Resident-DJ im Berliner Club Watergate, Musikproduzent, Student der TU Berlin mit Hauptfach Philosophie: Tobias “Ruede” Hagelstein ist ein vielbeschäftigter Mann. Gerade hat er einen Mix für die Compilation-Reihe des Clubs Watergate beigesteuert. Hagelstein beginnt seinen Mix mit “Symfonisk Utviklingshemming” von Prins Thomas, einem Stück, das Sonnen- und Sternenlicht gleichermassen ausstrahlt. Am Mittwoch, 8. Mai 2013, spielt er im Freiburger Club Schmitz Katze, zehn Tage später, am Freitag, 18. Mai 2013, in der Kuppel in Basel. Ich habe mich mit ihm über Musikproduktion und Sampling-Kultur unterhalten und ihm die Frage gestellt, wann er eigentlich schläft:
Tobias, du bist Disc Jockey, Produzent und Student der Philosophie an der TU Berlin…
Tobias Hagelstein: …der Studiengang heißt eigentlich Kultur und Technik und mein Hauptfach ist Philosophie.
Mit welchen Themen der Philosophie beschäftigst du dich derzeit?
Die ganzen Philosophiesachen habe ich eigentlich schon abgeschlossen und belege derzeit viele Seminare, die ein wenig artfremd sind, zum Beispiel Autokommunikation.
Auflegen, produzieren, studieren, wann schläft Ruede Hagelstein?
Das Studium ist der Ausgleich zu meinem Musikeralltag. Ich muss etwas machen, was völlig fremd ist zu dem, was ich im Studio mache. Würde ich mich die ganze Zeit nur mit Musik beschäftigen, würde ich kreativlos werden. Beim studieren reflektiere ich auch das, was ich mache, Stichwort Kunsttheorie, Kopie und Original. Dinge aus den Sechzigern, Siebzigern und Achtzigern zu samplen und zu verwursten, ist ja sehr zeitgemäß…
Ein krasses Beispiel für Sampling-Kultur sind ja die Österreicher Klangkarussell.
Ich möchte mir eigentlich nicht den Mund zerreißen über die zwei Jungs. Ich und viele andere Produzenten wussten schon vorher, dass ihr Stück ‚Sonnentanz’ eine Collage ist. Dieser Fall ist auch nur deshalb so sensationell, weil die zwei es sich so verdammt einfach gemacht haben. Sie haben alle Samples aus einem einzigen Ordner verwendet. Das kommt schon frech rüber. Aber das ist momentan so normal. Wenn man sich durch so Sample-Libraries klickt und danach die Top 50 der Beatport-Charts anhört, erkennt man viele Samples sofort wieder. Das finde ich krass. Das entspricht überhaupt nicht meiner Philosophie. Ich will sagen können ‚das ist meins, das habe ich selbst gemacht’.
Aber durch die Decke ging das Stück trotzdem.
Die haben die Sachen so clever zusammengesetzt, dass das Ergebnis kommerziell gut verwertbar war. Das ist so, und den Endkonsumenten stört das nicht. Ich kann aber verstehen, wenn man als Künstler darauf neidisch wird, gerade wenn man selbst durch eine lange Schule gegangen ist und sich mühsam an der Musik abarbeitet. Aber wenn man mit Argwohn auf so Leute blickt, fehlt am Ende die Zeit, die man braucht, um sich auf seine eigenen Sachen zu konzentrieren.
Wo wir gerade von Erfolg sprechen: Disc Jockeys wie Sven Väth oder Matthew Dear haben schon sehr früh deine Musik für ihre Compilations auf Cocoon und Fabric lizensiert. Startschuss oder Ritterschlag deiner Karriere?
Ritterschlag, was ist das schon. Nur weil man auf irgendeiner Compilation vertreten ist, heißt das noch lange nicht, dass man ab sofort zu den Top Künstlern gehört. Damals war ich jedoch fassungslos. Ich hatte keine Erfahrung und konnte auch nicht richtig einordnen, was das bedeutet, wenn man auf so einem Mix drauf ist. Doch in dieser Branche muss man sich alle zwei Jahre neu erfinden. Deshalb sind das alles nur temporäre Erfolge. Davon kann man nicht lange zehren. Mir bedeutet es viel mehr, wenn Leute, die ich künstlerisch selber toll finde, meine Musik auswählen und spielen. Wenn beispielsweise jemand wie Dixon, der zu meinen Lieblingskünstlern zählt, meine Stücke supportet, dann baut mich das viel mehr auf als ein kommerzieller Erfolg.
Kürzlich erschien dein eigener Beitrag für die Compilation-Reihe des Berliner Clubs Watergate. Wie geht man heute an so einen Mix heran, wo es doch so viele Podcasts und Mitschnitte gibt?
In der Tat, der Leistungsdruck bei einer Compilation ist besonders hoch. Gleichzeitig sind die Mittel sehr eingeschränkt. Ich kann nicht einfach loslegen und die Stücke spielen, die mir gefallen. Ich muss eine Auswahl an Titeln treffen und die Lizenz dafür holen. Von fünfzig, sechzig angefragten Titeln sollten am Ende zwanzig, fünfundzwanzig passen. Dann beginnt das Arrangement. Ich habe mich gefragt, welche Stücke zueinander, aneinander, während einander und übereinander passen, denn in meinem Mix laufen teilweise drei Tracks gleichzeitig. Das ergibt eine völlig eigene Ästhetik, die nur in diesem Mix vorkommt. Erst dann hat man meiner Meinung nach einen Mehrwert geschaffen, bei dem sich auch der Erwerb lohnt.
Hört man dich so auch im Club?
Ja und nein. Der Mix beschreibt eine Clubnacht, von Anfang bis Ende, komprimiert auf etwas mehr als eine Stunde. Da liegen die Energielevel ganz dicht bei einander. In dieser Kompression wird man mich im Club nur selten erleben. Außerdem muss ich mich auch immer ein wenig an Uhrzeit und Publikum orientieren. Wenn ich zur Peaktime spiele, kann ich mit einem ruhigen Prins Thomas-Track nicht so punkten. Da spiele ich auch Stücke, die freakiger, ekstatischer sind. Das funktioniert auch nur im Club. Solche Ravetracks will tagsüber oder zuhause niemand hören.
Was hörst du denn zuhause?
Derzeit höre ich privat so gut wie gar keine Musik, da ich sehr viel Zeit im Studio verbringe und an den Wochenenden viel auflege. Da bin ich froh, wenn ich zuhause meine Ruhe habe. Ich mag diese Stille. Das sage ich momentan oft. Mein Musikgeschmack ist aber breitgefächert, Indie, Klassiker, und es gibt Tage, da kann ich auch Death Metal hören. Ich kann mich an unterschiedlicher Musik erfreuen und bin immer skeptisch, wenn sich Leute auf ein Genre festlegen und sagen ‚ich höre nur dies oder das’. Es gibt derzeit auch so viel neue, großartige Popmusik, aber da kenne ich mich zu wenig aus.
Mit deinem Projekt ‚The Noblettes’ schielst Du ja selbst in Richtung Pop.
Das ist mein Bandprojekt und eher so ein Proberaum-Ding. Wir treffen uns im Studio, da stehen Gitarre, Keyboard und weitere Instrumente, und wir jammen einfach los. Alles ist erlaubt, nur kein Techno. Nur Techno zu produzieren, würde meinem musikalischen Anspruch auch gar nicht genügen. ‚The Noblettes’ dient mir auch zur Weiterbildung. Ich nehme Gesangsunterricht, meine Gesangslehrerin ist Teil der Band, und ich kann hier ganz andere Emotionen rauslassen. Und live auf der Bühne zu stehen, das ist noch einmal eine ganz andere Nummer.
Dann wirst du dich in Zukunft vermehrt auf Live-Auftritte konzentrieren?
Mehr als ein, zwei Monate im Jahr würde ich mit meiner Band nicht auf Tour gehen. Auf der Bühne zu stehen, im Mittelpunkt stehen, ist sehr anstrengend. Alle gucken einen an, schauen einem auf die Finger und warten, was als nächstes kommt. Außerdem möchte ich mein House- und Techno-Ding weiter betreiben. Die Band ist einfach ein schönes Projekt, mit dem ich meine Seele streichle.
Watergate – Fishing with Ruede Hagelstein
Ruede Hagelstein – Watergate X Podcast
Facebook: Ruede Hagelstein
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de:bug: Musik hören mit Ruede Hagelstein
Ibiza Voice: Ruede Hagelstein and the Softer Side of Electronica
[Das Interview erschien bereits heute Mittag beim Freiburger Online-Magazin fudder.de]