Stadtmusik Festival Basel w /Theo Parrish – ein Nachtrag

Wie lange habe ich auf diesen Freitagabend gewartet. Wochen. Monate. Seit Bekanntwerden des Programmkalenders ist kein Tag vergangen, an dem ich nicht an dieses bevorstehende Ereignis gedacht habe. Erstaunlich, wie stark mich doch ein einziger Name emotional zu vereinnahmen vermag, der zudem kein Frauenname ist. Für Aussenstehende kaum oder gar nicht nachvollziehbar. Doch handelt es sich hier um Theo Parrish. Und der Anlass? Das Stadtmusik Festival in Basel, eine rund einen Monat währende Veranstaltung, (mit-)ausgerichtet und (mit-)organisiert von den livingroom.fm-Machern. Gewissermassen eine für jedermann frei zugängliche Live-Radiosendung, die sich die “urbane Jetztmusik” zum Anliegen gemacht und auf die Programmfahne geschrieben hat. Im Rahmen dieses Festivals, in Basel das erste (?) seiner Art, geben sich in dieser Zeit Live Acts und DJs wie Onra, Funkineven, Dimlite, Ashley Beedle, Appleblim, eine ganze Reihe Basler Local Heroes und eben Theo Parrish den Tonabnehmer, die Drehknöpfe des Mischpults, in die Hand. Theo Parrish. Je näher der Tag beziehungsweise der Abend rückt, an welchem er das Festival beehren, den Innenhof des Kunstmuseums in einen Klangkokon aus Jazz, Funk, Soul, Disco und House hüllen wird, desto unruhiger werde ich. Mit seinem Namen in Gedanken schlafe ich abends ein und wache morgens auf.

Verregnete, wolkenverhangene Tage und eine hohe Arbeitsbelastung im Vorfeld, eine seit Wochen anhaltende, mit Kaffee, Powerfood- und -napping nicht mehr auszuräumende Müdigkeit lassen mich ein wenig benommen in den Sitz der DB Regio von Freiburg nach Basel – Badischer Bahnhof fallen. Der Willkommensgruss ab Band zu Beginn der Fahrt verhallt im Nichts und verschmilzt mit dem Spätnachmittags-Small Talk meiner Mitreisenden zu einem unverständlichen badischen Sprachbrei. Mein körperliches Empfindungsvermögen und meine geistige Leistungsfähigkeit werden kontrastiert durch einen tiefblauen Himmel, sich auflösende, mit dem Wind dahinziehende Haufenwolken und sanft wärmenden Sommerstrahlen. Auftrieb für die Seele. Mit den Wolken verfliegen auch meine anfänglichen, in der Vorwoche auch hier geäusserten Bedenken (anderenorts als Voreingenommenheit, gar Vorurteilsbeladenheit ausgelegt).

Efringen-Kirchen. Eimeldingen. Weil am Rhein. Und endlich Basel. Badischer Bahnhof. Was im Herbst nach draussen und auf’s Rennrad lockt, eine sanfte Hügellandschaft, für den Weinanbau geeignetes Terrain, fein säuberlich herausgeputzte, üppig mit Blumen geschmückte Winzerdörfer, lässt an manch anderen Tagen Schwermut aufkommen. Landtristesse. Wohnen, wo andere sich eine Auszeit nehmen, Urlaub machen, aber ganz bestimmt kein Mensch sich zum feiern hinverirren mag. Genug lamentiert, denn immerhin geht in meiner (Wahl-)Heimatstadt ja auch immer wieder etwas, und Basel ist mit dem öffentlichen Personennahverkehr ebenfalls bestens erreichbar, um der heimischen Behaglichkeitsfalle für ein paar Stunden zu entfliehen. Anyway.

Vom Badischen Bahnhof aus bringt einen die Strassenbahnlinie 2 unmittelbar vor’s Kunstmuseum, dem Austragungsort des Stadtmusik Festivals. Dicht gedrängt stehe ich mit einer Vielzahl Teenager, Twens und Third Ager, alle bestgelaunt, das Wochenende nicht mehr nur in greifbarer Nähe. Es hat bereits begonnen. Ich befürchte eine kurze Zeit, habe sogar Angst, dass all diese Leute mit mir an der Haltestelle “Kunstmuseum” aussteigen werden, um sich das Set von Theo Parrish zu geben; schliesslich verirrt sich dieser Mann nicht allzu oft an den (Ober-)Rhein, schon gar nicht auf eine Veranstaltung mit freiem Eintritt (daher schon an dieser Stelle DANKE an die Veranstalter, Sponsoren, Mäzene, u.s.w.). Verfluchte Paranoia. Von diesen Mitfahrenden haben wahrscheinlich noch nicht einmal zehn Prozent etwas von Theo Parrish gehört, bringen Disco mit Glitzersteinchen, weissen Schlaghosen und Rüschenblusen in Verbindung und feiern ihr Wochenende, ohne auch nur einen einzigen Gedanken an die Musik zu verschwenden, die sie dabei hören werden. Manchmal beneide ich sie, die so feiern können. Bei mir geht das nicht (mehr), ging es noch nie.

Am Kunstmuseum steigt mit mir nur ein älteres Ehepaar aus, das jedoch in Richtung Stadtmitte spazieren wird. Vor mir ragt der Museumsbau in den Basler Augusthimmel. Ein grosses kubisches Gebäude. Hellgrauer Stein. Monumentalästhetik der 30er-Jahre. Erinnert nicht nur aufgrund seines geradlinigen geometrischen Bauschnittes ein wenig an den in dieser Zeit sehr gerne und durchaus ideologiefrei getragenen Fassonschnitt mit Seitenscheitel. Allzu weit hergeholt scheint diese meine Assoziation nicht zu sein, denn das Kunstmuseum in Basel wurde in den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts errichtet. (Architekten und Kunsthistoriker dürfen meine Einschätzung in den Kommentaren zerreissen). Die Rohheit des Gebäudes beeindruckt mich jedes Mal aufs Neue. Vorbei an drei Angestellten eines Sicherheitsunternehmens, deren Freundlichkeit nicht aufgesetzt wirkt, geht es in den Innenhof. Mehrere Sitzgelegenheiten, (kunst-)lederne Sitzwürfel, braun gehalten, belegt mit ebenfalls braunen Kissen, die das Logo eines Zigaretten herstellenden Unternehmens zieren, laden ein, Platz zu nehmen, einen Augenblick zu verweilen, die Stimmung aufzunehmen und auf sich wirken zu lassen.

Unzählige weisse Bänder, welche von einem über den gesamten Innenhof gespannten Netzgeflecht herabhängen, streuen das warme Licht der untergehenden Augustsonne und sogen für eine weiche Ausleuchtung. Jetzt, genauso wie auch zu später Stunde, wenn ein zwischen rot, grün/türkis und blau/violett changierendes Kunstlicht sie anstrahlt. Vereinzelt sitzen kleine Gruppen junger Menschen, Jungs und Mädels gleichermassen, auf den Sitzwürfeln. Sie trinken den spätestens in diesem Jahr auch in unseren Breiten einem grossen Publikum bekannt gewordenen Aperol Spritz. Gespräche werden, wenn überhaupt, mit gedämpfter Stimme geführt. Kaum einer scheint ein Interesse zu haben an der Musik, welche die Bernerin Sassy J derzeit präsentiert. Ganz zu schweigen von Theo Parrish später.

Sassy J. Vor einigen Wochen stand sie nach langer, sehr langer Zeit wieder einmal in Freiburg bei Tageins an den Plattentellern. Ihr eklektisches Set habe ich noch in bester Erinnerung. Für die 4/4-Fraktion, die vor allem eines will: Abfahrt um jeden Preis, war es sicherlich ungewohnt. Wahrscheinlich haben sehr viele zum ersten Mal in ihrem Leben wirkliche Musik in einem Clubkontext zu hören bekommen. Für mich war es eine akustische Wohltat, ein Stunden dauernder Augenblick der Erleuchtung. Zuhören, sich öffnen, die Klang- und Rhythmusvielfalt sowie die Melodiosität auf die Seele wirken zu lassen. Ein Stimmungs- und Spannungsbogen von Jazz / NuJazz über Broken Beats, UK Funky und Dubstep mit den Euphoriemomenten eines Joy Orbison hin zu Disco / Boogie-Klassikern und Michael Jackson-Hymnen der frühen Achtziger Jahre. Ein Traum. Höchst willkommene Abwechslung zu der geraden Bassdrum. Nach ihr schlägt zwar mein Herz, doch in letzter Zeit verspüre ich immer stärker ein Gefühl von Überreizung, Übersättigung. Nicht minder ausgewählt ist ihre Selection am heutigen Freitagabend zur Untermalung und Einstimmung auf den Mann aus Detroit. Jazz, Electronica, ein wenig in Richtung Pop weisende Stücke mit Gesang, Disco, einen Edit von Theo Parrish glaube ich herauszuhören sowie Floating Points “Peoples Potential“. Sehr gerne hätte ich über ihre Schultern auf die Plattenteller geschaut, um manch ein unbekanntes Stück für mich zu identifizieren. Doch Decksharks sind nervig, und auf die Nerven gehen möchte ich niemandem. So lege ich mich in die Sitzkissen, schliesse die Augen und geniesse.

Die Zeit scheint an mir vorüber zu fliegen und zugleich stehen zu bleiben. Ein Gefühl tiefer innerer Ausgeglichenheit und Ruhe erfasst mich. Und irgendwann, in dieses Moment der Zeitlosigkeit und Alltagslosgelöstheit, erscheint der Hauptact. Theo Parrish. Gekleidet in Bermuda Shorts in Baggy-Style, schwarzes T-Shirt und Sonnenbrille auf dem Kopf, betritt er mit einem beschwingt federnden, zügigen Gang den Innenhof des Kunstmuseums, mit einer Hand seinen Plattenkoffer nach sich ziehend. Ein wenig erweckt er den Eindruck eines Leichtathleten, der ein Wettkampfstadion betritt. Hoch konzentriert auf das bevorstehende Kräfte- oder Geschwindigkeitsmessen, dennoch locker und cool aufgrund seines sicheren Wissens, auf der Bahn glänzen zu können. Nach einem kurzen Drink an der Bar ist er bereit für das Radio-Interview, welches Sassy J stilsicher musikalisch untermalt. Theo Parrish erzählt – in meinen Augen – mit grosser Leidenschaft von den ersten Schritten hin zur Musik, wie stark ihn als heranwachsender Junge Jazz, Soul aber auch moderne klassische Musik beeindruckt und durch die Zeit seines Kunststudiums in Chicago und auf dem Kansas City Art Institute geführt haben. Er gewährt einen kurzen Einblick in seine persönliche Herangehensweise an (Club-)Musik, betont mehrmals, wie wichtig es sei, seine eigenen Wurzeln und diejenigen der (Club-)Musik nicht zu vergessen, und nimmt schliesslich Stellung zu der Frage Vinyl vs. mp3. Kurz und prägnant bringt er es auf den Punkt: “For me, vinyl is king.” Diesem Satz gibt es nichts mehr hinzuzufügen.

Augenblicke später steht er selbst an den Decks. Wer Theo Parrish schon einmal hat auflegen hören, weiss, wei sehr er sich in seine Musik vertiefen kann. Regelmässig scheint er eins zu werden mit dem Mischpult, mit den Bassfrequenzen und dem Rhythmus der gespielten Stücke zu verschmelzen. Der durchdringende aber sonore warme Klang eines Saxophons erfüllt den Innenhof des Basler Kunstmuseums. Klagend und melancholisch, in der Tiefe jedoch lebensfroh ist der Melodiebogen, welcher auf ihm ein mir unbekannter Musiker für diese Platte eingespielt hat. Nur zögerlich setzen dazu eine träumerisch-sphärische Perkussion sowie ein beeindruckender Basslauf ein. Theo Parrish schraubt, dreht an den Equalizern und arbeitet sich am Bassgroove ab. Ich glaube, ich habe diesen Vergleich bereits einmal gebracht, doch: in diesem Augenblick fühlt man sich versetzt in einen kleinen, engen Jazzkeller der 50er / 60er Jahre, in welchem eine Drei-Mann-Combo auf einer leicht abgesetzten Bühne steht und unermüdlich einen Standard nach dem anderen spielt, umgeben von dichtem Zigarettenrauch, ausgelassenem Gelächter und angeregt geführten Diskussionen. Von Jazz beziehungsweise Jazz-beeinflussten Platten spielt sich Theo Parrish zu Disco, Soul und Uptempo R’n’B aus dem Umfeld der Hitschmiede Motown sowie Funk und allerlei Fusion-Sounds. Ich glaube, Roy Ayers, Marvin Gaye und Azymuth herauszuhören genauso wie eine elegische Violinen-Passage, die mich sehr an Jean Luc Ponty erinnert. Ein Set, in welchem er all seine “roots and influences” präsentiert. Mighty Theo Parrish!

English (short) version: [after the weekend]

Mehr im Web:

Stadtmusik Festival Basel
Theo Parrish / Sound Signature @ MySpace
Theo Parrish / Sound Signature @ Facebook
Theo Parrish – Sets @ Fullbozman

4 Kommentare zu „Stadtmusik Festival Basel w /Theo Parrish – ein Nachtrag“

  1. sehr schöner Text! Freud mich, dass Du so einen tolle Zeit hattest mit Theo Parrish.

    “..Wer Theo Parrish schon einmal hat auflegen hören, weiss, wei sehr er sich in seine Musik vertiefen kann. Regelmässig scheint er eins zu werden mit dem Mischpult, mit den Bassfrequenzen und dem Rhythmus der gespielten Stücke zu verschmelzen..”

    http://www.youtube.com/watch?v=tX4DLswcdvQ

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