Okay, bis September ist es zwar noch ein ganzes Weilchen hin, aber Hype wem Hype gebührt. Dann nämlich kommt der Londoner und Wahl-Wiener Christopher Taylor alias Sohn für ein Konzert ins Jazzhaus.
Jeder Mythos braucht eine Geschichte. Sie macht ihn greifbar, lässt ihn als sinnvolle Wirklichkeit erscheinen. Fehlt sie, verliert der Mythos seine Kraft.
Nicht so beim Elektronikmusiker Sohn, der eigentlich Christopher Taylor heißt. Lange Zeit war er nur bekannt als schemenhafte Figur, die sich, sofern sie denn in die Öffentlichkeit trat, unter einer schwarzen Kapuze versteckte.
Sohn/Taylor hat keinen historischen Unterbau, der den Ausgangspunkt für Weitererzählungen bildet. Über seine Vergangenheit gibt es weder nebulöse Geschichten noch musikhistorisch belegbare Fragmente. Er schließt sie konsequent von der Gegenwart aus. In Interviews geht er über alles hinweg, was tradierungsgeeignet ist. Sohn ist Sohn. Das sagt der gebürtige Londoner im Gespräch mit dem BR-Jugendsender Puls.
Nach Taylors Verständnis bedeutet das gerne in Kapitälchen geschriebene Pseudonym “Sohn”Aufbruch und Neuanfang. Mit dieser Kunstfigur möchte er keine vorgezeichneten Wege gehen. Er will sich seine musikalische Entwicklung nicht vorschreiben lassen. Ganz so wie ein neugeborenes Kind, das seine Umgebung entdeckt, erste Beziehungen zu Objekten und Personen knüpft und mit der Zeit ein Ichbewusstsein entwickelt.
Sohn/Taylor also ist vergangenheitslos und wollte zu Beginn seines öffentlichen Wirkens auch keine Gegenwart haben. So verweigerte er 2012 dem österreichischen Kulturradiosender FM4, seine erste Single “The Wheel” zu spielen. Das hätte für ihn den Anfang einer Tatsachengeschichte bedeutet.
Vielleicht muss sich ein Künstler so verhalten, wenn sich im dicht besiedelten Feld von Post-Dubstep, Hauntology-Pop und Avantgarde-Hip Hop bewegt. Diese Genre kommen zur Sprache, wenn es um Sohn/Taylors Musik geht – gerade jetzt, da er sein Debütalbum “Tremors” veröffentlicht hat. Erschienen ist es im April 2014 auf dem britischen Label 4AD, Heimstätte von Indiebands wie Cocteau Twins und Pixies sowie Avantgarde-Musikern vom Format eines Ariel Pink.
Allerdings ist er an diesem Vergleich nicht ganz unschuldig. Auf “Tremor” beschwört er in elf Stücken die Geister der jüngsten Avantgarde-Vergangenheit herauf, die Jamie Woons und James Blakes oder einen Will Wiesenfeld alias Baths.
Doch Sohn/Taylor vertreibt diese Geister gleich wieder, kaum dass sie aus diesem diffusen Referenznebel aufgetaucht sind. Seine analogen Synthesizer spielt und bearbeitet er mit einem weichen und trotzdem kräftigen Anschlag. Dem melo-suizidalen Grundrauschen eines Blake setzt er Klangflächen entgegen, die er in warmen, vollen Farben zeichnet. Diese drängen ineinander, verschmelzen zu einem geradezu hypnotischen Rausch. Die Atmosphären verdichten sich und lösen sich auf. Sie umschweben nebelhaft seine Stimme.
Schon im ersten Vers bei “Lights”, dem ersten Song des Albums, wird deutlich: Sohn/Taylor ist kein Soul-Crooner der alten Schule. Er eifert ihr auch nicht nach, wie man es einem Mayer Hawthorne oder Jamie Woon unterstellen könnte. Er will den Pop-Schmacht auch nicht dekonstruieren, ihm mit Hilfe von Autotune kein anderes Gesicht verleihen.
Seine Texte handeln von dem Gefühl des Verlassenseins, von den Grenzen zwischen Liebe und Abhängigkeit, zwischen Hingabe und Selbstaufgabe. Er intoniert sie mit leicht rauchiger Stimme, die im Augenblick des größten Schmerzes trotzdem faszinierend unterkühlt bleibt. “Somebody better let me know my name, before i give myself away”, singt er in “Artifice”, “Nobody can leave me lying by the side of the road like you can” in “Paralysed”. Da möchte das Blut in den Adern gefrieren, der Atem still stehen.
Kurz vor dem Gefrierpunkt, kurz vor dem Atemstillstand, tauchen wie aus einer unterirdischen Kaverne bizarre Klickgeräusche, ein lebendiges Knistern und Knacken auf. Diese LoFi-Effekte holen einen zurück ins Leben. Am Horizont taucht die kalifornische Pazifikküste auf, Heimat von Glitch- und Noise-Hop-Spezialisten aus dem Anction- und Brainfeeder Records-Umfeld. So fühlt man sich bei Sohn/Taylor immer zugleich ein bisschen traurig und ein bisschen glücklich. Ein gelungener Auftakt für seine neue Geschichtsschreibung.
Weiterführende Links:
Webseite: Sohn
Soundcloud: Sohn
Facebook: Sohn
Puls: Sohn im Interview: Nicht von dieser Welt
Guardian: Review: Sohn – Tremors
DJ Broadcast: Interview: Sohn
[Foto: Sohn – Christian Pitschl]