Annähern, aber nicht anbiedern; hinführen, aber nicht aufdrängen – so lässt sich der musikalische Ansatz mit kurzen Worten beschreiben, den Amanda und Britt Brown mit ihrem Label 100% Silk verfolgen. Auf den inzwischen um die dreissig Veröffentlichungen haben Produzenten wie Maria Minerva, Innergaze (hieran ist Jason Letkiewicz, der emsige Produzent und L.I.E.S.-Labelmacher aus New York beteiligt), Octo Octa oder Ital dazu beigetragen, dass House und Garage, oder sagen wir einmal: elektronische Clubmusik, nicht mehr ausschliesslich nach Abschlussklasse 1992/93 klingen, auch wenn das Jahrfünft von 1987 – 1992 auch für diese Künstler unabstreitbar prägend, weil essentiell, ist.
Vielleicht liegt es daran, dass dieser Schwung an Produzenten den ganzen House-Kram nicht als starre, die musikalische Ausdrucksweise einschränkende Schablone, verstehen, sondern als offenen Überbau, unter dem sich Disco, Soul, Pop, R’n’B aber auch harte Drum Machine-Stakkati frei begegnen können, ohne sich um ein konventionelles, sozusagen antikenorientiertes Auftreten kümmern müssen. Damit wird der gestalterische Spielraum, den diese Produzentengarde hat, um ein Vielfaches grösser, auch wenn man dem Sound eines TR-707 Plug-in verfallen ist oder diesen Kasten zuhause rumstehen hat.
Nun zu Roland Tings: Dieser, geboren und aufgewachsen als Rohan Newman, kommt aus Melbourne / AUS, und scheint in Sachen Veröffentlichungen ein Debütant zu sein. Denn “Milky Way” ist die erste 12″, die er in seiner musikalischen Sed-Karte stehen hat. In seinen Tracks kommt zwar auch er nicht um die 4/4-Schrittfolge herum. Diese Grundposition braucht ja eigentlich nicht mehr diskutiert werden. Sie ist in dem Genre axiomatisch verankert, genauso wie es die synkopen Halbtakte bei Dubstep und 2-Step sind. Sie lässt sich nicht neu entwerfen. Punkt. Doch hinsichtlich Klangfarben, Melodien und ausgearbeiteten Effekten vermitteln die Künstler auf 100% Silk und hier Roland Tings ein neues Hörerlebnis: Tings hat ein feines Gespür für schräge Harmonien, in denen er euphorische und melancholische Stimmungen vereint. Er streut mehrtönige, aber dissonant klingende Tonfolgen über Bässe und Beats, die jedem Produzenten zwischen Newark Bay und East River gut gestanden hätten; damals, in den Neunzigern, ihr wisst schon. Des Weiteren wird man den Eindruck nicht los, dass Tings ab und an seine Konsolenspielerfahrung – hinsichtlich verrückter Töne und Effekte – einfliessen lässt, allerdings auf eine un-nerdige, angenehme Art und Weise. Fiepen und Bit-Klang nicht als gestalterisches, sondern als verzierendes Motiv. Big fun!
ENGLISH SHORT VERSION
Releases on 100% are funny, quirky and soulful, thoughtful and edgy, but also deep kissing and dancing music. “Milky Way”, the debut Melbourne / Australia based producer Roland Tings, is an EP you should check.
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Facebook: Roland Tings
Soundcloud: Roland Tings