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Man hat es geahnt. Dieser Ausruf geht heute Abend leicht über die Lippen, denn Groove, Resident Advisor und später zahlreiche Nachrichtenportale bestätigten, was öffentlich und hinter vorgehaltener Hand vermutet wurde: Der Cocoon Club, vielmehr die Betreibergesellschaft, meldet Insolvenz an. Wie es weiter geht, ist derzeit offen, der Veranstaltungsbetrieb soll jedoch aufrechterhalten werden. Und wenn auch Schliessungen ganz allgemein unschön sind – die Angebotsseite verkleinert sich, Arbeitsplätze fallen weg, manch einer verliert seinen angestammten Bespassungsort -, werde ich diesen Club – Schliessung vorausgesetzt – nicht vermissen. Sicher gab es gute Abende dort, gute Musik, eine angenehme Crowd, aber meine beiden – stichprobenartigen – Besuche legten mir Nahe, Cocoon Cocoon sein zu lassen und dieses Universum nicht mehr zu betreten. Warum dies?
Mein letzter Besuch datiert vom April 2008. Einer meiner besten Freunde, heute erfolgreicher Ingenieur und Manager, hatte von der Architektur und dem einzigartigen Klang in dieser Location gehört. Er ist kein Clubgänger, kein Diskothekenbesucher, seine freie Zeit verbringt er am liebsten in der Natur, beim Rennradfahren, Segeln und Angeln, mag aber elektronische Musik, ob das nun Raster Noton-Platten, Garage House-Hymnen oder Detroit Techno-Bretter sind. So viel zu seinem persönlichen Setting. Wir fuhren an einem Samstag zu viert nach Frankfurt, und der Abend begann damit, dass wir kilometerweit durch das Fechenheimer Industriegebiet fuhren, um überhaupt einen Parkplatz zu bekommen.
Das Auto abgestellt, machten wir uns auf den Weg zum Club. Dieser führte uns durch Glasscherben, Pisslachen und Erbrochenem hindurch. Irgendwo lag einsam ein Stöckelschuh. Vor und hinter uns liefen Jungs mit dünn rasierten Bleistiftbärten und Mäandermustern im Haar. Fast alle schleiften Frauen hinter sich her. Die hatten entweder Bleistiftbeine, Kunstbrüste, aufblondierte Haare, echte oder gefälschte Prada-Täschchen, oder sie waren aufgeschwemmt dick und trugen dafür viel zu enge, viel zu kurze Kleidchen. Sei’s drum, das äussere Erscheinungsbild tut eigentlich nichts zur Sache. Daher noch ein paar Worte zu deren Verhalten: Jungs wie Mädels schrien vielmehr, statt sich zu unterhalten. Kamen Freunde und Bekannte herangefahren, hupten diese lauter und wilder als es ein durchschnittlicher Neapolitaner zur abendlichen Stosszeit macht. Wir wurden vom Gehweg gedrängelt und angepöbelt. Wären wir Frauen gewesen, hätten diese Jungs uns sicher auf den Hintern geklopft.
Am Cocoon angekommen, mussten wir uns in die “Nicht-Gäschdelischde”-Schlange einreihen. Das führte dazu, dass uns ein gutes Dutzend Gäste, die hinter uns herliefen, als “Loser” bezeichenten oder uns – aus falschem Übermut, überdrehtem Selbstbewusstsein oder Drunkenheit – anboten, für die Gegenleistung von “einmal blasen” mit ihnen in den Club zu gehen, an den Wartenden vorbei. Wir ertrugen’s mit Gelassenheit. Nach einer halben Stunde anstehen, musste ein Freund von mir dringend auf’s Klo. Also lösten wir uns aus der Reihe raus, gingen zurück zum Auto, fuhren zum nächstgelegenen McDonalds; dann wieder zurück, um das Horror-Level noch einmal von Anfang bis zum Ende durchzuspielen. Die Warteschlange war inzwischen auf die doppelte Länge angewachsen. Doch wir hatten Glück: Wir lernten drei Mädels kennen, die uns an den Türstehern vorbei an die Abendkasse brachten. Wieviel Eintritt wir gezahlt haben, weiss ich nicht mehr so genau. Fünfzehn, Achtzehn Euro? Vielleicht waren’s auch zwanzig.
Drinnen herrschte eine Atmosphäre, die mich an einen Winterschlussverkauf bei Woolworth, Eröffnungssonderverkauf bei Media Markt und den Cannstatter Wasen kurz vor Mitternacht erinnerte. Allen die halbe Stunde an der Garderobe anstehen, reichte uns schon. Ausschliesslich gereiztes Personal, auf dem Weg zurück, Richtung Bar und Tanzfläche gab es Ellenbogen in die Rippen und Zigarettenglut auf Kleidung und Arme. Die Gäste waren alle superbesoffen oder auf allen möglichen, Aggressionen fördernden Substanzen unterwegs. An die Bar, ein Bier oder einen Drink holen? Nahezu ausgeschlossen. Man musste sich auf darwinistische Weise seinen Platz erkämpfen. War man hierbei erfolgreich, wurde man zunächst mit Nichtbeachtung belohnt, um dann seinen Drink in einem Plastikbecher serviert zu bekommen.
Irgendwann war vier Uhr. Von der Party hatten wir nicht allzu viel mitbekommen. Tanzen: ausgeschlossen. Viel zu viel los in dem Raum, komische Bodenarchitektur, zudem Treppenstufen, Podeste, und so weiter. Gute Zeit mit anderen Menschen haben: ausgeschlossen. Auch die Mädels konnte man vergessen. Standen alle gelangweilt rum, liessen sich nicht ansprechen und wenn, dann musste man mit ihnen an die Bar und sie auf ein Glas Champagner einladen. Wie im Puff. Zudem nervten das Licht, die DJs, die auf Flanger und Breakdowns mit anschliessendem Synthie-Gewitter setzten, der Kunstnebel, die Gogo-Tänzerinnen.
Als wir gingen, standen draussen zahlreiche abgewiesene oder rausgeschmissene Gäste, die sich alle prügeln wollten. Mit anderen abgewiesenen oder rausgeschmissenen Gästen, mit noch ankommenden Gästen, mit der Security, mit uns. Einer sass auf auf dem Gehweg und drückte sein T-Shirt gegen die blutende Nase. Ein anderer kam auf uns zu und baute sich bedrohlich vor uns auf. Irgendwie haben wir es doch noch geschafft, an ihm vorbei und von diesem Ort unbehelligt wegzukommen, und sind dann tatsächlich noch in Richtung Robert Johnson gefahren. Trotz vorgerückter Zeit war uns die Tür wohlgesonnen, und wenige Minuten später standen wir mit Bier und Kippe in der Hand auf dem Balkon, sahen dem Tag beim Anbrechen zu und dachten nur: WTF!
Nein, Cocoon Club, Dich werde ich ganz bestimmt nicht vermissen. Auch wenn Du für manche Menschen das Techno-Elysium verkörpert hast: Für mich warst Du die Hölle, oder zumindest ein sehr detailgetreues Abbild davon.
ENGLISH SHORT VERSION
Cocoon Club goes into administration – and I do not feel sad.