet ihr auch im DJ-Doppelpack auf. Wie bereitet ihr euch auf einen gemeinsamen Gig vor? Sprecht ihr euch davor ab, wer welche Platten mitnimmt?
Matthias und Christian: Am Abend selbst stecken wir ganz kurz ein paar Grenzen ab, im Sinne von: „Nicht härter als diese oder jene Platte“ beziehungsweise „Nicht softer als diese oder jene Platte“.
Christian: …aber ansonsten gehen wir sehr bauchmässig ran an das DJing…
Matthias: …wir stellen vor den Gigs keinen Masterplan auf…
Christian: …was und wie wir auflegen, ist auch stark vom Publikum abhängig. Je nachdem, wo wir spielen und zu welcher Uhrzeit…
Matthias: …loten wir auch einmal die Grenzen des machbaren aus. Wir erlauben uns ab und zu auch, musikalische Grenzen zu sprengen…
Christian: …und überraschen uns dabei oft selbst…
Matthias: …und das Publikum…
Christian: …was alles so machbar ist. Das ist je nach Gig auch eine Überlebensstrategie von uns beiden. Denn es gibt – wenn man das DJing ganz pragmatisch betrachtet – auch Veranstaltungen, die für uns anstrengend und eben Business sind. Das sind Abende, an denen überhaupt nichts stimmt…
Matthias: …angefangen bei der Anlage über die technischen Voraussetzungen am DJ-Pult bis hin zu furchtbaren Getränken…
Christian: …da ist es dann wichtig, dass wenigstens wir beide beim Auflegen Spass haben, uns gegenseitig von den widrigen Umständen ablenken können…
Matthias: …ganz anders, wenn einfach alles stimmt. Das ist dann auch kein Business, sondern Spass, Leidenschaft, Party.
12. Was ist der Reiz, immer noch gemeinsam aufzulegen?
Matthias und Christian: nach wie vor haben wir an einer guten Party Spass. Das ist ein Teil unseres Lebens, daran wird sich so schnell auch nichts ändern. Das ist auf jeden Fall eine sehr wichtige Grundlage, um gemeinsam auflegen zu können. Zudem verstehen wir uns musikalisch auch nahezu blind. Der Engländer sagt dazu „passion“, und für uns bedeutet dies: alles, wozu man sich berufen fühlt, alles, zu dem man sich mit Leib und Seele verschrieben hat. Und das ist bei uns eben das DJing, das Produzieren, die Musik, und so weiter.
Christian: Daneben ist es aber auch sehr wichtig, dass man nicht blind durchs Leben geht, sich nur und ausschliesslich auf die Musik konzentriert. Vielseitig interessiert sein und kulturell aufgeschlossen sein…
Matthias: …ist ebenfalls lebensnotwendig, auch und vor allem der Inspiration wegen.
13. Zum Abschluss noch: was habt ihr für die kommenden Wochen und Monate in eurer Agenda stehen?
Einige gemeinsame Arbeiten warten auf ihre Vollendung. So stehen einige Remixe an und die eine oder andere EP wird’s ebenfalls geben.
Christian: vielleicht wagen wir uns auch an einen Disco-Edit heran…
Matthias: …das gehört doch heute irgendwie dazu…
Christian: …nur machen wir’s mit Bandmaschine…
Beide: “Motorcitysouled” erscheint Ende dieser Woche beziehungsweise Anfang Juni, und was die anderen Releases betritt: haltet die Ohren offen!
Hier nun der Podcast:
Motorcitysoul – Keep It Deep Guest Mix by keep-it-deep
English (short) version: soon.
Mehr im Web:
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C-Rock
Stir15 / LoFi Stereo
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Großes Lob für deinen Blog.
Muy bien!