Während ich an meiner Zulassungsarbeit schreibe verfolgt mich ohrwurmgleich und unablässig das bekannte “Dance, move on, get on up and boogie down. Dance, move on, get on up and boogie down.” Der Refrain des auf SonarKollektiv veröffentlichten Songs “Get On Up” des Musikers Volker Meitz. Es zieht mich, den Liebhaber hochwertiger (Tanz-)Musik, auf einen kalten harten Betonboden, auf eine polierte Parkettfläche, auf knarrende, rauhe und rohe Holzdielen.
Montags auszugehen, einen Club (suchen und) finden, der mit stilvollem, gepflegtem, zugleich aber auch lockerem Publikum und tanzbarer Musik mit Anspruch und Niveau aufwarten kann, gleicht – jedenfalls im Südwesten Deutschlands – nach der sprichwörtlichen Suche der Nadel im Heuhaufen. Namen wie Mojo Club (Hamburg), Giant Step (New York) oder Cool Monday (Zürich) liessen und lassen das Herz der Ausgehfreudigen schneller schlagen. Letzterer auch aufgrund eigener Erinnerungen, sind doch die DJ-Sets der Urväter der Cool Monday, Marcel “Muri” Maurer und Pascal “Gallo” Hahn legendär.
In den Kontext legendärer Clubnächte zum Wochenauftakt ist auch die tageins, die regelmässig im Freiburger Waldsee stattfindet, zu stellen. Unbestreitbar geniesst sie im Südwesten Deutschlands institutionellen Charakter und wird nicht selten auch von Gästen aus dem angrenzenden Basler Grossraum oder dem nahegelegenen Frankreich besucht. Die tageins gehört – mit einigen wenigen anderen – zu den Veranstaltungen, die ich nur ungerne ausfallen lasse, insbesondere wenn den Abend meine local heroes wie Kowski & Ricordo, Shaddy oder Agent Schwiech all night long bestreiten und die turntables zum Glühen bringen. Naheliegend, dass ich also auch vergangenen Montag am Start war, gracing the decks: Agent Schwiech, Begründer und Veranstalter der tageins.
I remember House, when it had artists, songwriters and personalities, und so sind auch folgende Worte nicht übertrieben: Agent Schwiech ist, genauso wie sein treuer partner in crime, Shaddy, ein DJ mit Leib und Seele, ein Künstler, eine Persönlichkeit. Wenn anderswo Plattendreher gefährlich emotionslos eine “Chart-Nummer” nach der anderen aneinanderreihen und ohne Leidenschaft und Verve den Crossfader von A nach B schieben, lieben und leben Agent Schwiech sowie Shaddy ihren Sound. Ein gutes Gefühl und gutes Gespür für den Sound zeichnen sie aus, sie scheinen die Musik jedes Mal aufs Neue zu erleben. Rare grooves und lose joints bringen sie genauso zu grösstmöglicher Entfaltung wie sorgfältig ausgesuchte primetime cuts. Minimaler, verdubbter House, seltene Disko- oder Funkperlen, Tracks mit direktem Link zu Detroit, Garage House-Klassiker oder einfach nur House, House and more fu**ing House sind die Grundbestandteile ihrer prickelnden Assemblage.
Wie möglicherweise bereits durchgedrungen sein mag, bin ich ein grosser Liebhaber der Berliner Labels Innervisions und SonarKollektiv. Verständlich, dass sich ein strahlendes Lächeln auf meinen Lippen abzeichnet, als ich mich die warmen Chords, der tiefe rollende (Sub-)Bass und der fein ausbalancierte groovende Beat von Âme‘s Nia (SK 027) ergreifen und über den grossen Teich nach Chicago und Detroit tragen, während ich das Waldsee betrete. I remember House, when House was born… Tief eingetaucht in diese Sounds, holt mich Agent Schwiech mit viel Feingefühl wieder zurück, nach Baden-Württemberg. Lux Dementia des Pforzheimer Kollektivs Afrilounge (CNS-019-6) lässt mich sanft landen in einer warmen Atmosphäre aus House und Techno. Minimale und deepe Houseelemente fliessen aus den Lautsprechern und verpacken die Tanzfläche des Waldsee in einen groovenden Klangkokon. Weich, geborgen und geschützt.
Zur Qualität eines DJs gehört auch und gerade, dass er während (s)eines Sets mit seiner Musik unterschiedliche Stimmungen erzeugen kann. Seine ausgewählten Songs, Tracks, vielleicht auch nur einzelne ihrer Bestandteile können, ja sollen, Sehnsüchte und Träume wecken (oder vergessen lassen), wunderschöne Erfahrungen und Erlebnisse in Erinnerung rufen, Assoziationen wecken, ein positives Lebensgefühl erzeugen.
Während mich die Piano Hookline von
Lux Dementia an meine
Königin der Nacht, die mich unlängst in ihren Bann gezogen hat, denken und mich fast schon schwermütig werden lässt, durchfahren mich die Sounds einer knochentrockenen Kickdrum und winzige vertrackte Elemente. Aus den Lautsprechern schiebt sich mir eine schwere tragseilgleiche Bassline entgegen, an der ich mich sprichwörtlich festhalte. Ich werde in die Mitte des Dancefloors gezogen.
Agent Schwiech nimmt gekonnt das Melodische und Instrumentale aus seinem Set heraus und blendet über in eine fast schon toolartige Produktion des Briten
Matt Edwards a.k.a.
RadioSlave. Diese Nummer ist ein Pacemaker. Sie zieht das Tempo beständig an, geht straight nach vorne, rückt die Crowd vor an die Technofront.
Von Ferne seh ich meine Königin der Nacht. Die Magie ihrer fliessenden und doch rhythmischen Bewegungen ziehen mich in ihren Bann. Ich erliege, ich muss ihrem Zauber erliegen. Mein Blick ist sehnsuchtsvoll-melancholisch auf sie gerichtet. Ich verzehre mich in der Hoffnung, dass unsere Blicke sich treffen und bin dem DJ dankbar, dass er mich mit einer stark in den 70ern verwurzelten, luftig leichten Diskonummer aus meiner langsam aufkeimenden Schwermut herauslöst. It’s time for Cosmic Disco.
Während ich mir draussen, auf der gut bevölkerten Terrasse des Waldsee Abkühlung verschaffe und ein angeregtes Gespräch mit meinem Freund vom Blogworkorange und einem italienischen Doktoranden führe, gibt Agent Schwiech Gas und peitscht auf die Crowd mit Sebbo‘s Watamu Beach (Desolat 003) ein. Vergleicht man Auflegen mit Sex, ist spätestens jetzt das Vorspiel vorbei und alles führt auf die Climax, den Höhepunkt hin.
Ein weiteres Qualiätsm
erkmal eines guten DJs ist es, den Höhepunkt seines Sets so lange wie möglich herauszuzögern und die Crowd auf den einen kurzen intensiven Moment der Extase vorzubereiten. “
I touched the sky, sky, sky, I touched the sky, sky, sky…” – unverkennbar.
Dennis Ferrer’s House-Hymne aus dem vergangenen Jahr (Dennis Ferrer – Touch The Sky – DFTD 156). Auf den Floor legt sich eine Art von Verzauberung und die ruhige Wonne des Glücks weicht exstatischen Momenten. Hands-up-in-the-air-Feeling.
JoVonn‘s
Losing My Mind im
Jon Cutler Distant Music Mix (Coco Soul 008)
löst mit seinen Vocals, den Streicher-Instrumentals und einem unwiderstehlichen deepen Groove Raum und Zeit der begrenzten Gegenwart auf.
Agent Schwiech lässt mich ankommen in New York, einer der Geburtsstätten und Heimat der Musik, des Lebensgefühls, das gemeinhin als
House bezeichnet wird.
I remember House, when House was about love. Thank you for being in the House, thank you for keepin’ me in the House! For the love of House!