Vielschichtige Musik oder schnödes Bummbumm: Wer sich außerhalb der House- und Techno-Blase befindet, neigt dazu, Letzteres für wahr zu halten. Welche Stücke ihn von der Schönheit der elektronischen Beats überzeugen könnten:
Todd Terje – Eurodans (Full Pupp)
Üppig-überbordende Synthesizer-Akkorde, Glöckchen-Klänge und ein vor Funk nur so strotzender Bass: Der Norweger Todd Terje, der eigentlich Terje Olsen heißt, ist der Giorgio Moroder der Nuller- und Zehnerjahre, der König Midas der Space Disco-Szene. Was er in seinem Studio in Oslo anfasst, wird zu Gold – oder ein Nummer-eins-Hit in Großbritannien.
So zum Beispiel der Robbie Williams-Song “Candy” aus dem Jahr 2012. Dessen Begleitinfos weisen den Norweger als Co-Produzenten aus, denn Williams übernahm zunächst ungefragt Bestandteile von Olsens Stück “Eurodans” aus dem Jahr 2004. Dass hinter jedem kommerziell erfolgreichen Song eigentlich ein Terje Olsen steckt, ist also gar nicht so unwahrscheinlich.
Jürgen Paape – So weit wie noch nie (Kompakt)
So viel Pop wie nötig, so wenig wie möglich: Dem Kölner Elektronikmusiker Jürgen Paape gelingt mit seinem Stück “So weit wie noch nie” zwischen schmalzig-süßlicher Feuerzeug-Schnulze und Club-Hit. Das erschien 2002 beim Kölner Techno-Plattenlabel Kompakt, das Paape mit den Brüdern Reinhard und Wolfgang Voigt und Jörg Burger 1998 gegründet hat.
Bei aller futuristischen Unterkühltheit, die dem Genre anhaftet, schimmert bei Veröffentlichungen auf Kompakt immer ein wenig der rheinische Frohsinn durch. So auch in dem leicht dadaistisch angehauchten Liedvers von “So weit wie noch nie”: “Wir machen aus Stunden ein Jahr und Mondschein aus unserem Haar.”
Faze Action – In The Trees (Nuphonic)
Volle Streicherklänge, von Violine bis Kontrabass, vom ARP- bis zum Waldorf-Synthesizer, haben in der elektronischen Musik regelmäßig große Auftritte. Das britische Elektronik-Duo Simon und Robin Lee alias Faze Action haben 1996 mit “In The Trees” ein Werk mit orchestraler Dichte geschaffen. Es baut auf einer schwebenden und zugleich tragenden Cello-Melodie auf, die sich leitmotivisch durch das ganze Stück hindurch zieht. Elektronische Musik klang selten wärmer, menschlicher.
Metro Area – Caught Up (Environ)
Das Stück “Caught Up” steht stellvertretend für das Gesamtwerk der New Yorker Disc Jockeys und Produzenten Morgan Geist und Darshan Jesrani. Als Metro Area bringt das Duo den musikalischen Geist der New Yorker Clubkultur, ausgehend von der Disco-Blütezeit in den 1970er Jahren, auf den Punkt. Klangliche Präzision, beeinflusst von Elektronik-Bands wie Kraftwerk, trifft auf schwarzamerikanischen Boogie und Soul.
Galaxy 2 Galaxy – Hi Tech Jazz (Underground Resistance)
Detroit war und ist die Mutterstadt des Techno. Zu den treibenden Kräften der dortigen Musikszene gehörte und gehört immer noch Michael Anthony Banks, auch Mad Mike Banks genannt. Er ist Gründungsmitglied der Underground Resistance, einem Kollektiv wechselnder Musiker. Sie verstecken sich hinter zahlreichen Pseudonymen, bei Live-Auftritten tragen sie schwarze Overalls, Militärkleidung und verbergen ihre Gesichter hinter Skimasken. Ihre Aussage: Der Star ist die Musik, nicht die Person. Ihre Musik: zeitloser, melancholischer Maschinen-Soul. Hi-Tech Jazz.
Omar-S – Psychotic Photosynthesis (FXHE)
Juan Atkins, Carl Craig, Kenny Dixon Jr. Erste, zweite, dritte Welle. Eine musikgeschichtliche Katalogisierung Detroiter Techno-Produzenten fällt schwer, zu sehr greifen ihre persönlichen Verbindungen ineinander. Wie ein erratischer Block ragt aus ihnen heraus: Alex Omar Smith, besser bekannt als Omar-S.
Tagsüber arbeitet er in einer Autofabrik, nachts bearbeitet er seine Drumcomputer und Synthesizer. Aus diesen treibt er stotternde, stolpernde, rumpelige Bassdrums, satte Funkbässe und dramaturgisch fesselnde Melodieläufe heraus. Über sein “Psychotic Photosynthesis”, erschienen 2007, sagt er in einem Interview mit dem Onlinemagazin Resident Advisor: “Das ist die beste Platte, die ich seit zehn Jahren gehört habe.” Man glaubt ihm das gerne.
Choice – Acid Eiffel (Fragile)
Choice ist das musikalische Alter Ego von Laurent Garnier. Geboren 1966 in Boulogne Billancourt, einem Vorort von Paris, gilt er heute als Techno-Legende. Seine Musik, die sich aus Einflüssen von Breakbeats, Techno und House speist, wird in Onlineportalen und Feuilletons angesehener Tageszeitungen gleichermaßen gelobt.
Als Disc Jockey legt Garnier, der auch schon im Auftrag des Institut Français in Sachen Klubkultur die Welt bereist hat, gerne mal über 12 Stunden am Stück auf. Wer so lange auflegen kann, kann auch epische Stücke produzieren. Das zeigt zum Beispiel “Acid Eiffel”, eine Hommage an den Synthesizer Roland-TR 303.
Sein Künstler-Alias und viele seiner Werktitel, “Bleu” eingeschlossen, weisen nach Frankreich. Doch Isolée, der eigentlich Rajko Müller heißt, ist in Frankfurt geboren, in Algerien aufgewachsen und lebt heute in Hamburg. Seit Mitte der 1990er Jahre veröffentlicht er Musik, für die er Klänge und Rhythmen dekonstruiert und in Miniaturen zusammenfasst. Seine Bassdrums pulsieren ruhig, stoisch, mit wenigen Effekten, Echo oder Hall, öffnet er magische Klangräume. Blau, die Himmelsfarbe, ist ein Symbol für Weite und Unendlichkeit. Solche vermittelt er auch mit “Bleu” – die B-Seite seines weltumspannenden Hits “Beau mot plage”.
Zugegeben: “Rej”, erschienen 2005, machte das einstige Karlsruher und heute in Berlin lebende Produzenten-Duo Frank Wiedemann und Kristian Beyer gewissermaßen über Nacht weltweit bekannt. Kaum ein Open Air-Festival oder Club, kaum eine halblegale, aus Laptop-Boxen beschallte Afterhour unter Brückenpfeilern, auf denen dieses Stück nicht gespielt wurde.
Ein paar Monate früher, im Spätsommer 2004, veröffentlichten Wiedemann und Beyer mit “Shiro” ihr vielleicht schönstes Stück. Sieben Minuten tiefschürfender, hypnotischer House, der das Tor zum Streicher- und Piano-Himmel öffnet.
Joy Orbison – Hyph Mngo (Hotflush)
Dubstep, Garage, House, Techno: Weil sich “Hyph Mngo” von Peter O’Grady alias Joy Orbison in keine Schublade zwängen ließ, bastelten findige Musikjournalisten das Genre “Future Garage”. Wie dem auch sei: Die steppend-stampfenden Beats, die sphärisch an- und abschwellende Synthesizer jagen auch fünf Jahre nach Erscheinen der Platte Euphorieschauer durch die Körper. Nur Stille ist schöner.
[Dieser im Stile eines ‘Dummy’s Guide to House/Techno’ gehaltene Beitrag wurde für die Leserinnen und Leser von badische-zeitung.de verfasst. Diese jagen White Label-Pressungen, Disco Dubs und Proto House-Platten nicht hinterher- anders als die Leserinnen und Leser dieses Blogs]