Ein Musikjahr, das ohne nennenswerte Ereignisse vergeht, gibt es nicht, hat es nie gegeben. In jedem Jahr finden in unserem Mikrokosmos wunderbare Dinge statt, werden Alben und EPs veröffentlicht, denen ein besonderer Zauber innewohnt – sofern wir bereit sind, diesen Wahrzunehmen. Oft ist es aber so: Je mehr wir uns mit etwas beschäftigen, desto eher laufen wir Gefahr, dass die Sehnsucht nach Neuem, nach Veränderung, in eine maulende Unzufriedenheit umschlägt. So kann es vorkommen, dass man sich durch Podcasts nur noch hindurchskippt, dass man Tracks lediglich kurz anspielt und Alben – wenn überhaupt – nur bis zur Hälfte durchhört, von Partys früher nach Hause zurückkehrt, weil DJ XY mal wieder nur bekannte Stücke gespielt hat, und so weiter. Wenn ich mir eines für 2013 vornehme, dann, Musik wieder mehr mit dem Herzen zu hören und auf den analytischen Teil zu verzichten. Und: Mehr Blogeinträge.
Der diesjährige Jahresrückblick vereint Lieblingsalben und Lieblings-EPs mit ihren Antagonisten: Stücken, die man einmal gehört und nie wieder hören möchte; auch solche gibt es. Genauso auch DJ-Sets. Solche, die einen begeistert haben und solche, die einem die Schreckensbleiche ins Gesicht getrieben haben. Sehr persönlich, sehr parteiisch, ist der Jahresrückblick, doch die Kategorien “gut” und “schlecht” werden ja letzten Endes durch unseren persönlichen Wahrnehmungsradius begrenzt. Auf die Gefahr, mich angreifbar zu machen, mein persönlicher Jahresabschluss 2012:
Love. Love. Love. [Lieblingsalbum, Lieblings-EP, bestes DJ-Set und beste Party]
Album: Sich 2012 auf ein einziges Album festzulegen, bedeutet, zwei bis drei Dutzend weitere Longplayer auf die Plätze zu verweisen. Aber Doppel-, Dreifach oder Fünfzehnfach-Gold vergeben – dazu reicht der Platz nicht aus. Ganz weit vorne landen auf jeden Fall Map.Ache mit Ulfo, Iron Curtis mit Soft Wide Waistband, Jacob Korn mit You & Me, Christian Löffler mit A Forest, Oskar Offermann mit Do Pilots Still Dream Of Flying sowie Prins Thomas und 2, erschienen auf Running Back.
Dort, auf Running Back, erscheint auch mein persönliches Lieblingsalbum 2012: “Phillips” von Lauer. Seit seinem Erscheinen im Frühling diesen Jahres höre ich es fast täglich einmal durch, von Anfang bis zum Ende. Weshalb? Ich liebe die erzählenden Synthesizertexturen. Story-telling poem.
EP: Bei den EPs gestaltet sich der Auswahl- und Entscheidungsprozess sehr viel leichter. Da ich von dem Druck befreit bin, Woche für Woche in den Clubs dieser Welt aufzulegen, kann und darf ich mich getrost lösen von einem Funktionalitäts- und Hitzwang, dem manch ein DJ unterliegt. Den Energielevel auf der Tanzfläche konstant hoch halten, die Crowd ständig nach vorne treiben, unterhalten, das erfordert mehr, als nur Stücke mit bollernden Bassdrums aneinander zu reihen.
Die Freiheit haben, einfach sein zu dürfen, sich frei und ungezwungen entfalten zu dürfen, besitzt die EP des Jahres 2012: Die Mike Huckaby-Remixe von “I Human”, einer Koproduktion von Jazzanova und Paul Randolph. Im rhythmischen Fluss gehalten von einem kraftvoll marschierenden Bass, schreitet der Song voran, untermalt von zarten Percussions und charaktervollen Keys.
DJ-Set: Auf Grund hoher Arbeitsbelastung, auch an den Wochenenden, kam ich in diesem Jahr kaum dazu, die Freiburger Abgeschiedenheit zu verlassen und Clubs wie die Zukunft in Zürich, das Robert Johnson in Offenbach oder die Hinterhof Bar in Basel zu besuchen. Allerdings hat sich in Freiburg auch einiges bewegt. Robag Wruhme, Monkey Maffia, die Freebase-Crew, Manuel Tur, Mike Huckaby, Julius Steinhoff kamen für DJ-Sets, Conforce, Redshape und Frank Wiedemann (Âme) spielten Live Sets, und dann noch die Freiburger DJs, die mir mit ihrer Plattenauswahl an manchem Montagabend ein Lächeln auf die Lippen gezaubert haben.
Überragend war für mich jedoch, Ben UFO auf dem Nachtdigital-Festival. House, Techno, Bass, Garage. Unheimlich. Schön.
Party: tageins.
Hate. Hate. Hate. [Schlechtestes Album, schlechteste EP, schlechtestes DJ-Set, schlechteste Party]
Album & EP: Dazu kann ich nichts schreiben. Ich höre ausschliesslich gute Musik.
DJ-Set: Es war im März, Frank Wiedemann (Âme) und die Gebrüder Teichmann spielten im Waldsee. Wiedemann stellte das zu dieser Zeit gerade veröffentlichte Album “Âme Live” vor, spielte sich durch “Setsa”, “Junggesellenmaschine”, die Remixe für Rodamaal und Roy Ayers, die ganzen Hits, die aus der Premiumschmiede Wiedemann & Beyer in den vergangenen fünf, sechs Jahren kamen. Davor die Gebrüder Teichmann mit einem phänomenal guten DJ-Set.
Nach dem Live Act trat ein DJ aus der Region an die Decks. Bereits die ersten Takte seines ersten Stückes zerstörten die wunderbare Stimmung im Waldsee. Selten habe ich erlebt, wie ein DJ mit so wenig Feingefühl und musikalischem Verständnis an das Set seines Vorgängers angeknüpft hat. Seelenloser, öder Minimal Techno. Vorbei der Zauber der vorangehenden Stunden.
Party: Schlechte Partys verlasse ich sofort.
Check. Check. Check. [Welches Album, welche EP, welchen DJ sollte man 2012 unbedingt noch anhören?]
Album: Oskar Offermann – Do Pilots Still Dream Of Flying – WHITE.
EP: Life Rekorder – No Look Back – Aesthetic Audio.
DJ: Ben UFO.
Forget. Forget. Forget. [Welches Album, welche EP, welchen DJ kann man getrost vergessen?]
Wankelmut, Klangkarussell, Alle Farben – wer und was immer auch aus dieser Ecke kommt. Abhaken. Vergessen. Nicht mehr zurückerinnern. 2013 wird es neue Produzenten geben – mit noch grösseren Hits, mit noch mehr Facebook- und Soundcloud-Followern, mit noch jüngeren Fans. Und diese drei? Wird keiner mehr kennen.
Old is gold. [Wiederentdeckung 2012]
636 featuring Arnold Jarvis – Rain
So wird 2013?
Dubstep, Deep house, UK Garage, 2Step, Juke, Trap – alles wurde uns bereits serviert, ob neu oder neu aufgelegt. Was bleibt für 2013 übrig? French House? Kommen wieder mehr Vocoder Vocals und Filter-Synthies zum Einsatz? “Music Sounds Better With You” in zahlreichen Remix-Versionen? Oder kommt der Electroclash der frühen Nuller-Jahre wieder zurück? Für mich soll 2013 vor allem eines bringen: Mehr Berge, mehr Natur, mehr Bewegung.