Marcel Dettmann im Stinnes Areal

Foto: Sven Marquardt

Ein dumpfes, tiefes Wummern erfüllt den Berliner Club Tresor. Die Tanzfläche ist fast leer. Nur ein Mann in einem Indianerkostüm bewegt sich raumgreifend zu den harten Techno-Rhythmen, die der Disc Jockey durch die Lautsprecherboxen jagt. Dieser Mann tanzt wie in Trance, selbstverloren in der Musik aufgehend. So bemerkt er auch nicht, wie eine Gruppe Jugendlicher den Raum betritt, vor ihm stehen bleibt und seinem Schamanentanz wie gebannt zuschaut. Einer von ihnen ist Marcel Dettmann. Immer und immer wieder erzählt der Elektronikmusiker, der am heutigen Freitag für ein DJ-Set im Stinnes Park erwartet wird, in Interviews von seiner ersten Begegnung mit dem ausgefallenen Nachtleben im Berliner Techno-Untergrund. Diese fand 1992 statt. Dettmann, aufgewachsen in der brandenburgischen Stadt Fürstenwalde, war da gerade einmal vierzehn Jahre alt.

Heute, zwanzig Jahre später, lebt der hoch gewachsene, athletisch gebaute Künstler selbst in Berlin und zählt zu den einflussreichsten Protagonisten dieses Genres. Sein musikalisches Portfolio ist von beachtlichem Umfang: Es beinhaltet ein gutes Dutzend Vinylveröffentlichungen auf hochgeschätzten Labels wie Music Man und Ostgut Ton, wo auch sein Album unter dem schlichten Titel „Dettmann“ erschien. Mit MDR betreibt er seine eigene Musikplattform, auf der eigene und Werke befreundeter Musiker erscheinen. Schließlich hält er eine Residency, eine feste Spielzeit, im Berliner Club Berghain. Dieser befindet sich in einem stillgelegten Heizkraftwerk unweit des Ostbahnhofs. Seit seiner Eröffnung im Jahr 2004 stellt er einen Fixpunkt der Techno-Szene dar. Sein wichtigstes Wesensmerkmal: Zeitgebundenheit gibt es nicht. Die Veranstaltungen dauern oft bis tief in die Sonntagnacht, und einmal im Monat steht Marcel Dettmann an den Plattenspielern. Acht, neun, hin und wieder sogar elf Stunden, vom Anbrechen des Tages bis draußen wieder die Dämmerung dräut. Der Mittdreißiger genießt diese Art von Marathon und die rauschhafte Dynamik einer Clubnacht, wenn sich das Publikum ganz in die Hand des Disc Jockeys begibt und offen ist, Neues zu erfahren.

Neues bedeutet für Dettmann, das statische Rhythmusgerüst des Techno, den genretypischen, monotonen Viervierteltakt aufzubrechen und Raum schaffen für Offbeat-Passagen des Dubstep und Klangwelten, die sich in einem weißen Rauschen und abstrakten Soundscapes ausdrücken. Eine Musik, die im Kern reine Mathematik ist, findet auch Eingang in seine eigenen Produktionen. Für sein Stück „Helix“, erschienen 2009, montiert er einen tiefen Basslauf, gerade Drums und metallisch-schabende Effekte zu einem zehnminütigen Loop. Diese geradlinige Ästhetik und reduzierte Formensprache erhebt er in der Folge zum Leitmotiv seines selbstbetitelten Albums. „Dettmann“ erscheint 2010. Der Album-Sound zeigt sich dunkel, düster und hart. Und dennoch, trotz aller kompromisslosen Herbheit, schimmern in Stücken wie „Drawing“ oder „Reticle“ ambiente Klangflächen durch die erratisch aufragenden Rhythmusblöcke hindurch. Hier zeigt Dettmann Feingefühl für atmosphärische Details, eine Gabe, die er auch als Remixer unter Beweis stellt. Er bekommt Songs der Indie-Electronic-Band Junior Boys oder der schwedischen Sängerin Karin Dreijer Andersson (Fever Ray, The Knife) zur Bearbeitung vorgelegt, in die er seine musikalischen Wurzeln einbringt: Synth-Pop von Depeche Mode und Anne Clark, EBM von Front 242 und Nitzer Ebb.

Doch Clubmusik ist nicht das einzige Betätigungsfeld von Marcel Dettmann. Er schreibt Musik für Kunstausstellungen, arbeitet mit Frank Wiedemann von Âme an der Vertonung eines Balletts und könnte sich vorstellen, in Zukunft auch Soundtracks für Filme zu schreiben. „Ich würde einen Science-Fiction-Film wie zum Beispiel ‚Moon’ wählen“, erzählt er. Aber vorerst sieht er seine Zukunft weiterhin im Techno. Die Leidenschaft für Marathon-Sets ist ungebrochen groß, die Energiereserven füllt er in täglichen Yoga-Einheiten auf. Und wer weiß, vielleicht schleichen sich Jugendliche heute noch in die Clubs, staunen über die futuristische Maschinenmusik, wie sie ein Marcel Dettmann spielt und blicken wie gebannt auf die ekstatischen Tanzrituale auf der Tanzfläche.

– Nitebeat und Sinnestäuschung Events präsentieren: Marcel Dettmann, Freitag, 14. September 2012, Stinnes Park / Altes Stinnes Areal, Hans-Bunte-Str. 16c, 79108 Freiburg, 22 Uhr


Marcel Dettmann – Resident Advisor Podcast (12-29-2008)

[Diese Rezension wird auch in leicht gekürzter Fassung in der Badischen Zeitung erscheinen]

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