Âme (live) @ Waldsee: Ein kleiner Nachtrag

Nun ist sie Geschichte, die Feier zum einjährigen Jubiläum der Freiburger Veranstaltungsreihe O(h)rbital, die schon im Vorfeld für einigen Gesprächsstoff unter Freiburger Musikenthusiasten und Nachtaktiven sorgte. Die Thematik inhaltlich zusammengefasst: Vorfreude auf das Live-Set von Frank Wiedemann (Âme) und das DJ-Set von Hendrik Vogel als Wegbereiter dafür, eine leichte Skepsis, ob sich die Gebrüder Teichmann musikalisch gut in den Abend einfügen würden sowie Verwunderung, wenn nicht gar Entsetzen, dass irgendwo zwischendrin auch noch eine Spielzeit für Chris Milla vorgesehen war. Mir schien das reiflich unüberlegt zu sein, denn wann immer ich ein Set von Chris Milla hören musste, knüppelte dieser mit kalten Klackersounds und in einer unbarmherzigen Härte und Geschwindigkeit drauf los – und steht mit seiner Musik so ziemlich für das Gegenteil dessen, was Âme auf Deutsch bedeutet: Seele. Doch eines nach dem anderen.

Hendrik Vogel habe ich in den vergangenen Jahren immer wieder einmal an den Plattenspielern erleben dürfen, ob all night long im Waldsee bei tageins, in der Jackson Pollock Bar oder im Jazzhaus. Seine Sets waren stets grundsolide, mit deutlichem Fokus auf zeitgemässem House und Ausflügen zu vertrackteren, experimentellen Stücken und poppigeren Electronica-Songs, die vom Sound her zwischen BPitch Control 2011/2012 und Kompakts Pop Ambient-Universum liegen. Hendrik Vogel war immer gut, aber selten habe ich ihn so gefühlvoll auflegen hören, wie am vergangenen Freitag. Mit einer tief ins Herz gehenden Auswahl an zartschmelzenden Electronica-Songs, leicht vom Dubstep angehauchten Sounds und geradlinigem House aus der frühen Drumpoet-, Compost Black Label-Ecke sowie Zeitgemässem von Label wie Mojuba/Essays, hüllte er das Waldsee in eine entspannte und angenehme Wohlfühlatmosphäre, die es einem ermöglichte, sowohl an der Bar für ein paar Drinks stehen zu bleiben als auch bereits das Tanzparkett zu betreten.

Erste Überraschung des Abends: Nicht Frank Wiedemann von Âme, sondern die Gebrüder Teichmann übernahmen von Hendrik Vogel. Zweite Überraschung des Abends: Die Jungs waren richtig gut. Will sagen: Sie setzten mit sehr viel Feingefühl am Groove und an der Stimmung von Hendrik Vogel an. Kaum merklich steigerten sie das Tempo und sorgten für Punch mit trocken-reduzierten House-Platten von Losoul, Soul Capsule & Co. Dritte Überraschung: Die Gebrüder Teichmann hoben sich das Beste für den Schluss auf, denn sie beendeten ihr Set mit der phänomenal guten LFO vs. Fuse auf Plus 8 – das Zusammenspiel von ungestüm wilden Drum Pattern, einer Acid Synth-Line und sphärischen Flächensounds im Hintergrund auf dieser Platte lässt mich jedes Mal ehrfürchtig erschaudern. Damit machten die beiden DJs auch den einen oder anderen Track mit bratzigen Motorsäge-Synthesizer vergessen. Dass ich solche Sounds nicht feiere, ist ja bekannt.

Dementsprechend konnte Frank Wiedemann eine Tanzfläche mit gut aufgeheizten Körpern übernehmen. Unter der Prämisse eines reinen Club-Sets, fand ich das Showcase des ‘Sound of Âme’ stimmig und schlüssig. Frank Wiedemann eröffnete es mit einer Neu-Interpretation von “Rrose Selavy” und spielte sich im Anschluss daran durch zwei, drei Remixe, die in den Jahren 2005/2006 entstanden. Unter anderem dabei waren die Remixe zu Rodamaals “Insomnia” und Akabus “Phuture Bound“. Damals wie heute überzeugte mich die eigentümliche, die Spannung steigernde, den Höhepunkt hinauszögernde Dramaturgie dieser Arbeiten. Und das Gute: Auch reine Clubgänger, die nicht jeden Track in seine Einzelbestandteile zerlegen müssen, finden gefallen daran. Unter der Prämisse einer Werkschau lagen für mich die spannendsten Momente allerdings gerade in den Passagen, in denen Wiedemann Neuabmischungen von “Setsa“, “Zuckerzeit” und noch einmal einem Stück, an dessen Titel ich mich gerade nicht erinnern kann, präsentierte. Zu diesen Stücken fand ich bei ihrem Ersterscheinen nur schwer Zugang. Im Waldsee machten diese Stücke für mich jedoch erstmalig Sinn. Ein Zugeständnis an die Erwartungshaltung vieler Clubgänger: Osunlade – Envision – Âme Remix. Kann man sehen, wie man will: Für mich ist und bleibt dieser Track grossartig! Was ich jedoch vermisst habe, waren von mir so sehr geliebte Âme-Tracks wie “Shiro” oder “Hydrolic Dog“. Verständlich. Da kommt der Nostalgiker in mir durch.

Auf den Abschluss der Clubnacht mit Chris Milla verzichtete ich. Jeder DJ kann, darf und soll seinen persönlichen Stil haben. ABER: Ein DJ sollte meines Erachtens auch immer so viel Feingefühl für eine Clubnacht und die Künstler mitbringen, die vor oder nach ihm an die Plattenteller treten. Er sollte sich vielleicht auch ein wenig mit der Musik beschäftigen, für die der jeweilige Künstler steht. Muss ja keine wissenschaftliche Auseinandersetzung sein. Einmal kurz discogs.com, YouTube und Soundcloud überfliegen reicht doch. Und ebenfalls wichtig: Nicht das eigene DJ-Ego mit Gewalt durchsetzen. Da kann nichts Gutes dabei rauskommen. Leider hat es Chris Milla trotz jahrelanger DJ-Erfahrung geschafft, mit dem ersten Track den von Âme aufgebauten ‘Tempel der Deepness’ (zitiert von DJ Koze)  bis auf die Grundmauern niederzureissen. Nach zwei, drei Takten hatte er ein Tempo von 130/131 bpm erreicht. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden, wenn die Musik stimmt. Gibt ja ausreichend Detroit/Techno-Platten, die man auch gut in diesem Tempo spielen kann. Aber dieses metallische Rumgeklacker und der grosszügige Gebrauch des Flangers verwiesen mich des Raumes.

Fazit: Angenehmer Abend, ein Hendrik Vogel in Bestform, die Gebrüder Teichmann überraschen – und überzeugen, Frank Wiedemann/Âme bestätigt seinen guten Ruf als Kulturbotschafter des House, und zur Perfektion fehlte am Ende nur noch eine Dreiviertelstunde Musik, zu der die Seele aufgehen und sich erheben kann.

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