Foto: Promo |
Jazz, Soul und Funk sind das Fundament der Stücke von Danilo Plessow, bekannt auch als Motor City Drum Ensemble (MCDE). Das zeigt zum Beispiel sein Beitrag zur DJ-Kicks- Compilation-Serie des Berliner Labels K7! Records. 2011 erschienen, spannt Plessows darauf den Bogen vom kosmischen Jazz eines Sun Ra über raren Disco-Funk aus dem New York der achtziger Jahre zum unterkühlten, minimalen Techno eines Robert Hood.
Im Dezember 2006 spielte er zum ersten Mal auf Rainer Trübys “Root Down”-Party in Freiburg, damals noch als Inverse Cinematics. So wird sein erneuter Auftritt im Waldsee am Samstag, 25. Januar 2014 – zum 18. Geburtstag der Reihe – fast ein Heimspiel.
Danilo, in englischen Musikmagazinen liest man immer wieder, dass Du bald ein Album veröffentlichen wirst. Wann ist es so weit?
Danilo Plessow (MCDE): Ich bin ein sehr bedächtiger Typ, wenn es um die Musik geht. Lieber veröffentliche ich nichts, bevor ich nur Halbgares rausbringe. Deshalb zieht sich die Arbeit an einem Album auch lange hin. Ich habe vor einigen Jahren als Inverse Cinematics ein Album gemacht. Das war bereits damals ein intensiver Prozess. Ich tue mir mit Alben einfach schwer, deshalb kann ich nicht sagen, wann es erscheint.
Dein Inverse Cinematics-Album „Passin’ Through“ erschien 2008. Wie unterscheidet sich deine Studioarbeit damals zu heute?
Danilo: In den vergangenen fünf, sechs Jahren bin ich in einem positiven Sinn gereift. Ich habe meine musikalische Handschrift gefunden. Noch zu Inverse Cinematics-Zeiten habe ich mit vielen musikalischen Richtungen experimentiert und mich intensiv mit der Broken Beats- und NuJazz-Szene beschäftigt. Mir hat da auf Dauer so etwas wie Langlebigkeit und Zeitlosigkeit gefehlt.
Warum?
Danilo: Viele Produzenten aus dem Broken Beats- und NuJazz-Bereich lehnen sich an die Soul-Jazz-Funk-Grooves der 60er und 70er Jahre an. Sie betreiben mit ihrer eigenen Musik aber vielmehr eine Historisierung, als dass sie etwas Neues schaffen. Das ist schön und gut, es gibt auch tolle Platten aus dieser Zeit, aber heute sehe ich diese Bewegung durchaus auch kritisch.
Jazz, Soul und Funk sind zwar auch heute noch ein ganz großer Nenner meiner Musik. Ich setze diese Genre allerdings in einen anderen Bezug.
Wie bei Deiner Raw Cuts-Serie?
Danilo: Ja, definitiv. Diese Stücke sind aus dem Bauch heraus entstanden. Manche dieser Stücke schlummerten aber eine ganze Weile auf meiner Festplatte, bevor ich sie rausgebracht habe. Oder nimm meine letzte Platte „Send A Prayer“. Das Ausgangsmaterial der Stücke ist eigentlich zwei, drei Jahre alt.
Wenn man Musik nach dieser Zeit immer noch gut findet, ist das für mich ein Indiz dafür, dass man sie auch in zehn Jahren noch gut finden wird. Diese Art von Zeitlosigkeit ist für mich als Produzent sehr wichtig. Das strebe ich an. Aber am Ende des Tages muss die Musik vor allem mir selbst gefallen.
Motor CIty Drum Ensemble – Raw Cuts 001
Manche Werke müssen auch reifen, wie ein Wein.
Danilo: Ganz genau. Viele Disc Jockeys hauen heute einfach Platten raus, um ihr Künstler-Portfolio zu vervollständigen. Ihre Musik ist jedoch beliebig. Sie bauen ihre Stücke nach dem Muster ‚sechzehn Takte Drumloop, erste Break, Filter, sechzehn Takte Drumloop, zweiter Break’ auf. Da steckt nichts dahinter. Das langweilt mich.
Wie gehst Du denn an einen Track ran?
Danilo: Ich habe zig Synthesizer und Drumcomputer zuhause stehen. Mit denen habe ich viel gearbeitet und benutze sie auch heute noch. Tief im Herzen bin ich aber viel zu sehr Soulboy und der Plattentyp, der etwas sampelt und aus dem Sample einen Track herausarbeitet. Die Motor City ist ganz tief in mir verwurzelt.
Was Du auch produzierst, wird mit Begeisterung aufgenommen. Das schürt aber auch Erwartungen. Wie gehst Du mit der Erwartungshaltung der Leute um?
Danilo: Alle Stücke, die ich produziere, mache ich in erster Linie für mich selbst. Mir geht es zunächst darum, zu sehen, welche Gedanken und Gefühle in in mir drin ist und auf diesem Weg raus wollen. Wenn ich das Stück Jahre später höre und noch erkenne, was für Gefühle in mir drin waren und ob sie für mich noch relevant sind, hat es eine Aussage. Zu dieser stehe ich auch noch in zehn Jahren. Deshalb komme ich mit Erwartungshaltungen gut zurecht.
Schwierig wird es jedoch, wenn ich nicht auf meine innere Stimme höre, wenn mich andere Leute bestürmen und sagen, ‘mach doch einen Track hierfür’, ‘mach doch einen Remix für dieses oder jenes Label’.
Das zehrt dann auch an einem. Man brennt leer.
Danilo: Das habe ich Ende 2011 gemerkt. Ich hatte zu dieser Zeit vier Jahre fast ununterbrochen aufgelegt, zehn, zwölf Auftritte pro Monat. Dazu kamen unzählige Remixanfragen. Während dieser Zeit habe ich meine innere Stimme zurückgedrängt. So habe ich nicht gemerkt, was mein Körper und meine Seele verlangt haben.
Wie hast Du das festgestellt?
Danilo: Auf langen Interkontinentalflügen habe ich mich auf einmal unwohl gefühlt. Ich habe eine Flugangst entwickelt, obwohl ich Vielflieger war. Ich habe mich ausgeliefert gefühlt und das Gefühl der Hilflosigkeit auf andere Bereiche übertragen. Darunter haben auch meine Kreativität und Schaffenskraft gelitten.
Was hast Du dagegen unternommen?
Danilo: Slow it down. Ich mute mir nicht mehr so viel Reisestress zu. Ich lege nur vier, fünf Mal im Monat auf. Wenn ich Gigs in den USA oder Australien spiele, nehme ich mir Zeit. Ich verbringe wenigstens zehn Tage im Land. Wann immer es sich einrichten lässt, begleitet mich meine Freundin. Außerdem achte ich auf meinen Körper und mache regelmäßig Sport.
Ich habe für mich festgestellt, dass ich dadurch auch wesentlich besser auflege. Ich habe mehr Zeit und kann mich auf meine Sets intensiver vorbereiten. Ich spiele nicht mehr Platten, weil ich weiß, dass sie auf der Tanzfläche funktionieren. Ich spiele Platten, weil ich von ihrer Schönheit überzeugt bin, weil ich weiß, dass das Stück ein schöner Song ist.
Das zeigt sich auch auf Deiner DJ-Kicks-Compilation. Sie beginnt mit Jazz von Sun Ra und geht zu Robert Hoods Techno.
Danilo: Als Sechzehnjähriger habe ich in verschiedenen Stuttgarter Bars aufgelegt. Das war eine harte Schule. Da muste ich sechs, sieben Stunden pro Abend auflegen und das Publikum unterhalten. Ich habe Soul, Disco, Boogie, Hip Hop, House und Techno gespielt. Einen ganzen Abend nur House auflegen ist auch langweilig.
Das ist auch der Spirit, den ich heute noch beim Auflegen habe: ohne Scheuklappen gute Musik spielen, egal von wann sie ist und ob sie einen Bassdrum hat. Das machen leider nur wenige Disc Jockeys, aber das macht die Persönlichkeit eines Disc Jockeys aus.
Zum Beispiel Maurice Fulton oder DJ Harvey.
Danilo: Ja. Diese Disc Jockeys haben ein Following gerade deshalb, weil sie ihr Ding machen und Platten auflegen, die man noch nie gehört hat. Genauso auch Floating Points. Mit ihm habe ich im Dezember 2013 in Utrecht back to back aufgelegt. Wir haben den ganzen Abend keine einzige House-Platte aufgelegt, sondern nur Disco, Funk und Soul. Das war sehr cool. Schön fand ich, dass die Leute in Utrecht dazu abgingen, da in den Clubs dort sonst eher hart aufgelegt wird.
Durch deine Gigs kommst du viel rum. Wie haben dich deine Reisen als Disc Jockey geprägt?
Danilo: Wenn ich in einem Land bin, versuche ich immer, lokale Musik zu kaufen. Wenn ich nach Japan reise, kaufe ich japanische Fusion Jazz-Platten. Aus Brasilien bringe ich brasilianischen Jazz, Funk und Samba mit. Und Musik aus den USA – eh klar. So habe ich immer ein Stück der Musikkultur, das ich mir mitbringe.
Zählst du noch deine Platten?
Danilo: Nein. Ich glaube, ich habe meine Platten noch nie gezählt. Aber ich kann zu mindestens 90 Prozent meiner Platten sagen, wo ich sie gekauft habe, und wahrscheinlich auch, was ich dafür bezahlt habe. Eine meiner größten Stärken ist mein Gehirn, was Platten und Musik betrifft. Musik ist bei mir ganz tief drin. Seitdem ich in Holland lebe, haben das Plattendiggen und –sammeln noch einmal zugenommen.
Holland, das Plattensammlerparadies?
Danilo: In Holland geht diesbezüglich vielmehr. Als Beispiel nenne ich nur Waxwell Records in Amsterdam. Das ist ein Laden, der auf schwarze Musik spezialisiert ist. Es ist unheimlich, was da für Platten durchlaufen. Waxwell hat konstant die krassesten Sammlungen, die sie aus Amerika aufkaufen und zu fairen Preisen anbieten. Von superrarem New York Disco zu Afrobeat, einfach alles. So etwas gibt es in Deutschland nicht.
Du hast ja eine zweite Sammelleidenschaft: Drumcomputer und Synthesizer.
Danilo: Ich habe mir als Teenager meinen ersten Synthesizer gekauft, einen billigen Korg Analog-Synthie. Ich habe die erste Taste gedrückt, und von da an war alles klar. So einen Sound hatte ich zuvor noch nie gehört. Seitdem sammle ich Synthesizer. In letzter Zeit habe ich aber auch angefangen, auf Recording-Equipment zu setzen, Bandmaschinen und Mischpulte.
Was hat sich über die Jahre zu deinen Lieblingsgeräten entwickelt?
Danilo: Zwei Geräte haben bei mir alles umgekrempelt, die MPC3000 und die SP-12. Ohne die zwei hätte ich derzeit nicht so viel Spaß beim Produzieren. Die sind sehr rudimentär. Da gibt es keine Effektbänke oder sonst irgendwas. Das ist wirklich nur ein Basis-MIDI-Sequenzer mit einer Sampling-Engine.
Eine MPC macht aber viel schneller Spaß als ein Programm wie Ableton oder Cubase. Man fühlt sich da schneller zuhause. Ich fühle mich zwar auch bei Cubase zuhause. Mit diesem Programm arbeite ich seit etwa zehn Jahren. Aber es hat lange gebraucht, bis ich sagen konnte, ‚ich beherrsche das Programm’.
RA Live – 2013.10.19 – Motor City Drum Ensemble, Trouw, Amsterdam
Mehr zu MCDE:
Facebook: Motor City Drum Ensemble
Soundcloud: Motor City Drum Ensemble
Webseite: Motor City Drum Ensemble
Stuttgarter Zeitung: Interview mit Motor City Drum Ensemble
YouTube: ResidentAdvisor – Between the beats: Motor City Drum Ensemble (2013)
Resident Advisor: Machine Love – Motor City Drum Ensemble (2009)
Louche: Interview: Motor City Drum Ensemble
Wunderkind: Interview: Motor City Drum Ensemble (2010)
[Dieses Interview erscheint in einer gekürzten Fassung auch im Freiburger Onlinemagazin fudder.de]
schönes interview, bernie +++ vlg aus der unterwelt! gez. artur