Interview mit Michael Reinboth von Compost Records

Michael Reinboth BlogAuf Compost Records hat DJ Sepalot von Blumentopf genauso veröffentlicht wie die Detroiter Technolegende Carl Craig. An diesem Samstag legt Labelgründer Michael Reinboth in der Passage 46 auf. Ein Interview über Hexen in den USA, Fahrstühle und Künstler, die nie wieder auf Compost veröffentlichen dürfen.

Michael, wie gerne fährst du mit einem Aufzug?

Ich bin Aufzügen nicht feindselig gegenüber eingestellt. Ich fahre lieber mit dem Aufzug, als dass ich Treppen steige.

Was für ein Fahrstuhltyp bist du?

Ich bin der Typ Lastenaufzug. Lastenaufzüge finde ich gut. Wir haben hier im Büro unseres Plattenlabels auch einen. Die sind schön kühl. Das ist vor allem im Sommer sehr angenehm.

Du ahnst, worauf ich hinaus möchte: Beim sogenannten ‘Elevator Pitch’ hat man maximal zwei Minuten Zeit, seine Geschäftsidee optimal zu verkaufen. Überzeuge mich von Compost Records in sagen wir 30 Sekunden.

Compost Records hat sich über die Jahre zu einem der besten mitteleuropäischen Freistillabel entwickelt. Das zeigen die rund 500 Katalognummern, die in zwanzig Jahren erschienen sind. Was mich dabei stolz macht, ist, dass wir stets viele neue Künstler unter Vertrag genommen und nur wenige große Namen aufgenommen haben.

Trotzdem hat Compost Records den Ruf, ‘elevator music’ zu veröffentlichen, also Hintergrundmusik. Was tust du, um diesen Ruf loszuwerden?

Überhaupt nichts. Ich wehre mich nicht gegen diesen Vorwurf, denn jeder freut sich eigentlich über hochwertige Hintergrundmusik. Ihr schlechter Ruf kommt ja von der sogenannten ‘Muzak’, diesen Soundscapes, die von Servern kommen und sehr funktional sind. Die soll ja Kaufreize fördern. Die Musik, die auf Compost Records erscheint, besitzt dagegen eine Schönheit, die quasi in der Luft hängen bleibt. Man will, man muss ihr zuhören.

A Forest Mighty Black – Fresh In My Mind

Was war denn im Rückblick emotionaler für dich: der erste Kuss oder das erste Release?

Wenn ich ehrlich bin, hat mich das Drumherum immer mehr interessiert. Also die Vorbereitung auf das Label, die Namensfindung, Fragen rund um das Artwork, Schriftzüge, die Promo-Arbeit, der Kontakt zu den Künstlern. Auch heute noch bin ich gerne unterwegs mit den Jungs, denn im Club gibt es ja auch viel Drumherum. Viele Künstler, die wir veröffentlichen, haben wir über den Club kennen gelernt.

Apropos Namensfindung. Wie kam das Label zu seinem Namen?

Der Name hat drei Ursprünge. Als wir anfingen, begann die sogenannte Dotcom-Zeit. Der ganze Schriftverkehr lief noch über die Post und ein Faxgerät. Das Wort “.com” war sehr modern, das Wort “Post”, Bestandteil von beispielsweise “postmodern”, ist es ja immer noch. Damit haben wir ein wenig gespielt. Dann gab es in den Siebziger Jahren eine Fusionjazz-Band namens Compost. Die ist eher unbekannt, hat nur zwei Platten veröffentlicht, aber ich habe die und fand den Namen immer gut.

Dann erzählte mir eine Freundin, dass es einen internationalen Hexenzirkel namens Compost gebe. Das ist der Zirkel der positiven Hexen. Die treffen sich alle zwei Jahre in den USA. Ihre Zusammenkunft heißt Compost Meeting. Hintergrund ist, dass den Hexen im Mittelalter das Explodieren von Komposthaufen zugeschrieben wurde. Man konnte sich damals die chemische Reaktion aus Fäulnis, Nässe und Hitze nicht erklären. Auch heute können Komposthaufen noch explodieren, wenngleich das sehr selten geworden ist. Diese Geschichte fand ich toll und ich dachte mir, Compost könne als Label explodieren.  Was das Label ja dann getan hat.

Welche weiteren Entscheidungen aus der Gründungszeit wirken bis heute nach?

Die Grundsatzentscheidung, dass ich ein Freistillabel führen will. Compost Records sollte und soll auch heute noch offen sein für alle Einflüsse, die aktuell auf dem Dancefloor passieren und auf die Clubmusik ein wirken. Compost war und ist immer elektronisch gewesen und mit dem Zeitgeist gegangen. Das zeigen Platten, die Richtung Drum and Bass und Trip Hop gehen genauso wie Veröffentlichungen, die housig sind.

Wie oft kommt es denn vor, dass du Platten deines eigenen Labels im Club nicht erkennst?

Das passiert immer wieder einmal, zuletzt im Juni in Karlsruhe. Da spielte Steve Bug eine Nummer, deren Titel ich unbedingt wissen wollte. Er verriet mir dann, dass die auf Compost erschien. Das liegt aber auch daran, dass der Klang eines Stückes im Club eine ganz andere Dimension bekommt als im Studio oder im Büro.

An welchen Tagen ist dir die Arbeit über den Kopf gewachsen?

Solche Tage gab es nie, auch wenn ich mit dem Plattenlabel auch krasse Talsohlen erlebt habe. Wir hatten Betriebspleiten und haben sehr viel Geld verloren. In diesen Zeiten brauchte es viele Kunstgriffe und Gespräche mit Künstlern, um das Projekt zusammen zu halten. Aber wir haben es geschafft, zu überleben. Im Nachhinein haben wir gemerkt, dass uns diese Erfahrungen stark gemacht haben. Wir haben gelernt, nach vorne zu denken.

Ist Compost Records mittlerweile too big to fail?

Das kann ich so nicht unterschreiben. Labelarbeit bedeutet immer, um Marktanteile zu kämpfen. Mit Sublabels wie Compost Black und Compost Disco haben wir uns über die Jahre breiter aufgestellt. Das hat dazu beigetragen, dass junge Käufer und Disc Jockeys auch das Kernlabel wieder stärker warnehmen.

Junge Disc Jockeys kaufen Compost-Platten?

Die entdecken uns erst jetzt und kaufen den Backkatalog nach. Seit Labelgründung sind ja drei oder vier Feiergenerationen nachgewachsen. Das steigert die Gesamtawareness. Das merken wir besonders dann, wenn ein- oder zwei Mal ein kleiner Hit auf dem Label erscheint. Unsere Musik wird ja auch von Disc Jockeys wie Sven Väth oder Dixon positiv wahrgenommen.

Das sind große Namen. Du hattest ja auch Detroit-Legenden wie Carl Craig und Moodymann auf dem Label. Kennst du alle Künstler persönlich?

Das Gros der Künstler kenne ich persönlich. Viele habe ich beim Auflegen getroffen, auf Festivals und auf meinen eigenen Clubnächten in München. Da hatte ich die zu Gast. Da ich aber nicht mehr so viel unterwegs bin, hat das natürlich abgenommen.

Beanfield – Tides (Carl Craig Remix)

Ohne Kompromisse kann man kein Plattenlabel führen. Welche bist du eingegangen?

Diverse. Bei manchen Veröffentlichungen wollten wir, dass der Künstler an dem einen oder anderen Stück vom Album noch nachbessert. Das war aber entweder zeitlich nicht mehr machbar oder der Künstler war nicht mehr umstimmbar. Auch beim Artwork geht man immer Kompromisse ein. Künstler wollen Prägedruck, Teillackierung, bedruckte Innenhüllen, einen hochdotierten Grafiker. Sie haben Vorstellungen, die finanziell nicht immer machbar sind.  Heute gehören auch digitale Bonustracks dazu. Manche bringt man als Label raus, auch wenn man musikalisch nicht unbedingt dahinter steht. Aber wenn sie der Künstler vielleicht selbst schon beauftragt hat, kommt man ihm damit auch entgegen.

Hast du auch schon einmal Stücke zurückgewiesen?

Ja. Bei Rey & Kjavik war das so. Und einen Remix von Matthew Herbert, den er für den Züricher Kalabrese angefertigt hat. Die Version, die er abgeliefert hat, hatte überhaupt nichts mehr mit dem Ausgangsmaterial zu tun. Das klang so, als ob er irgendeine Skizze genommen hat, die er auf der Festplatte hatte. Er meinte, wir könnten es unter seinem Alter Ego ‘Dr. Rockit’ veröffentlichen. Das aber haben wir nicht mitgemacht. Er musste nachbessern, und das Ergebnis ist wirklich fantastisch.

Wer darf denn nie wieder auf Compost Records veröffentlichen?

In den ganzen Jahren gab es vielleicht drei, vier Produzenten, mit denen wir Probleme hatten. Die waren nur auf schnelles Geld aus, wurden unzufrieden und wollten weg von uns. Andere wieder hatten höhere Ziele, wollten sofort ein Album und gingen dann woanders hin. Die sind aber alle nicht mehr da, haben sich verstreut oder aufgelöst. Aber ich hege keine Animositäten gegenüber diesen Künstlern. Wenn die mir jetzt etwas anbieten, was mich umhaut, würde ich mir trotzdem überlegen, ob ich die Musik nicht doch veröffentliche.

Kalabrese feat. Khan – Desperate Man (Matthew Herbert Remix)
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Und wen möchtest du unbedingt unter Vertrag nehmen?

Ich habe noch zwei, drei Träume, die ich bisher aus Zeitmangel nicht verwirklicht habe. Dazu gehört zum Beispiel, ein Piano-Album zu veröffentlichen. Ich bin ein ganz großer Fan von Chilly Gonzales. Ich kann mir auch vorstellen, in die Richtung Kammermusik trifft Elektronik zu gehen. Musik, wie sie das Penguin Cafe Orchestra veröffentlicht hat, gefällt mir ausgesprochen gut. Vielleicht werden wir in Zukunft auch etwas runterfahren und nur noch zwei, drei Projekte pro Jahr verwirklichen. Diese Freiheit kann man sich aber erst im hohen Alter leisten.

Wieviel Freiheit nimmst du dir eigentlich beim Auflegen?

Das ist schwierig. Man wird ja kaum noch als Freistil-Disc Jockey gebucht. Und wenn man dann einmal im Club spielt, bewegt man sich auf dem schmalen Grat zwischen dem eigenen Anspruch und der Tatsache, dass man das Publikum bewegen muss. Das ist heute besonders schwer, da viele Clubs straight auf elektronische Musik ausgerichtet. Ich denke aber, das kommt zurück.

Woran machst du das fest?

Auf der einen Seite kann ich gut verstehen, dass manche Leute auf einem House-Trip gut durch die Nacht fahren. Andererseits fühlen sich inzwischen viele Leute davon gelangweilt und wollen Abwechslung. Inzwischen gibt es auch wieder viele junge Disc Jockeys, die Jazz, HipHop, House, Techno und Disco im Verlauf eines Sets gut zusammenfügen können.

Und bei wem wirst du zum Fan?

Unter anderem bei Theo Parrish. Aber auch bei DJ Koze. Der wagt etwas, der hat auch die Chuzpe, aus diesem strengen Vierviertelkorsett auszubrechen und ein Set in eine ganz andere Richtung zu bringen. Mit diesen beiden kann man eine musikalisch wundervolle Reise machen.

Was: Compost Records Labelnacht | DJs: Michael Reinboth, Thomas Herb, Sharokh Dini, Rainer Trüby | Samstag, 25. Juli 2015, 23 Uhr | Passage46 | Freiburg

Zur Person

Michael Reinboth wurde 1959 in Hannover geboren. Dort gründete er im Alter von zwanzig Jahren zusammen mit Thomas Elsner und Christian Wegner das Magazin ELASTE, das erste deutschsprachige Hochglanzmagazin für Lifestyle, Kultur und Gesellschaftsthemen. Von 1980 bis 1985 veröffentlichten darin unter anderem Maxim Biller, Dietrich Diedrichsen, Andreas Dorau und Thomas Meinecke. 1984 gewann das Magazin den “European Design Award for Print Magazine”. 1982 zog Reinboth nach München, um Journalismus zu studieren.

1991 startete er zusammen mit Theo Thönnessen und Forian Keller die Clubnacht “Into Somethin'”, die Drum and Bass, TripHop, HipHop, Disco mit House und Techno vereinte. Bis zu ihrem Ende im Jahr 2001 waren die Clubabende ein Blueprint für Freistil. 1993 startete er das Plattenlabel Compost Records, auf dem bis heute so unterschiedliche Künstler wie Wigald Boning, Fauna Flash, Jazzanova oder Robag Wruhme veröffentlichten – aber auch die Freiburger Sarrass und Rainer Trüby. Dessen Compilation-Reihe “Glücklich” gehört bis heute zu den erfolgreichsten Veröffentlichungen auf Compost Records.

[Das Interview erschien auch im Freiburger Onlinemagazin fudder.de]

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