Man muss es nicht verstehen können, aber zu gewissen frühen Morgenstunden, kurz nach dem Aufstehen, starte ich hin und wieder gerne zum Klang episch monumentaler Tracks in den Tag. Stücke, die sich auszeichnen durch langsame, sanfte Aufbauphasen, welche jede Menge Luft und Raum bereithalten für vertrippte Momente. Solche in überbordendes Soundpanorama entfaltet “Acid Eiffel” von Choice, einem Projekt, für das sich die Franzosen Laurent Garnier, Ludovic Navarre (St. Germain) und Didier Delesalle (Shazz) zusammengefunden haben. House, Techno und Acid vereinend, in einer Art, an die das kommerziell weitaus erfolgreichere “Higher State Of Consciousness”, welche zwei Jahre später, 1995, auf den Markt kam, meiner Meinung nach nicht herankommt.
Diese Acid Synth Line – wie ich den Sound der 303 liebe! Diese warmen String Pads, die Shuffle Patterns zu Beginn – das ist ein Track, der die Entfremdung zwischen Mensch und Mitmensch, der das Trennende zwischen Mensch, Maschine und Natur aufzuheben im Stande ist und einen auf der Tanzfläche zahlreiche irdische und astrale Inkarnationen durchmachen lässt. Sonnenaufgangs- oder Sonnenuntergangsmoment. Vielleicht sogar gerade dafür produziert? Einen ebenbürtigen Nachfolger von “Acid Eiffel” suchen? Ausgeschlossen. Ein Track wie dieser verliert nie an Aktualität, an Glanz und Strahlkraft. Doch auch in unserer heutigen Zeit werden Stücke produziert und EPs veröffentlicht, die dieser 12″ auf Fragile aus dem Jahre 1993 an Intensität in nichts nachstehen.
Zwei davon beinhaltet die vorliegende Platte, Gunnar Wendel – 578 – Omar-S Remixes, erschienen auf FXHE Records. Beide Versionen gehen tief unter die Haut, lösen ein Gefühl von Euphorie aus und das Bedürfnis, diese Sinneseindrücke, dieses Empfinden, seinem Gegenüber mitteilen zu wollen. Allein es fehlen die Worte.
Für dieses unbeschreibliche Klangmoment zeichnen zwei Produzenten verantwortlich, welche in der Vergangenheit schon sehr oft zu überzeugen wussten und die schreibende Zunft zu nahezu halsbrecherischer Verbalakrobatik antrieben: Gunnar Wendel und Alex “Omar-S” Smith. Erstgenannter ist unter seinem Künstlernamen Kassem Mosse fester Bestandteil des Workshop-Umfelds – heruntergefahrenes Tempo, schleppend schwere House- und Techno-Skizzen, man kennt Kassem Mosse (bzw. sollte ihn kennen). Zuletzt am Start auf Laid Records (wer mag schaut hier vorbei) und als Remixer für Lawrence auf Spectral Sound. Der zweite im Bunde, Omar-S, gibt – zumindest in den Interviews, die ich gelesen habe – sehr gerne das Raubein, vermittelt aber regelmässig ein Bild von Unverfälschtheit, Echtheit und Natürlichkeit – sofern und soweit ich das so schreiben darf. In zahlreichen, fast schon unüberschaubaren Releases, “Blown Valvetrane“, “Day” oder “Psychotic Photosynthesis“, um einmal ein paar weitreichend bekannte Stücke zu nennen, gibt er sich nicht minder raubeinig: schroff, hart, uneben, aber innerlich gutmütig und mit unheimlich viel Seele ausgestattete, House- und Techno-Skizzen. Die geheime Zutat? Es muss der vielzitierte Detroiter Lebensodem sein, Soul und Funk.
Die Version auf A1, der “Omar-S Berlin Mix beginnt schlicht mit einem einfachen kleinen Drumpattern sowie kurzen, abgehackten Synth Stabs. Sie bilden die Grundlage für eine sich daraus entwickelnde Acid Synth-Line, welche sich um das fest stehende, solide Rhythmusgerüst herumwindet, anschwillt, wächst und allmählich sich in die Lüfte emporschwingt. War seit jeher der Traum der Menschen, zu fliegen, dann mit diesem Track als gedankliche Tragfläche. Auf B1 begegnet man dem “Omar-S Rude Boy Warm Mix“. Im Vergleich zu A1 wirkt er stärker heruntergestrippt, erweist sich die Schwerkraft als Siegerin über die Drums und das Synth-Arrangement. Insgesamt zwei wunderbare Interpretationen des auf Kassem Mosses Aquaeous Haze EP erschienenen “Originals. Und da ist es wieder, das Gefühl, nein, das Wissen, ein Track vor mir zu haben, der die Entfremdung zwischen Mensch und Mitmensch, der das Trennende zwischen Mensch, Maschine und Natur aufzuheben im Stande ist und einen auf der Tanzfläche zahlreiche irdische und astrale Inkarnationen durchmachen lässt. Sonnenaufgangs- oder Sonnenuntergangsmomente.
English (short) version: Omar-S again in eagerness for roughness. This time appearing as remixing artist of Gunnar Wendels (which is: Kassem Mosse) track “578” (Aquaeous Haze EP). Peel away the rugged beats, the dark and harsh bassline, and you’ll find the soulful heart within those beautiful tunes! Dope!
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Omar-S // FXHE Records
Kassem Mosse – Workshop Mix @ Out There A Minute