90.000 Besucherinnen und Besucher, 285 Galerien aus 34 Ländern, Gäste wie Richie Hawtin – so die Statistik der Art Basel 2014, die am Sonntag zu Ende gegangen ist. Die größte Kunstmesse der Welt in Szenen:
Lass dich gehen, stoße an deine Grenzen
Vier Frauen und ein Mann stehen im Kreis. Sie tragen Kopfhörer, halten sich an den Händen, die Augen geschlossen. Sie gehen einen Schritt nach links, einen nach rechts, einen vor und einen zurück. Sie stehen. Zehn, fünfzehn, zwanzig Sekunden. Der Mann reißt sich los. Er wirft den Kopf hin und her, schlägt mit den Armen um sich. Er trampelt auf der Stelle, jauchzt und schreit. “Ah, ah, ah.” Er erinnert an einen Voodoo-Priester, in den ein Geist gefahren ist.
“E so ebbis muess d’Art ushalte, ad Gränze goh”, sagt Charles, 54, zu seiner Begleitung Monique, 38. Charles war jahrelang Trader in “Nöi Yorck”. Seinen Nachnamen will er nicht veröffentlicht sehen. Er lebt mittlerweile wieder in Basel und arbeitet als freiberuflicher Berater. “Für’s Sackgeld”, sagt er (Fotos).
Lebensrettendes Taschengeld
Für ein “Sackgeld”, Schweizerdeutsch für Taschengeld, lässt sich auch die Performance des dänischen Konzeptkünstlers Christian Falsnaes erwerben, die die vier Frauen und der Mann aufgeführt haben. Sabine Schmidt, Inhaberin der Berliner Galerie PSM und Kuratorin des Künstlers, korrigiert. “Du kannst dir die fünf Soundfiles kaufen. Sie beinhalten Regienanweisungen. Die Akteure hören sie über Kopfhörer und müssen sie befolgen. Das Befolgen ist nicht jedermanns Sache. Für Falsnaes spielt der menschliche Körper und das, was sich mit ihm machen lässt, eine große Rolle”, sagt sie.
In diesem Augenblick nestelt der Mann, vielmehr der Performer, an seinem Gürtel. Er öffnet ihn, zieht ihn aus der Hose, öffnet Knopf und Reißverschluss, zieht die Hose aus. “Wenn er bis an seine Grenzen geht, zieht er sich aus”, sagt Schmidt. Auch ich sei bereits Teil der Performance, da ich dem Mann zuschaue, meint sie. Wer denn die Kaufinteressenten seien, frage ich. “Ein chinesischer Kunstmäzen hat sich die Soundfiles gekauft. Ich finde es ganz toll, dass es Menschen gibt, die für Performance-Kunst Geld haben, dem Künstler und natürlich auch uns Galeristen ein Auskommen ermöglichen.”
Tzk. Tzk. Tzk. Tzk. Tzk. Tzk.
Performances sind sowieso das Thema auf der Art Basel 2014. Hans Ulrich Obrist, Kurator auch der Gerhard Richter-Ausstellung in der Fondation Beyeler, und Klaus Biesenbach, Direktor der New Yorker Kunsthalle MoMa PS1, kuratieren die Schau “14 Rooms” in der Messehalle 3. Dort sind ebensoviele Räume aufgebaut, unter anderem “Touch Piece” von Yoko Ono.
Wer ihn betritt, sieht kaum die Hand vor Augen. Nach und nach müssen sich die Besucher an die Dunkelheit gewöhnen. Dabei kann es sein, dass er von fremden Menschen, die ebenfalls den Raum betreten haben, berührt wird. “Jede Performance hinterfragt die Gesellschaft und ihre Verhaltensweisen. Die Betrachter und Teilnehmer sollen mit ihren Ängsten, Empfindlichkeiten und Vorurteilen konfrontiert werden und sie im besten Fall ablegen”, sagt die Galeristin Schmidt.
In einem weiteren Raum der Messehalle 3 befindet sich auch eine Licht-Klanginstallation von Carsten Nicolai. Der gebürtige Chemnitzer lebt in Berlin, ist Mitgründer des Avantgarde-Labels raster-noton und arbeitet an den Grenzen von Klang und Geräusch. Diese macht er mit seinen Arbeiten erlebbar. Auf der Art Basel in Hong Kong hat er in diesem Frühjahr den 490 Meter hohen Turm des “International Commerce Centre” mit Lichtpulsen erhellt. In Basel muss eine paar Quadratmeter große Leinwand ausreichen. In dem Raum rauscht, knackt, knistert, britzelt und brutzelt es. Sinuswellen schwellen an, schwellen ab, schwellen an. Lichtpixel mäandrieren (Fotos).
Tzk. Tzk. Tzk. Tzk.
Himmlische Kunst, irdische Genüsse
Ganz irdischen Genüssen gehen die Besucher in der Rotunde der Messe Basel und an diversen Ständen vor und in den Hallen nach. Sie trinken Bier, Champagner, Kaffee, essen Quiches, Kalbsbratwürste und Sushi. Die – laut Messehostess weit über die Basler Stadtgrenzen hinaus beliebte – Kalbsbratwurst kostet 9,50 Schweizer Franken, ein kunstreich arrangiertes Sushi- oder Sashimi-Plättchen gibt’s ab 29,50 Schweizer Franken.
Ein Japaner, Mitarbeiter einer Tokyoter Galerie, hängt schlapp über dem Tresen. Missmutig rührt er in seiner Tasse herum. Später wird er ein Sushi-Plättli bestellen, zwei Seetangröllchen mit Lachs oder Thunfisch essen und den Rest angewidert liegen lassen.
Und dann die Langeweile
Franz Marc, Andy Warhol, Georg Baselitz: Die 45. Art Basel, an der 285 Galerien aus 34 Ländern teilnehmen, hält auch zahlreiche Klassiker bereit. In der Regel sind die schon verkauft, an Privatsammler, Kunstanleger oder Einkäufer von Museen. Manchmal auch an andere Galerien, “Zum Weiterverkauf!”, sagt ein Kenner der Szene. Apropos Szene: Unter den 90.000 Besucherinnen und Besuchern, etwa 6000 mehr als 2013, befinden sich auch etliche Kunststudenten, die durch die Gänge schlurfen, den Blick stets auf Smartphone oder Tablet gerichtet. Damit sind sie in guter Gesellschaft mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vieler Galerien, die sich hinter den Bildschirmen ihrer Macs verstecken.
Ihr Blick, ihre Haltung oszilliert zwischen “Alles schon erlebt, alles schon gesehen” und “Ich habe keine Ahnung, tue aber so”. Vielleicht widerspiegeln sie aber auch nur den Blick mancher Kunden. Ein Beispiel: “Was gefällt euch denn? Sucht ihr eher was Abstraktes?”, fragt ein Mitarbeiter der Galerie Eigen+Art mit Sitz in Berlin und Leipzig zwei Männer. “Och, eigentlich gefällt uns alles, wir fangen gerade erst mit Sammeln an”, sagt einer der beiden. Sie zucken mit den Schultern und schlendern zur nächsten Galerie. Matias Faldbakken: 20.000 Gun Shells.
Weiterführende Links:
Japanese Tease: Fotos: Art Basel 2014 – Part 1
Japanese Tease: Fotos: Art Basel 2014 – Part 2
Tageswoche: Art Basel 2014 – Der Liveblog zum Nachlesen
Tageswoche: Art Basel 2014 – Starke “Statements” an der Art Basel
Art Magazin: Art Basel 2014 – Bilanz Teil 1
Art Magazin: Art Basel 2013 – Bilanz Teil 2
[Die Reportage erschien auch im Freiburger Onlinemagazin fudder.de. Die Fotos stammen von Jakob Maragnoli, Gründer von Japanese Tease, einem Fachblogs für japanische Kunst, Kultur und Lebensart]
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