Klangkarussell – Auf Sonnentanz folgt Regen

Quelle: Internet

Das österreichische Disc Jockey- und Produzenten-Duo Klangkarussell ist entlarvt. Tobias Rieser und Adrian Held, haben die Instrumentals und Drum-Loops ihres Hits “Sonnentanz”, veröffentlicht 2012 auf Oliver Koletzkis Label Stil vor Talent, nicht selbst eingespielt. Sie haben Versatzstücke aus einem riesengrossen Baukasten, einer Sample-Kit-CD des Herstellers Big Fish Audio, am Rechner zusammengefügt. Diese CD enthält Orgel-, Glocken- und Flötenklänge, Streich-, Zupf- und Blasinstrumente, darunter auch die Vibraphone- und Gitarrensounds sowie das Saxophon, welche sich leitmotivisch durch “Sonnentanz” ziehen. Auch die Bassdrum soll von dieser CD stammen.

Der niederländische Radiomoderator und Disc Jockey Domien Verschuuren hat das Stück kürzlich in seine Einzelteile zerlegt und das Ergebnis seiner investigativen Recherche in dem YouTube-Video “Sonnentanz unmasked: nothing more than a construction kit..?” vorgestellt. Verschuuren zeigt sich erstaunt und enttäuscht, dass hinter einem der meistgespielten Songs des vergangenen Sommers keine Big Band, kein Radioorchester, kein Fuhrpark an Drum Machines und Synthesizern steht, sondern lediglich eine CD, eine Handvoll Samples und zwei schlaue Bürschlein, die sich an einem Nachmittag dachten: ‘Let’s make a hit!’

Tiefer sitzt die Enttäuschung allerdings bei vielen ehemaligen Fans des österreichischen Duos. Im Sommer haben sie noch zu deren Song getanzt. Jetzt fehlt ihnen die dünne Grundlage für eine Minuten währende Serotoninausschüttung. Die Folge davon: Die Fans bringen Rieser und Held Hohn, Spott und Verachtung entgegen. In Freiburg sind es interessanterweise gerade die Disc Jockeys, die “Sonnentanz” im Sommer 2012 am häufigsten auf Facebook geteilt, in Bars und Clubs ganz oft gespielt haben und die im Januar diesen Jahres gross damit aufmachten, als Support-Act für Klangkarussell gebucht zu sein. Verständlich. Sie fühlen sich verraten, weil ein niederländischer Radio-DJ mit einer Vorliebe für Tomorrowland-Trance ihre einstigen Götter in weniger als drei Minuten entgöttlicht hat.

Doch was haben Held und Rieser, die gefallenen Stars, eigentlich getan? Vielleicht nehmen sie über ihre Facebook-Seite dazu noch Stellung. Ich hoffe nicht. Denn: Sie haben Samples aus einer für jedermann frei erhältlichen Samplebibliothek verwendet und diese zu einem leicht eingänglichen Track arrangiert. Nicht mehr. Nicht weniger. Mit ihrem Stück “Sonnentanz” haben sie die Tür zum Popgeschäft weit aufgerissen. Das grosse Popgeschäft lebt gerade von schnelllebigen, leicht eingängigen, leicht verwertbaren Stücken. Simpel, flach, vergänglich. Sie haben nichts getan, was andere Pop- und Elektronik-Pop-Sternchen nicht zuvor bereits getan haben. Jeder kann und darf mit den Samples machen, was er will, Es steht auch nirgendwo geschrieben, dass man die Samples filtern muss, mit Delay, Reverb und sonstigen Effekten verfremden soll. Und wem dabei ein Chart-Erfolg gelingt – umso besser, umso schöner für ihn. Der kurzfristige Erfolg sei demjenigen von Herzen gegönnt. 

Wer geglaubt hat, dass Klangkarussell tatsächlich mit einer Vielzahl an Musikern, mit einer Big Band gar, ins Studio gegangen sind, beziehungsweise die alle Instrumentalspuren selbst eingespielt haben, hat es verdient, “enttäuscht” zu werden. Zumal: Das Thema Sampling, das Verwenden von bereits vorhandenen Klangsequenzen, ist nicht mehr neu; spätestens seit den Sechziger Jahren, in denen Musiker mit Tonbandschleifen experimentierten (Musique Concrète, etc.), kennt man das Verfahren, mit aufgenommener Musik komische Klanggebilde zu erzeugen. Heute ermöglichen Computer, Software, Freeware, Datenbanken, et cetera jedem zu jeder Zeit an jedem Ort Klänge, Frequenzen, Geräusche, einzelne und mehrere Töne, ganze Stücke oder nur Auszüge für eigene Arbeiten zu verwenden. Sampling – das kleine Einmaleins eines jeden Hitproduzenten; Remixkultur, und so. Das weiss jedes Kind, mit Ausnahme eines Domien Verschuuren, der, trotz Jahrgang 1988, trotz Digital Native, mit seiner “Enthüllungsgeschichte” deshalb an der Wirklichkeit 2013 vorbei zielt.

“Sonnentanz” klingt im Vergleich zu den komplexen Soundkosmen, wie sie Veröffentlichungen auf Ninja Tune, Warp, Brainfeeder & Co. bieten, durchsichtig, flach und schal. Dennoch liegt die Leistung von Tobias Rieser und Adrian Held im Aufbau der Tonfolgen, in der Gestaltung, in der Rhythmisierung des Tracks. Die schöpferische Bedeutung, ob die Musik nun Tiefgang hat oder nicht, ist völlig unerheblich. Ob und wie der Einzelne Klänge, Frequenzen, Geräusche, einzelne und mehrere Töne oder sogar ganze Stücke für eigene Arbeiten verwenden kann, darf, soll, wird ihm Gott sei Dank nicht vorgeschrieben.

Den enttäuschten Fans sei geraten, sich auf den Sommer 2013 zu freuen. Wenn nicht Wankelmut, wenn nicht Klangkarussell, haben die Bunten Bummler, einsauszwei und wie sie alle heissen, einen tanzbaren und eingängigen, mithin vorhersehbaren und seichten Track auf der Festplatte, der via YouTube, Soundcloud und den entsprechenden Verlinkungen über Nacht zum Festivalhit 2013 werden kann. Dieser Track, seine melodisch-poppige Instrumentierung, wird sie darüber hinweg trösten, dass sie an einem verregneten Märztag ihre einstigen Helden verloren haben.

Alle anderen haben solche Problemchen nicht.

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