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Markus Flohr war in Freiburg. Markus Flohr ist Journalist und Autor. Er schreibt “in unregelmäßigen Abständen über Gott und die Welt”. So schreibt er über sich selbst in seinem Blog morgenstern. Seine Texte erschienen vor Jahren in der taz, heute schreibt er vorwiegend für Spiegel Online. Dort war er auch Redakteur.
Jetzt war Markus Flohr in Freiburg. Was er dort erlebt hat, kann man in einem Artikel auf Spiegel Online, Ressort UniSpiegel, Thema Party, nachlesen. Unter dem Titel “Party-Logbuch Freiburg: Kniet nieder vor der Säule der Toleranz” beschreibt er seine Erfahrungen im Freiburger Nachtleben.
Doch zunächst ist Markus Flohr ein einfacher Tourist. Er läuft durch die Freiburger Altstadt und betrachtet das Freiburger Münster. Er wundert sich über die Spottfiguren, auch Gargouilles oder Gargoyles genannt.
Diese aus Holz geschnitzten, aus Stein gemeisselten Figuren sitzen, stehen oder hängen an Fassaden, Fenstern oder Giebeln. Es gibt sie am Dom zu Köln, in Regensburg, Magdeburg, an hunderten von Kirchen in England, in Südtirol, in Frankreich, überall dort, wo in der Romanik, Gotik oder Renaissance-Zeit Kirchengebäude errichtet wurden.
Die Spottfiguren sind Maulaufreisser, Körperentblösser, Drachen, Teufelsfratzen, mal verschwimmen die Geschlechtergrenzen, mal die Grenzen zwischen Tier und Mensch. Diese Figuren kommentierten die Stadt- und Zeitgeschichte. Sie verkörpern die Sieben Todsünden, besonders oft Gier, Unzucht und Völlerei. Sie parodieren die Standesgesellschaft, vor allem den Klerus. Sie sind alles, nur nicht “seltsam”.
Aber das wusste Markus Flohr bestimmt. Er ist Journalist, hat mithin entsprechend recherchiert, aber liest sich doch viel besser, wenn man so flapsig und flachwitzig ein paar Sätze dahersudelt.
Eigentlich könnte, sollte man an dieser Stelle aufhören, den Artikel zu lesen. Die Entwicklung von Flohrs Abend ist vorhersehbar. Aber das wenig Anspruchsvolle, das gewollt Witzige, übt ab und zu eine Anziehungskraft aus, ganz so wie “Bauer sucht Frau”, “Der Bachelor”, “Die Super Nanny”, die ganzen Fremdschamsendungen im Fernsehen.
Mit seinen Schulfreunden geht Markus Flohr “erst einmal gepflegt essen”. Welches Lokal sie aufsuchen, lässt er aus. Vielleicht besser so. Jedenfalls erfährt der Leser, dass sich Markus Flohr einen Wein bestellt, einen “Spätburgunder”, denn “der Name klingt gut”. Nach dem Essen kommt Markus Flohr zu der Erkenntnis: “Das mit dem Wein ist eine ernste Sache in Freiburg.” “Das mit dem Wein”, Markus Flohr ist überall dort, wo Weinbau betrieben wird, eine “ernste Sache”, ist also nicht Freiburg-typisch.
Nach dem “gepflegten Essen” geht’s richtig los. Markus Flöhr besucht den Augustinerplatz, die Säule der Toleranz, die Kneipe “Schlappen” und “etliche Clubs”, die “im Keller liegen”. Viele der zur Zeit sehr angesagten, stark frequentierten Veranstaltungsorte in Freiburg liegen jedoch gerade nicht “im Keller”. Welche die sind, führe ich nicht aus. Die darf sich Markus Flöhr zusammengooglen. Recherche danach. Kann man machen, ist aber nicht ganz so journalistisch-sorgfältig.
Markus Flohr geht ins ElPi, eine Studentenkneipe. Dort trinkt er Rotwein und beschwert sich, dass er miserabel schmeckt. Er wundert sich auch über die Gäste; über Gäste einer Studentenkneipe, die nur und ausschliesslich den Anspruch hat, eine Studentenkneipe zu sein. Das disqualifiziert ihn, überhaupt eine Aussage zum Freiburger Nachtleben zu machen. Im ElPi trinkt kein Freiburger, auch kein Zugereister, Rotwein, sondern Bier und Schnaps. Ins ElPi gehen Studenten, Ärzte, Juristen, Arbeitslose, Lebenskünstler, wer immer auch einfach nur Bier trinken und Spass haben möchte.
Markus Flohr moppert, weil im Crash “stumpfer Techno” lief? Das tut es nur zwei, drei Mal im Jahr, deshalb weiß ich, welche Party er besucht hat, wer die DJs waren, wer auch um 5Uhr aufgelegt hat. Der DJ hat von Ambient à la BoC über Autechre, Aphex Twin, DBX, Detroit-Kram bis hin zu aktuellen VÖs auf Ostgutton & Co. alles in seinem Case, nur keinen “stumpfen Techno”.
Was er in den Kellern Freiburgs erlebt, ist alles, nur keine Party. Doch das, Markus Flohr, liegt nicht an Freiburg. Das liegt an der Begleitung. “Alle bis auf Rudi sind Lehrer, wohnen hier in der Gegend und haben Kinder”, beschreibt sie Markus Flohr. Wie nahe sind diese “alle bis auf Rudi” noch am Freiburger Nachtleben dran? Das liegt ausserdem an der – unterstellten – fehlenden Bereitschaft, anzukommen, mit offenen Augen und Ohren durch die Stadt zu gehen, um das fröhliche, bunte Leben und Treiben in Freiburg erkennen zu können. Wo das stattfindet? Nochmal kommen, nochmal erleben. Leben!
Nicht Freiburg ist “ein bisschen unheimlich”, wie Markus Flohr abschliessend befindet, sondern ein völlig am Thema vorbei recherchierter Text, der vielmehr die komplette Ahnungslosigkeit des Autors wiedergibt, als dass er Freiburg beschreibt. Dass Markus Flohr einen Scheissabend in Freiburg verbracht hatte, ist seine persönliche Erfahrung. Die kann ihm keiner nehmen.
Und sollte sein Text eine Polemik sein, hat Markus Flohr das Genre verfehlt. Gegen eine Stadt, ihre Eigenarten, ihre Besonderheiten, ätzen, mit ihr in Sätzen voller Ablehnung, Wut und Hass abrechnen, kann nur, wer zuvor tiefe Gefühle für sie hatte oder immer noch hat. Markus Flohr aber hat keine Gefühle für Freiburg, keine, die enttäuscht, verletzt werden konnten, keine, die in Euphorie hätten gesteigert werden können. Deshalb trifft die vermeintliche Polemik nicht. Markus Flohr bleibt an der Oberfläche – was dann aber wieder zu seinen Erlebnissen, seiner persönlichen Erfahrung passt. Diese sind ebenfalls oberflächlich.
Und jetzt noch ein paar gute Sounds für’s Wochenende:
I Keith Worthy – Little White Earbuds Podcast
II Moomin – Melbourne Deepcast
III Azura – Love Triangle Mix
IV S3A – Input Selector Podcast
V Pharao Black Magic – Autumn Mix 2013