Sebastian Szary, Sascha Ring und Gernot Bronsert (von links) sind das Trio Moderat. Foto: Olaf Heine |
Das neue Album des Berliner Trios Moderat ist eine intensive und virtuose Mischung aus Techno, Bassmusik und Pop – auch wenn einem manche Klanglandschaften wohlbekannt vorkommen:
So muss es sich anfühlen, wenn man das Gelände eines Umspannungswerks betritt: Ein dröhnendes Brummen dringt in die Ohren. Langwellige Tieftonfrequenzen nahe der 20-Hertz-Marke lassen die Muskeln zittern. Die elektrischen Wechselfelder unterhalb der Hochspannungsleitungen bringen die Härchen auf der Körperoberfläche zum Vibrieren. Erklingen die ersten Takte von “The Mark”, dem Eröffnungsstück des neuen Moderat-Albums “II”, fühlt es sich genauso an. Subsonische Bass- und Synthesizerflächen schwellen an und verdichten sich zu einer bedrohlichen Wand. Dann kehren weißes Rauschen und schließlich Stille ein. Es ist eine Stille, die spannungsgeladene Folgestücke verlangt, denn die eineinhalb Minuten lange Eröffnungssequenz versetzt den Körper in Aufruhr.
Wenn man kleinlich sein will, beginnt “II” erst mit dem zweiten Stück “Bad Kingdom”. “The Mark” ist nämlich ein Fragment, das bereits auf dem Debütalbum der Berliner Elektronikformation Moderat zu hören war. Das erschien 2009 auf dem von Ellen Allien geführten Plattenlabel BPitch Control. Dieser zeitliche Abstand von vier Jahren ist für das schnelllebige Genre der elektronischen Clubmusik mit seinen fein verästelten Subgenres eigentlich zu groß. In dieser Zeitspanne können Künstler in Vergessenheit geraten.
Nicht so bei den Moderat-Mitgliedern Gernot Bronsert, Sebastian Szary und Sascha Ring. Sie gehören schließlich seit mehr als zehn Jahren zu den einflussreichsten Musikern im Techno-Kosmos. Bronsert und Szary bilden gemeinsam das Disc-Jockey- und Produzenten-Duo Modeselektor, bekannt für bassmächtige Klangkonstruktionen zwischen Breakbeats und Techno. Ring ist Mitgründer des Labels Shitkatapult und veröffentlichte unter dem Pseudonym Apparat lange Zeit experimentelle, verfrickelte Stücke, die nur bedingt tanzbar waren. Heute nähert er sich mehr und mehr dem LoFi-Pop und Singer-Songwriting an. Außerdem entwickelt er Soundtracks für Theater, zuletzt für Sebastian Hartmanns Inszenierung des Tolstoi-Klassikers “Krieg und Frieden” im Centraltheater in Leipzig.
Unter dem gemeinsamen, aus Modeselektor und Apparat zusammengezogenen Namen Moderat lassen Bronsert, Szary und Ring auf ihrem zweiten Album Drum Loops stolpern und taumeln; verwaschene Synthesizer kratzen, schaben und rascheln. Beim Bass loten sie den Tieftonbereich aus, bis die Frequenzen kaum noch hörbar und nur noch körperlich erfahrbar sind. Dazu tauchen melancholische Töne aus Hallräumen auf und verschwinden wieder. Ob auf “Bad Kingdom”, “Let in the Light” oder “This Time”: Stets glaubt man, in einem elektrischen Wechselfeld zu stehen.
“II” ist kein Album für die Lautsprecher von Laptops oder Mobiltelefonen. Die Musik von Moderat braucht Raum, um sich entfalten zu können. Auch der Hörer braucht Raum, um seine Wahrnehmung für diese eigenwillige Mischung aus Techno, britischer Bassmusik, Ambient und Pop weit öffnen zu können.
Apropos Pop. Moderat sorgen in den Stücken, auf denen Sascha Ring seine Stimme einsetzt, für Momente des Innehaltens und tiefer Gefühle. Sie klingt nicht ganz rein. Manchmal singt er einen Viertelton daneben. Doch damit verhindert er, dass Moderat in die Niederungen des Electro-Pop absteigen. Ring haucht, seufzt, schluchzt und schmachtet. Je weniger Effekte und Filter seine Stimme verfremden, desto mehr geht sie ins Herz.
Man möchte bitter-süße Tränen weinen – hätte man dies als Clubmusik-Hörer nicht bereits getan, als die Alben britischer Dubstep-Musiker, allen voran Burial, für süße Schwermut und traurige Heiterkeit sorgten. “II” hinterlässt nach dem letzten Stück “This Time” denn auch den Eindruck, diese Klanglandschaften schon einmal bereist zu haben – trotz ihrer rhythmischen Virtuosität und atmosphärischen Intensität.
– Moderat: II (Monkeytown Records/ Rough Trade)
[Diese Rezension ist auch in der gedruckten Ausgabe der Badischen Zeitung, 17. August 2013, erschienen]