Berichte aus dem und über das Berghain versetzen mich regelmässig ins Staunen. Denn deren Verfasser blenden beharrlich aus, was den Charakter dieses Ortes, um nicht zu schreiben seinen Wesenskern, ausmacht. Man möchte beinahe von einem vorsätzlichem Unterlassen sprechen, dass kaum ein Journalist in seiner “Club-Reportage” auf die Künstler, DJs und Live Acts, die dort auftreten, eingeht. Stimmungen, wie sie sich dem Besucher beispielsweise kurz nach Mitternacht, kaum dass die ersten Platten aufgelegt wurden, bieten, ihre Veränderungen über die Nacht hindurch bis weit in den (Nach-)Mittag des darauffolgenden Tages, übergehen diese genauso wie sie die Energie der Musik, die Interaktion zwischen dem / den Handelnden auf der “DJ-Bühne” und dem Publikum als Handelnde auf der Tanzfläche ins Ungeschehene verlagern.
In keinem Bericht habe ich beispielsweise etwas über diesen in Worten nahezu unerklärlichen, zauberhaften Augenblick gelesen, wenn einer der Residents – Ben Klock, Marcel Dettmann, Marcel Fengler,… auf dem Berghain-Floor oder Tama Sumo, Steffi, Prosumer,… in der Panoramabar – die Regie an den Plattentellern übernehmen. In nur kurzer Zeit, mit nur wenigen gespielten Tracks lösen diese Resident-DJs einen Wandel auf der Tanzfläche aus. Er ist spürbar, aber nicht fassbar.
Sehr viele Schreiberlinge rücken dagegen Dinge in den Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit – und damit auch in den Blickpunkt ihrer Leser -, die zwar im Club selbst oder in seinem unmittelbaren Umfeld durchaus geschehen, aber – jedenfalls meiner Meinung nach – nur bedingt erwähnenswert sind. Langes anstehen, Türpolitik, blablabla. Man stelle sich nur einmal folgendes Szenario vor: Herr oder Frau X, fester Bestandteil der Kulturredaktion / des Feuilletons einer grossen deutschen Tageszeitung, fahren nach Bayreuth oder Salzburg, London oder New York, nehmen an Festspielen, Konzerten und Opernaufführungen teil. Was sie für ihr Blatt festhalten und in nett zu lesende Sätze verpacken, liesse sich wie folgt zusammenfassen: Rezession und aktuelle wirtschaftspolitische Unsicherheit machen sich auch hier bemerkbar – nur noch der zweit- oder drittbeste Caterer der Stadt kümmert sich um die Versorgung der Gäste – der Champagner ist lauwarm, die Lachshäppchen vertrocknet – Frauen zeigen dieses Jahr mehr Brust, Männer weniger Bauch. Sämtliche musikalischen Darbietungen, die Auftritte der Solisten blieben dagegen ausgeklammert. Thema verfehlt, würde ich nach einem solchen Bericht sagen.
Um dem langen, ausufernden Vorspann seine Daseinsbereichtigung zu verleihen: Dieser Ort, das Berghain, liefert auch für mich jede Menge Schreibstoff. Im Mittelpunkt steht für mich jedoch eindeutig die Musik, die erstens dort selbst geschieht und zweitens über das hauseigene Label Ostgut Ton, von dort ausgeht. Vor allem die Alben und Mix-Compilations erwarte ich stets mit grosser Spannung. Sei es der House von Prosumer und Murat Tepeli auf ihrem Longplayer “Serenity“, sei es der Techno eines Shed (“Shedding The Past“) oder Ben Klock (“One“) – auf ihnen tun sich elysische Klanglandschaften auf, denn die Musik dieser Künstler ist sehr inspiriert und beseelt, bleibt aber oftmals auch rätselhaft und unnahbar.
Noch viel stärker empfinde ich so bei den Mix-Compilations. Sie wirken auf mich wie ein Sehnsuchtsschreiben, verfasst von den jeweiligen Resident-DJs. In diesem Sommer war Marcel Fengler an der Reihe, die inzwischen fünfte Ausgabe der Berghain-Mixreihe aufzunehmen. Bereits der Blick auf die vorab veröffentlichte Tracklist reizte die entsprechenden Nervenzellen und weckte eine tiefe Lust auf diese CD. Fengler bleibt in seinem Mix durch und durch Techno. Er zeigt diese Musik auf seiner Einspielung in all ihren feinen Schattierungen und Spielarten – Detroit, Niederlande, Belgien, England, Deutschland. “robably best mix CD Ostgut has released since “Berghain 02”” schreiben die Jungs von mnml ssgs – und wer dieses Blog ein wenig verfolgt, weiss, dass die Macher mit solchen Aussagen sehr sparsam umgehen. Man darf also auf “die Berghain 05” gespannt sein.
Wie bei den vorigen Compilations erscheint auch zu Marcel Fenglers Mix eine 12″ mit exklusiv für diesen Longplayer produzierten Tracks befreundeter Künstler. Ins Studio zurückgezogen hat sich dafür erstens Peter van Hoesen. Erst im vergangenen Jahr hat der Belgier mit “Entropic City” ein Album herausgebracht, auf dem er mit einem archaischen, dunklen Techno brilliert, der seinen Ausgangspunkt sowohl in der harten, düsteren EBM / New Wave-Musik der 80er-Jahre nimmt als auch im Sound der Stadt Detroit. Auf Ostgut Ton schlägt er allerdings einen anderen Grundton an. Der Hi Tech Funk / Hi Tech Soul tritt in den Hintergrund. Dagegen setzt van Hoesen auf astrale Elektro-Klänge. Treibende Rhythmik, markante Beats, flirrende, psychedelische Synthesizer – Shroom-Erfahrungen, Warp und Trance liegen manchmal doch sehr nahe beieinander.
Auch Move D und Jonah Sharp haben sich unter ihrem Projektalias Reagenz zusammengetan, um die Compilation mit einem Track zu bereichern. Ein Rhythmuspattern aus federnder Kickdrum und subaquatisch tiefem Bass schicken sie dazu auf eine Reise durch mystisch anmutende, feinstoffliche Synthesizer-Sphären, die sich mal flackernd, mal morphend, mal pulsierend auf einander zu, mal voneinander weg bewegen.
Schliesslich befindet sich noch ein Track von Vril auf der EP. Dieser Produzent hat auf dem kleinen Weimarer Label Giegling, und dort in der Sektion “Staub” mit zwei Platten einen wahren Flammensturm aus (Dub) Techno entfacht, den er nun auch auf Ostgut Ton präsentiert.
English (short) version: this late summer will see Marcel Fengler releasing the fifth installment of Berghain mix-compilation. It will be a super strong and deeply techno rooted mix – the tracklist reveals many details. Peter van Hoesen, Jonah Sharp and Move D as Reagenz and mysterious Vril exclusively produced a tune for Marcel Fengler that are released in advance of the compilation. Check!
Mehr im Web:
Peter van Hoesen / Time To Express
Peter van Hoesen @ MySpace
Peter van Hoesen @ Soundcloud
Peter van Hoesen – DJ Mix Dezember 2010
Reagenz @ discogs.com
Marcel Fengler @ Facebook
Marcel Fengler – Mix @ mnml ssgs
Ostgut Ton @ Facebook
Ostgut Ton