Ein Wochenende im Sommer in Freiburg. In die Pflastersteingassen der Altstadt ist die vielgerühmte toskanische Wärme eingezogen. Drei, vier Oleanderbäume, eingetopft in grosse Plastikkübel mit natürlicher Holzoptik, trocknen munter vor sich hin und mit den paar wenigen Palmen um die Wette, zu deren Aufstellung die Stadt sich in diesem Jahr aufrappeln konnte. Südländisch-mediterranes Flair eben, wie man es dieser Tage in nahezu jeder städtischen Ansiedlung nördlich der Alpen antrifft. Bevor ich wieder in mein gängiges Verhaltensmuster, negative Killerphrasen zu dreschen, verfalle, halte ich inne und bekenne, dass ich den Sommer, wie er sich in diesen Tagen im Südwesten der Republik präsentiert, über alles liebe. Tageslichtlänge, Lichtintensität, alles super. Mit einer Ausnahme: das Freizeitleben erfährt eine Verlagerung in den öffentlichen Raum. Ins Freibad, an zahlreiche Baggerseen, auf die Sternwaldwiese, an die Dreisam. Nur in das tiefe muffige Dunkel der Keller, in die Clubs, geht kaum noch ein Mensch, denn der Geschlechtertanz vollzieht sich ja auch so viel leichter am Ende eines Tages, nach Schwimmbad- oder Schattenwiesenaktivitäten, erhitzt von der Sonne und den paar Bierchen. Dennoch fahren die Clubs ihr Programm nur unwesentlich zurück, und so sind – im Unterschied zu manch einer anderen Stadt – auch im Sommer die DJs in unermüdlichem Einsatz.
Vor nicht allzu langer Zeit, an einem Samstagabend, inmitten der WM-Phase, hatten zwei Freunde eine Veranstaltung anberaumt und mich kurzfristig gebeten, an der Tür beziehungsweise Abendkasse einzuspringen, was ich bereitwillig und sehr gerne getan habe. So war ich von etwa 23:15 bis 03:15 im Einsatz, erlebte die unterschiedlichen Phasen einer Clubnacht für einmal aus einer anderen Perspektive. Für Erheiterung und Kurzweil sorgten zum einen die Jungs selbst, die hin und wieder einmal bei mir vorbeischauten, die beiden Angestellten eines Sicherheitsunternehmens sowie die – leider nur tröpfchenweise erscheinenden – Gäste.
In der ersten halben Stunde nach Öffnung des Ladens – der Name des Veranstaltungslokals tut hier nichts zur Sache – sorgten zwei grosse Gruppen luxemburgischer (Austausch-)Studenten für jede Menge Unruhe. Die eine, ungefähr zehn Mann stark, hatte an der Bar bereits das WM-Fussballspiel sich angeschaut, befand sich in einer übermütig ausgelassenen Stimmung, und grölten lauter, als die hartgesottenen Fans des EHC Freiburg in der Nordkurve ihres Stadions. Die andere, gemischtgeschlechtlich, ebenfalls zehn an der Zahl, hatte ich bei mir an der Kasse stehen. Sie wollten Einlass. Umsonst. Versteht sich von selbst. “Wir machen Umsatz von 300 Euro”, versprach mir ihre Anführerin, und versuchte, sich an der Security vorbeizuzwängen. Diese versperrte ihr den Weg, verwies sie und ihre Nachtschwärmergefährten an mich, und gab ihr zu verstehen, dass ohne Eintritt heute abend gar nichts laufe. Beim Eintrittspreis von fünf Euro zuckte sie zusammen. Genauso ihre Freunde. “Abzocker! Das sind Wucherpreise. In Luxemburg macht so etwas kein Veranstalter, hörst Du?” Ich nickte verständnisvoll, wohingegen der Türsteher in seiner derb badischen Art etwas von “zahlen oder verpissen” durch seine Zähne knurrte.
Auf dem Gebiet der Vertragsverhandlung / Vertragsgestaltung / Mediation gibt es eine Verhandlungsmethode, die sich “Basarmethode” nennt. Beide Parteien beginnen zu feilschen, zu manipulieren, und geben der jeweils anderen Seite zu verstehen, sich um die bestmögliche Lösung für beide Seiten aufrichtig und ernsthaft zu bemühen. Blödsinn! Wer an so etwas glaubt, ist selbst Schuld! Die Wortführerin machte wieder einen Schritt auf mich zu. “Zehn Euro, und wir kommen rein. Mein letztes Angebot.” Ihr erstes Angebot, wendete ich ein, schliesslich habe sie sich erst jetzt verhandlungsbereit gezeigt. Meine Forderung blieb dieselbe. Fünf Euro pro Person. Nach langem hin und her einigten wir uns irgendwo in der Mitte – ein wirtschaftlich insofern nicht nachteiliges Geschäft, als die Gruppe zwanzig Minuten später den Laden wieder verliess, einschliesslich der Rädelsführerin, die beim Verlassen des Eingangsbereichs noch einmal ein “Abzocker” in den Nachthimmel ausstiess.
Ihre Landsleute, die sich während dieser Zeit an der Bar um das letzte bisschen Verstand soffen, waren hingegen deutlich angenehmere Zeitgenossen. Als sie gegen halb ein Uhr den Laden verliessen, blieben zwei Jungs eine gute Viertelstunde bei mir stehen, um sich, bierselig brabbelnd, für ihre Bekannte zu entschuldigen. Zehn Minuten später kroch ein rundlicher, rotblonder Junge im Spanientrikot die Treppe hoch. Im Schlepptau einen vor Alkohol schon schwitzenden Kerl. Diese waren die letzten Luxemburger, die den Laden verliessen. Auch sie entschuldigten sich für ihre “Bande von Schweinen” bei mir. “Weissu, dassin Frauen, die heute noch keinen Mann abbekommen haben”, lallte der Rotblonde. Weitere zehn Minuten hatte ich das Vergnügen, mir Geschichten ohne Anfang und Ende anzuhören, Fussball- und Mädchendramen, wer wem welche Krankheit an den Hals wünscht und warum, und welche Mädels in Freiburg am leichtesten rumzukriegen seien und wo, und dass sie noch nie so viel Sex gehabt hätten, wie in Freiburg, auch wenn merkwürdigerweise Freiburg genauso katholisch sei, wie das Grossherzogtum Luxemburg. Nun ja.
Kurz danach kam eine Gruppe russischer / russlanddeutscher Jungs und Mädels. Die hörte man schon von weitem. Schimpfworte wie “chuj”, “bled”, und so weiter, durchtränkten ihre Sätze und das herzhaft ehrliche Gelächter. Sie machten einen völlig “normalen” Eindruck, hatten so gar nichts an sich, was sie in die Ecke der “schwarze Lackschuhe / weisse Sneakers von Lacoste / weisse Jeans, Hemd bis zum Brustbein aufgeknöpft / Haare kurzrasiert / sonnenroter Kopf / Fahradkette um den Hals”-Träger gestellt hätte. Die Mädels waren süss. Man hätte sich gewünscht, polyamour zu sein, so hätte man sich in jede einzelne von ihnen gleichzeitig verlieben können. Keinen Augenblick zögerten diese mit der Bezahlung des Eintritts. Ein Mädel kam regelmässig die Treppe hoch, rauchte eine Kippe bei mir, schwärmte vom Vodka, den sie heute Abend bereits getrunken hatte, und regte sich, mehr gespielt als ernst, über ihre männliche Begleitung auf. Und das mit einer Stimme, die mich schon in einem völlig nüchternen Zustand, in dem ich mich an diesem Abend befand, total drausbrachte. Lass mich die erst einmal treffen in einem Zustand des absoluten Wohlgefühls, verstärkt durch ein paar Gin Tonic und gute Musik,…
Eine stunde später kamen zwei Jungs dieser Gruppe hoch. Sehr schnell kam man ins Gespräch, quatschte über Musik (“Was heute Abend läuft, ist okay, aber du warst noch nie in Moskau, da gibt es die besten DJs der Welt”), über Frauen (“Wie gefallen dir unsere Mädels? Sag jetzt bloss nichts falsches – hahaha – nein, im Ernst, wenn du die nicht hübsch findest, dann weiss ich auch nicht!”), und kam irgendwann einmal auf die Freiburger Clubkultur zu sprechen. Klar, ganz nett, aber mit Moskau nicht einmal im Ansatz zu vergleichen, aber der “Funpark, mal ehrlich, das war die beste Grossraumdiskothek Süddeutschlands. Ich sage Grossraumdiskothek, weil Club ist etwas anders. Aber zum viel saufen, viele Mädels abchecken, und erfolgreich nach Hause abschleppen war dieser Laden das Paradies.” Das Xerox, eine russische Diskothek in den Räumlichkeiten des ehemaligen Funparks “ist okay, nur nicht, wenn die Albaner kommen. Aber die Türsteher kennen Gott sei Dank keine Gnade mit denen.” Das Schaschlik, welches zu früher Stunde im Xerox angeboten wird, fand bei den beiden auch keine Gnade. “Dreckfrass. Mal ehrlich, wenn ich mit meinem Papa Schaschlik mache, schmeckt das tausendmal besser als im Xerox. junge, hast du schon einmal das echt russische Schaschlik gegessen, zubereitet von meinem Vater und mir? Wenn nein, sag mir wie du heisst, und ich lade dich einmal zu mir ein. Aber du musst auch Vodka vertragen können, viel Vodka, hörst du?” Wir tauschten die Handynummern aus, und er führte das Gespräch wieder auf “seine” Mädels. “Eine aus unserer Gruppe, die Nadja, die steht auf dich. Deswegen kommt die immer hoch zum rauchen. Aber die hat einen Freund. also lass die Finger von ihr.” Zum Abschied brachte mir einer dieser Jungs einen Vodka. Er hielt mir das kleine Gläschen sowie seine Faust unter die Nase und sagte: “Schlag ein. Ich wusste du bist ein korrekter Mann. Und das Schaschlik vergesse ich nicht. Versprochen!” Ach ja. Diese rauhe Herzlichkeit. Schön.
Dazwischen und danach, die Uhr zeigte schon zwei Uhr in der Früh an, war es ausgesprochen ruhig. Kein guter Abend in Sachen Eintrittsgelder, und die paar wenigen anderen Gäste, die sich an diesem Samstagabend in den besagten Veranstaltungskeller verirrten, verfügten über keine erzählenswerten Details, verwickelten sich und mich auch nicht in Szenen, die einer schriftlichen Erinnerung wert sind. Lustig war das ältere Pärchen, Anfang Vierzig, das ziemlich bedudelt ankam und immer noch bereitwillig die fünf Euro Eintritt abdrückte, auch wenn schon kurz vor drei Uhr war und wir ihnen sagten, dass die Party erstens nur bis halb vier gehe und zweitens nicht allzu viel los sei. Die tranken auch nur einen Cocktail, und mühten sich kurz nach drei Uhr die Treppenstufen ab, um wieder ins Freie zu kommen. Sagten aber nichts von wegen “wir wollen unser geld zurück”. Letzten Spruch musste ich mir jedoch von zwei Jungs anhören, die um drei Uhr noch Einlass begehrten, Eintritt zahlen WOLLTEN, aber als sie feststellten, dass nicht sehr viel los war, umgehend wieder an der Kasse vorbeikamen. “Es tut uns ja sehr leid, dass wir jetzt um unser Eintrittsgeld bitten. Aber wir haben uns das heute doch ein wenig anders vorgestellt.”, sagten beide einstimmig. Auf die Frage, was / wie sie sich ihren Abend denn vorgestellt hätten, antworteten beide freimütig und wiederum einstimmig: “Wir wollen in die Disko. Ganz schnell eine Frau kennen lernen, nach Hause fahren und fi**en.” Haha. Die Security und ich verwiesen die beiden in die “Nachtschicht”. “Wenn ihr da nicht erfolgreich seid, kommt zurück, und wir zahlen euch den Eintritt”, gaben wir ihnen lachend mit auf den Weg. Dankend nahmen sie diesen Ratschlag an, verschwanden in die Nacht, und kamen nicht mehr wieder.
Zum Ausklang dieser Nacht gab es Vodka auf’s Haus, und das nicht wenig. Schön. Auf eine neue Nacht an der Tür.
English (short) version: – soon –
P.S. Wieder einmal hat ein Jemand, den ich namentlich nicht erwähnen mag, dieses Bild geknipst. Dass auf diesem vom Waldsee die Rede ist, steht in keinem Zusammenhang mit der obigen Erzählung. Ich fand’s, ja, einfach nur schön.