Im Zusammenhang mit dem Thema Afterhour, das ich vorgestern kurz angerissen habe: Das Wissen, wer man ist, woher man kommt und wo man hingehört, kann sehr schnell einmal nicht oder nur bruchstückhaft abrufbar sein, wenn man sich vom Feier-Sog bis weit in den Nachmittag und darüber hinaus mitreissen lässt. Wenn man seine Umgebung nur noch schemenhaft wahrnimmt, wenn Gesichter verschwimmen und die Stimmen der anderen wie in einem Nebel verhallen, bieten oft nur Halt und Orientierung der gleichmässige Schlag einer Bassdrum, die prägnanten Hooklines eines Songs oder das catchy Vocal eines Tracks.
Do you know who you are, weisst du, wer du bist – diese Frage muss jedoch nicht zwingend auf diese Ebene der Identität abzielen. Sie kann sich auch an eine künstlerische Persönlichkeit richten. Diese ist in der Kunst ein Hauptstreitpunkt: Muss die schöpferische Arbeit tatsächlich das Ebenbild der eigenen Lebensweise, des eigenen Denkens sein? Welche symbiotische Existenz dürfen Individualität und Funktionalität in einem Stück führen?
Gerade diese Frage wird in der Clubmusik – hin und wieder auch von mir – bis zur Erschöpfung behandelt. Nur so viel: Was dient es einem Track, der dem Ideal der absoluten Individualität verdammt nahe kommt, wenn er seiner Bestimmung – die Leute im Club zum tanzen zu bringen – nicht im geringsten gerecht wird? Natürlich liegt in so einem Fall der Fehler bei der Crowd. Nicht. Genauso wenig wie beim DJ. Wenn 200 Leute tanzen, und nur einer ans DJ-Pult kommt und im Augenblick tiefster Techno-Pop-Glückseligkeit à la “Der Alte” von Kölsch nach Minimal fragt – wer mag da eher falsch liegen?!
Doch nun zur Platte selbst: Shane Linehan, ein Produzent, DJ und seit 2012 mit Basic Grooves Recordings auch noch Labelbetreiber, wirft diese Frage – Do You Know Who You Are – im Titel seiner soeben auf dem schwedischen Label Local Talk erschienenen Platte auf und bewegt sich mit seinem Track ebenfalls zwischen den Koordinaten Individualität und Funktionalität. Letzteres ist dem Stück insofern zu attestieren, als Shane Linehan darauf sehr zeitgemäss mit den Merkmalen des Jersey-House und UK Garage spielt: Zwischen nur wenigen Tönen changierende Orgel-Akkorde, die sich durch den ganzen Track leitmotivisch hindurchziehen; ein hüftschwingender Rhythmus aus körperreichem Bass und stampfenden Kickdrums. Hört selbst:
Als Remixer tritt der Französische DJ und Produzent Fulbert auf. Es ist nach der Garden State 92 EP sein zweiter Beitrag für das Imprint von Mad Mats und Tooli, die sich mit den bisher veröffentlichten Releases ganz dem Zanz-Feeling hingeben – Disco-Bass, Disco-Streicher, Disco-Piano, angedubbt und auf das House-Fahrwerk aufgezogen. Fulbert transferiert den Bass noch einige Stufen tiefer, lässt ihn gemütlich und weitaus entspannter rollen, als es Linehan im Original tut. Ausserdem bekommen die Orgel-Akkorde ein Geschwisterchen, und zwar – ihr wisst es sicher schon – einige Piano Keys. Was für eine grossartige EP für unverbesserliche Nostalgiker, Head Nodder mit neuromantischer Sehnsucht und überlegen wissenden One Foot Skankern.
Label-Exkurs: Den Release-Reigen auf Local Talk eröffnet haben der Mallorquiner Nacho Velasco und Wagon Cookin’ als Bassfort mit ihrer EP “Moon Shadow / Moon Light“, einer im Bass kräftigen Platte, auf der gerade die Themen Disco-Piano und Disco-Streicher durchexerziert werden. Seither erschienen auf Local Talk ausschliesslich KILLER-Platten, von denen mich die EP “1990 von Deymare am meisten beeindruckt hat. Klassisches Verständnis und heutige Interpretation von House Music auf den Punkt gebracht!
English (short) version: Local Talk Records has become an outlet for heavy hitters very quickly. The next instalment is presented Irish man Shane Linehan and French Boy Fulbert on remixing duties, dealing with classic house music in the most up-to-date way.
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