“Der Club ist mein Zuhause”: Interview mit Henrik Schwarz

Henrik Schwarz BlogHenrik Schwarz produziert House und Techno für den Club, macht Jazz mit dem norwegischen Musiker Bugge Wesseltoft und schreibt Stücke für das Staatsballett Berlin. Ein Interview über Spaßkultur im Club, Auftritte in Konzertsälen und Klavier spielen.

Der House-Produzent Henrik Schwarz veröffentlicht ein Klassik-Album. Wie passt das zusammen?

“Instruments” ist für mich kein Klassik-Album, sondern ein akustisches Werk. Ich habe mich beim Produzieren nur eines klassischen Apparats bedient. Sieben meiner Stücke habe ich mit dem Arrangeur Johannes Brecht bearbeitet und für klassische Instrumente umgeschrieben. Eingespielt haben sie ausgebildete Musiker des Tokyo Secret Orchestra unter Leitung des Dirigenten Emi Akiyama.

Dennoch tun sich auf “Instruments” Parallelen zur Minimal Music eines Steve Reich oder Philipp Glass auf.

Das lese ich immer in den Rezensionen. Natürlich haben ein Reich oder Glass die elektronische Musik auf irgendeine Art und Weise beeinflusst. Meine Stücke kommen aber aus dem Club. Meine Musik kommt aus einem Techno-Verständnis heraus. Deshalb finde ich es eigentlich nicht schön, wenn man meine Musik in der Nähe dieser Komponisten verortet.

Warum?

Jeder, der elektronische Musik hört, kann auch etwas mit den repetitiven Kompositionen eines Steve Reich anfangen. Sich diesen anzunähern, wäre deshalb für mich als Produzent der kürzeste Weg, den ich im bereich der klassischen Musik gehen könnte. Es gibt viel interessantere, komplexere klassische Musik, zum Beispiel von Maurice Ravel. Sich da rein zu arbeiten, ist allerdings anstrengend.

Haben Sie deswegen Klavier spielen gelernt?

Ich wollte Klavier spielen lernen, weil mich dieses Instrument schon immer angezogen hat. Was ich dabei über Harmonielehre und Notation gelernt habe, hat mir aber sehr geholfen, mit den Musikern des Orchesters zu sprechen. Eine gemeinsame Sprache ist eine wesentliche Voraussetzung für eine gute Zusammenarbeit.

Wie kommt man überhaupt dazu, seiner Musik einen akustischen Anstrich zu verpassen?

Das kam sehr spontan. Vor fünf Jahren haben mich die Organisatoren des Stuttgarter JazzOpen-Festivals für einen Auftritt eingeladen. Für ihr Programm hatten sie noch einen Musiker gesucht, der aus der elektronischen Ecke kommt und irgendetwas mit einem Orchester machen könnte. Ich habe kurz nachgedacht und mich auf dieses Experiment eingelassen. Ein Arrangeur hat mir geholfen, meine Stücke in eine Partitur umzuschreiben. Während der Proben tat sich für mich eine neue Welt auf.

Die Sie seither nicht mehr losgelassen hat.

Als ich meine Musik zum ersten Mal in einer akustischen Version gehört habe, war ich sehr bewegt. Ich habe viele neue Klänge gehört, denen ich auf den Grund gehen wollte. So reifte auch der Gedanke, ein akustisches Album zu produzieren.

Ein Abschied vom Club auf Raten?

Ganz und gar nicht. Der Club ist mein Zuhause. In diese Umgebung bin ich über zwanzig Jahre natürlich rein gewachsen. Er ist mein persönliches und künstlerisches Zentrum, von dem alles ausgeht. Im Club teste ich, wie meine Musik wirkt, was sie für eine Energie beinhaltet und was für Gefühle sie beim Publikum auslöst. Ein Konzertsaal ist für mich nur ein anderer räumlicher und sozialer Kontext.

Das heißt?

Mir geht es dabei um die Frage, wie man seine Musik an unterschiedlichen Orten spielen kann. Meine Clubsets sind sehr spontan. Ich morphe und verfremde meine Tonspuren und Drumloops immer wieder neu. Das Publikum verlangt das, genauso wie es eine treibende Bassdrum braucht. In einem Konzertsaal hat diese Form der Improvisation nichts verloren. Da will ich von jeder Note ganz genau wissen, wer sie spielt und wie lange er sie spielt.

Im Konzertsaal sind auch Sie nicht mehr sichtbar. Fehlt Ihnen da nicht etwas?

Das ist die größte Veränderung, die ich als Musiker und Produzent mitgemacht habe. Der Computer hat die Musik entwickelt. Die Sequenzen und Komplexitäten habe ich mit dem Rechner erzeugt. Dann aber verschwinden beide und sind nicht mehr sichtbar. Es geht aber auch gar nicht um meine Person, weder im Club noch im Konzertsaal. Der Computer und die Musik, die ich mit ihm erzeuge, sind das Zentrum.

Sie schreiben außerdem Musik für das Staatsballett Berlin, vertonen Stummfilme und machen Jazz mit Bugge Wesseltoft. Woher kommt diese Energie?

Ich finde es gut, etwas Anstrengendes zu machen, auch wenn es zwischendurch Phasen gibt, in denen man als Künstler leidet. Doch Schmerz und Leid gehören genauso dazu wie Freude und Heiterkeit. Mit der Zeit merkt man, dass es leichter wird. Ich arbeite gerne ernsthaft und habe Spaß an der harten Arbeit.

Ein Gegensatz zur Spaßkultur des Clubs.

Die Clubkultur ist tatsächlich hedonistisch veranlagt, und das ist auch gut so. Trotzdem hat mich parallel dazu schon immer interessiert, wie ich ihr etwas Bleibendes zwischen die Zeilen schreiben kann. Etwas ernsthaftes. Das aber erfordert viel Einsatz. Vielleicht war ich einfach nur größenwahnsinnig und naiv genug, mich auf so viele Projekte einzulassen. Am Anfang wusste ich nämlich nicht, was alles auf mich zukommen würde. Die Welt der Orchester und Konzertsäle ist sehr komplex. Das wird noch eine Zeit dauern, bis ich mich in ihr leichtfüßig bewege.

Wie fühlt sich diese Bewegung denn an?

Ich laufe Marathon auf ganz vielen Ebenen. Im Clubbereich habe ich mein ideales Tempo bereits gefunden. Im Jazz komme ich allmählich dorthin. In der klassischen oder akustischen Musik bin ich gerade los gelaufen.

Wo wollen Sie hin?

Ich habe mehrere Ziele. Zum einen möchte ich endlich mein Solo-Album fertig machen. Daran arbeite ich schon fast zehn Jahre. Zum anderen möchte ich gerne ein Orchesterwerk schreiben, das seine DNA in der Computermusik hat. Mich reizt auch, ein reines Klavier-Album aufzunehmen. Aber dafür gebe ich mir locker fünfzehn Jahre. Davor möchte ich erst perfekt Klavier spielen können.

[Dieses Interview war ursprünglich vorgesehen für die gedruckte Ausgabe der Badischen Zeitung – als Vorschau auf das Freischwimmer-Festival am 19. September 2015. Das haben die Veranstalter abgesagt – möglicherweise wegen zu geringer Nachfrage]

Nach oben scrollen