Jahresrückblick (14) – Tara Hill

Die Baslerin Tara Hill fasst als Journalistin, Redakteurin und Moderatorin Stimmungen und Gefühle, Gedanken, Einsichten und Ansichten in Worte und Texte – unter anderem für die großartige Basler Zeitung TagesWoche.

Erreicht sie die Grenzen ihrer Sprache, bedeutet dies keineswegs das Ende ihrer persönlichen Ausdruckswelt. Tara Hill wechselt ihre Identität und ersetzt die Worte durch Musik. Als Lila Hart erzählt sie Geschichten im Club. Gemeinsam mit dem Basler Eskimo bildet sie das Veranstalter- und Produzenten-Duo Pan*Tau und bringt ihre Gefühle zum Ausdruck, indem sie diesen in Skizzen und Tracks eine konkrete Form verleiht.

Mit ihren Worten endet der Jahresüberblick 2012 und damit auch das Blogjahr 2012. Auf ein gutes 2013 & keep it deep!

Love. Love. Love. [Der musikalische Höhepunkt 2012: Lieblingsalbum, Lieblings-EP, bestes DJ-Set, beste Clubnacht 2012]

Call it kitsch, call me rührselig, whatever: Kein Track hat mich so berührt wie Lee Burridges und Matthew Dekays Emo-Monster “Lost in A Moment” auf Innervisions. Wer ihren Sound mag, der suche mal nach ihrem Label “All Day I Dream”.

Auf der düstereren Seite war es Redshape, der mich das ganze Jahr über mit brillanten Releases in Atem hielt, z.B. mit dem hier: Redshape – The Land.

Das beste Set kam wohl von DJ Harvey bei seiner Premiere im Berghain, wo er die ganze Geschichte moderner Tanzmusik in vier Stunden erzählte. Unvergesslich! Dazu: Locussolus – Berghain (Darkroom Mix). Honorable mention: Holger Hecler auf den Bachstelzen mit einem Set, das den Moment dieses sonnigen Morgens perfekt einfing: Holger Hecler – Bachstelzen.

Saschienne haben mich im Basler Hinterhof mit einem von A bis Z supertighten Liveact begeistert. Grosse Klasse, die beiden! Check: Saschienne – Live.

Album des Jahres: 2012 war das Jahr der Konzeptalben im Techno. Von Andy Stotts «Luxury Problems» über Recondites «On Acid» bis Barker und Baumeckers «Transsektoral»: So experimentierfreudig und gleichzeitig so homogen klang Techno auf Albumlänge lange nicht mehr. Mein Favorit, da gehe ich mit dem Portal Resident Advisor völlig einig, war dieses Jahr “Voices from the Lake” – Donato Dozzys Zusammenspiel mit seinem Studio-Engineer Neel, die eine ganz eigene Klangwelt erbauten. Siehe dazu: RA Poll: Top 20 Albums of 2012. Eine Welt, der ich hoffnungslos verfallen bin. Dazu auch: Donato Dozzy & Neel – Voices From The Lake – S.T. (Vftl Rework).

P.S. Eh ich’s vergesse: Ganz allgemein ein grosser Dank an Labels wie Smallville, welche unbeirrt den eigenen Weg gehen

P.P.S. Mit den Anführern der meisten Jahresbestenlisten, Todd Terje (für «Inspector Norse») und John Talabot (für «fIN») hab ich übrigens überhaupt kein Problem. 2012 war ein gutes Jahr für elektronische Musik! 🙂

Hate. Hate. Hate. [Der musikalische Tiefpunkt 2012: Schlechtestes Album, schlechteste EP, schlechtestes DJ-Set, schlechteste Clubnacht 2012]

Richtig enttäuscht war ich von manchem Berliner Label, wo scheinbar aufgrund der Geld- und Touristenströme des ganzen Berlin-Party-Hypes mittlerweile leider die Devise «Quantität vor Qualität» zu herrschen scheint.

Die Tendenz, Produzenten als DJ’s zu buchen – wo keiner einen Gewinn hat, wenn die dann gelangweilt den eigenen Labelkatalog runternudeln oder zu den eigenen Hits grimassieren, und dabei guten DJs den Platz wegnehmen.

Die noch schlimmere Tendenz, auch grosser, ehemals von mir geschätzter ‘Underground’ und ‘Tech House’-Ikonen, vorproduzierte Mixes laufen zu lassen.

Und am schlimmsten: Die steigende Tendenz des «Ghostwriting», womit ich explizit nicht Studio-Partnerschaften meine, sondern DJs, die sich aus Karriere- und Bookinggründen ohne jegliche Mithilfe Tracks vorproduzieren lassen und diese dann als ihre eigenen ausgeben. Ein Riesenproblem, das leider im Vergleich zu den DJ- Playbackshows von Guetta & Konsorten noch immer völlig tabuisiert wird: Traurig!

Check. Check. Check. [Welches Album, welche EP, welchen DJ muss man 2012 unbedingt noch anhören?]

Auntie Flos Podcast für Resident Advisor: nach einem imaginären Ritual kompiliert, aber keine Angst – dieses Mixtape aus Glasgow macht trotz Konzept riesig Spass!

DRM“: Crosson & Merveille’s tolles, frei zwischen Techno, House, Ambient, Minimal und Electronica flottierendes Konzeptalbum auf Visionquest.

Günther Lause: Zwei junge Münchner, die mit ihrem herzerwärmend verspielten Liveact viel frischen Wind in das oft dröge Bumm-Bumm der Open-Air-Landschaft bringen.

JD Twitch’s «White Light Podcast» hat mich das ganze Jahr begleitet – ekstatisch und eklektisch im besten Sinne.


Forget. Forget. Forget. [Welches Album, welche EP, welchen DJ kann man getrost vergessen?]

Als Liebhaber von klassischen Soulful-House-Interpreten der frühen 90er wie Larry Heard, MK, Blaze & Co. deren Rezyklierung durch junge, aufstrebende Produzenten, die vor allem dessen Glam & Glitz aufleben, nicht aber den ‘Soul’ – und es damit schaffen, House wieder so cheesy klingen zu lassen wie zu schlimmsten ‘Handbag House’-Zeiten.

Allgemein: Die x-te Umsetzung des ‘Deep House’-Schemas, was mit Tiefe meiner Ansicht nach grad gar nix mehr gemein hat, sowie die unzäligen Edits bekannter, alter und neuer Hits, die eigentlich genau den schnell zusammengeschusterten Club- und Megamixes auf den CD-Kaufhaus-Singles der 90er Jahren entsprechen.

Kommerzielle Portale, die auf den ‘EDM’-Hype-Zug aufspringen und DJ-Ranglisten erstellen, die zu mehr als die Hälfte aus Produzenten und Live-Acts bestehen. Ein Organisator eines Schweizer EDM-Awards entblödete sich nicht, den Auftritt von Kraftwerk am Zurich Open-Air als «bestes DJ-Set» zu nominieren.

Old is gold. [Deine Wiederentdeckung 2012?]

Steve Rachmad’s “Secret Life of Machines” (1996) lief bei mir auf Heavy Rotation. Danke für das tolle Re-Release!

Robert Hood hat für mich mit “Motor: Nighttime World 3” so etwas wie das quintessentielle Detroit-Album gemacht, falls man so etwas hier und heute noch sagen darf

Acid House: Bald ein Vierteljahrhundert ist es her seit dem «Second Summer of Love», jener Zeit also, wo die neue Bewegung zunächst England, dann die Welt eroberte. Als Techno noch mit Glücksversprechen gekoppelt war und die Aufbruchstimmung eine ganze Generation erfasste. Unglaublich, welche Energie damals ausgelöst wurde. Unglaublich, wie diese Energie zuerst gesellschaftlich bekämpft und kurz darauf kommerziell ausgeschlachtet wurde. Ein Lehrstück des Umgangs unserer ‘aufgeklärten’ Gesellschaft mit neuen sozialen Bewegungen. Dazu: Acid House 1989 – Illegal Rave Party

Für mich ganz persönlich von ganz grosser Tragweite: Einer meiner Lieblingsreleases aller Zeiten, Soul Capsules “Overcome” auf Trelik (1999), kam endlich neu heraus. Baby Ford und Melchior auf der Höhe ihres Könnens!

So wird 2013?

Man braucht kein Hellseher zu sein, um zu prophezeien, dass das ‘EDM’-Monster wohl ungebremst wachsen wird – und parallel dazu auch das Bemühen nach Abgrenzung der Underground-Techno -und House-Szene, was vermutlich zu noch mehr ‘Retromania’, Re-Releases, Re-Edits und Releases, die klingen wollen, als stammten sie selbst aus den 90er Jahren, führen wird.

Reihen wie Boiler Room und der Nachahmer-Effekt: Ich denke, je hautnaher und detaillierter der Einblick ins Auflegen und Produzieren via Internet wird, desto mehr aspirierende DJs und Produzenten werden sich aufmachen, die heutigen Leader of the Pack zu übertreffen. Keine schlechte Sache, wohlgemerkt!

“Trance”- oder “Tribal”-Revival: Ich glaube nach dem Understatement von Minimal, der Funktionalität des Tech-House und dem Polierte-Oberflächen-Glamour des Neo-Deep-House ist es wieder einmal an der Zeit für grosse Gefühle. Wie Trance 2013 klingen könnte, haben einige Produzenten 2012 schon angetönt: Über-emotional (Pachanga Boys’ “Time“) oder durchdacht & slow-burning (Petar Dundovs Ideas from the Pond-Album), grundsätzlich global (z.B. die plötzlich überall wieder auftauchenden, archaisch-synkopierten Trommelrhythmen, z.B. bei Daphni) und dezidiert meditativ (Dino Sabatinis “Shaman’s Path” auf Prologue). Wie auch immer, solange das bis vor kurzem noch so verrufene Genre soweit entfernt von Tiësto und Tatana bleibt wie nur irgend möglich: Count me in!

Mehr im Web:

Facebook: Lila Hart
Soundcloud: Tara Hill
Soundcloud: Pan*Tau
Twitter: Tara Hill

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