Kerri Chandler – The Thing For Linda 2010

Kerri Chandler – vor diesem Produzenten und DJ habe ich eine so grosse Ehrfurcht, dass mich alsbald kleine Gewissensbisse beschleichen, wenn ich – hinter vorgehaltener Hand – ein wenig Kritik übe an den herausragenden künstlerischen Fähigkeiten dieses Mannes, wohl wissend, dass mich einige nun der Majestätsbeleidigung bezichtigen werden.

Weniger das Schaffenswerk, vielmehr seine DJ-Sets habe ich dabei im Auge, in denen ich über die vergangenen Jahre hinweg kaum eine Entwicklung feststellen konnte. Gleichbleibend gut, aber vielleicht etwas überraschungsarm und aus dem bekannten Repertoire schöpfend – so möchte ich seine Auftritte zusammenfassend beschreiben, während derer er vornehmlich die allzu bekannten Klassiker einer Barbara Tucker, India, von den Masters At Work und natürlich sehr viel eigenes Material auf die (mittlerweile) Timecode-Platten bringt.

Möglicherweise nähre ich diese kritische Haltung jedoch auch, weil mir während Kerri Chandlers letztem Auftritt, dem ich beiwohnen durfte (25. Dezember 2008), eine Vielzahl Wannabecools, die sich alle um das DJ-Pult drängten, bis weit in die frühen Morgenstunden hinein die Wiedersehensfreude mit dem Grossmeister des New Jersey- und New York-beeinflussten House und dieser Musik zu trüben vermochten.

[Diese Sorte Clubgänger kann ich übrigens ums Verrecken nicht ausstehen: sie drängeln sich mit gewichtiger Miene um das Setup, bleiben dort wie angewurzelt stehen, lassen sich kaum vom Rhythmus und den Beats ergreifen, geschweige denn zu einem auch nur leichten Mitwippen bewegen. Was sie jedoch bestens draufhaben, ist, gegen die Lautstärke der Monitorboxen anzutreten und dem DJ im Minutentakt irgendwelche Songs ins Ohr zu schreien, die sie gerne von ihm gespielt haben wollen. Jetzt. Auf der Stelle. Ob sie in das Set hineinpassen oder nicht, ist diese Vollpfosten scheissegal. Im Falle eines Kerri Chandler wird es sich dabei wohl um “Bar A Thym” oder “Inspiration (feat. Arnold Jarvis)” handeln, denn etwas anderes kennt ein Vertreter dieser Art Clubgänger nicht. Von Kerri Chandlers unter anderem Namen veröffentlichten Material ganz zu schweigen.

Am allerschlimmsten sind jedoch die Nachtschwärmer, welche aus dem Kreis der oben bereits erwähnten entspringen, die im Verlauf des Abends eine mit krakeligen Buchstaben beschriftete CD aus ihrer ledernen Umhängetasche hervorkramen. Mit selbstproduzierten Tracks. “Hey Kerri, play number two!”, “Yo Kerri, the third track on the disc” – Sätze wie diese schwirren dem armen Kerri Chandler während des Auflegens um den Kopf, und wenn er nicht reagiert er nicht, besitzen diese Leute die Unverfrorenheit, ihre Promo-CD einfach auf den sich in Betrieb befindlichen Plattenteller zu legen. Nach vollbrachter Tat, drehen sie sich zur der sie umgebenden Menschenmenge um, ziehen den Kragen ihres rosafarbenen Poloshirts beziehungsweise kirschblütenweissen Hemds bis an die Ohrläppchen hoch, fahren sich über das glattgegeelte Haupthaar, und ihr Stolz, ihre Tracks endlich an den Mann gebracht zu haben, widerspiegelt sich in ihrem pommadigen Lächeln. Dann geht’s an die Bar, getrunken wird Sekt auf Eis, und das Produzentendasein wird gross gefeiert.]

Verzeiht mir bitte diesen kurzzeitigen Abschweif zu dieser einen Clubnacht, doch diese Clique, die ich hiermit angesprochen habe, darf und soll sich auch angesprochen fühlen, sollte sie überhaupt jemals hier vorbeischauen! Wieder zurück zu Kerri Chandler.

2008 das Album “Computer Games“, dessen Track “Pong” eine grandiose Überarbeitung durch den Berliner Ben Klock erfahren hat; im vergangenen Jahr das Re-Release seines kongenialen “Track 1 mit weiteren Versionen; und nun die fünfte Folge der “For The Thing For Linda“-Reihe, die uns in den Nullerjahren so wunderbare Tracks wie “Downtown”, “Useless” oder “In Search Of Mr. Ford” gebracht haben.

Auf dieser, “The Thing For Linda 2010“, macht Kerri das, was er am besten kann und wofür er steht: er zeigt sich von allen Erwartungshaltungen, die ihm gegenüber eingenommen und an ihn herangetragen wird, unbeeindruckt, liefert vier Tracks ab und bringt damit seine ganz konkrete Vorstellung von house music straight outta New Jersey wieder ein weiteres kleines Stückchen voran. Diese Unbeeindruckbarkeit darf hier jedoch nicht als Zeichen von Gleichgültigkeit oder Interesselosigkeit (dem Zeitgeist gegenüber) aufgefasst und infolgedessen als Leistungseinbusse gewertet werden. Denn immer wieder bringt Kerri Chandler in Gesprächen und Interviews seinen Wissensdurst und seine Lernwilligkeit zum Ausdruck. Doch warum soll(te) er Tracks produzieren, die zwar einem gewissen Gegenwartstrend entsprechen, hinter diesem jedoch seine Persönlichkeit zurücktreten muss? Persönlichkeit ist, was Kerri Chandler ausmacht, und genau diese seine Person spricht aus jedem seiner vier auf “The Thing For Linda 2010” enthaltenen Tracks. Thank you, Kerri!

English (short) version: Sorry for that very, very long excursus not concering the record I wanted to talk about. But as I attended a gig in the end of 2008 with legendary Kerri Chandler, where a handful of chic and posh guys really drove me up the walls. They stiffly stood around the dj setup, screaming and shouting their most favourite tunes they wanted to hear that night and, what made it really annoying, handing over their “promo cds” to Kerri Chandler, talking shit about their what-so-ever soulful housey stuff. They didn’t even respect the dj handling the wax and the timecode vinyls and threw their promo material onto the setup. FUCK! Those wannabecool djs and producers really suck big time! Well, let’s get back to the record. Kerri Chandler’s delivering what he is known for – his love for an approach to house music that is hailing from an education in those New Jersey and New York club sounds. Therefore you’ll find some beautifully deep and pounding kickdrum driven tunes on “The Thing For Linda 2010”, garnished with soft synth pads, lush keys and Kerris trademark basslines and sound effects. “The Thing For Linda” – a series that has to continue!

Mehr im Web:

Simplycoolmusic
Kerri Chandler @ Facebook
Kerri Chandler @ MySpace
Downtown 161

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