Über die letzten Jahre hinweg hat sich das Amsterdamer Label bzw. der Vertrieb Rush Hour zu einem attraktiven Standort und Drehkreuz für House und Techno aus den beiden an den Grossen Seen gelegenen us-amerikanischen Städten entwickelt. Ob Rick Wade, Tevo Howard oder Kenny Larkin, sie alle fanden dort eine (zweite) neue Heimat, genauso wie Rick “The Godson Wilhite, dessen legendären EPs The Godson E.P. und Soul Edge dort neu aufgelegt wurden.
Man mag zum Thema Re-Release / Repress stehen, wie man will, Sammler und Musikpuristen können und dürfen dieses Phänomen auch gerne als Unding, die Begriffe “Repress” oder “Re-Release” gerne als Unworte bezeichnen und auf alle Käufer verächtlich herabblicken. Wer zur damaligen Zeit jedoch noch nicht geboren, im erwerbsfähigen Alter beziehungsweise (noch) nicht die Möglichkeit hatte, das Original zu erwerben; wer derzeit auch (noch nicht) das Geld hat, auf dem Discogs-Marketplace sich derlei Raritäten zu erwerben, diese Musik jedoch über alles liebt; wer ganz einfach Angst hat, diese wertvollen Platten von einer Veranstaltung zu nächsten zu schleppen, dem kommen diese im Anschaffungswert doch günstigeren Neuauflagen sehr entgegen. Ein kleines Beispiel am Rande: um an einen meiner unbestrittenen Lieblingstracks von Daniel Bell zu gelangen, “Berserk“, erschienen 1998 auf der “Elevate Special Projects 2“, müsste der geneigte Käufer derzeit wenigstens 90 US-$ aufbringen. Wenn da die verständisvolle Oma auch nicht mehr unterstützend unter die Arme greifen kann, wird der Einkauf durchaus zum kostspieligen Vergnügen.
Genug der Ausführungen am Rande. Eben jener Rick Wilhite, The Godson, Gründungsmitglied des mit Marcellus “Malik” Pittman, Kenny Dixon Jr. und Theo Parrish gemeinsam betriebenen Projekts 3 Chairs und des Musikerkollektivs The Rotating Assembly, erscheint auf der vorliegenden 12″ für einmal nicht als Produzent. Er ist als Selector unterwegs, eine Tätigkeit, die er zum einen als DJ, zum anderen als Inhaber eines Plattenladens in Detroit (“Vibes”) über die letzten beiden Jahrzehnte hinweg perfektioniert hat. Filterfunktion als Sichwort.
Auf “Vibes New & Rare Music Part A” stellt er drei Tracks dreier (befreundeter) Produzenten vor, von denen wenigstens die ersten beiden eigentlich keiner Vorstellung mehr bedürfen. Es handelt sich dabei um seinen 3 Chairs-Partner Marcellus “Malik” Pittman und Chicago’s Very Own Glenn Underground. Zu diesen beiden gesellt Rick Wilhite den bisher wahrscheinlich noch nicht so aufgefallenen Detroiter DJ und Produzenten Vincent Halliburton, der über die letzten sechs, acht Jahre ein, zwei Mal auf Scott Fergusons Ferrispark Recordings oder Reggie Dokes Psychostasia Recordings in Erscheinung getreten ist.
Seit dem ersten Durchhören ist jedoch sein Track, “Something I Feel“, mein liebstes Kind geworden. Genauso wie für Piano-Instrumentals bin ich auch empfänglich für diese mal anschwellenden, mal wieder abklingenden, von einem feinen Dub-Hauch umgebenen Synthesizer-Chords, wie sie Vincent Halliburton hier präsentiert. Seine Beats und Bässe hören sich an, wie einer Analog-Spielerei entsprungen, Snares, Claps, Kicks und Percs – a Great Lakes traditional culture menue. Marcellus “Malik” Pittman bestätigt wieder einmal seine meisterhafte Fähigkeit, auf die Knochen heruntergestrippten Maschinenfunk zu produzieren. So erinnert mich “In Due Time” auch unweigerlich an die Passage in Kenny Dixon Jr.s Interview anlässlich der Red Bull Music Academy in London (Februar/März 2010), in der er über das Anwerfen und Bearbeiten der Drumcomputer und Synthesizer spricht. Zuletzt erfreut Glenn Underground, Chicagos Very Own, mit seiner unbestechlichen Art und seiner, von allen Fremd-Einflüssen unerschütterbaren Haltung. Aus “Ninja” spricht sein von schwarzer (Club-)Musik, von Disco und House beseeltes Wesen, das mal tief betrübt vor Melancholie, mal entrückt vor Euphorie zu sein scheint. Die wehmütige Melodie, der dunkel schnurrende Bass sowie die sanft perkussiven Beat-Landschaften auf Ninja spielen sich denn auch unweigerlich in mein Herz, das ungebrochen für Glenn Underground schlägt.
Die 12″ “Vibes New & Rare Music Part B” ist übrigens auch schon in Umlauf, auf dem sich Theo Parrish zu einer epischen, jazz-trunkenen Jamsession eingefunden hat und der Newcomer-Produzent Ricardo Miranda an die besten Zeiten US-amerikanischer Housemusik anknüpft. Teil drei und vier stehen auch in der Pipeline, genauso wie eine Compilation-CD.
English (short) version: Rick “The Godson” Wilhite not as producer but as selector, an aptitude he’s been developping for pretty two decades now, be it as a dj, be it as the founder and owner of Detroit based record store “Vibes”. Therefore it is obvious that Rick Wilhite, himself a member of 3 Chairs and The Rotating Assembly projects, is able to present three over-the-top gifted producers appearing with three tracks that all breathe the Great Lakes house and techno music tradition. Reach out for the second, third and fourth part of “Vibes New & Rare Music” too.
Mehr im Web:
Rick “The Godson” @ MySpace
Marcellus Pittman @ MySpace
Vincent Halliburton @ MySpace
Rush Hour / Label
Rick Wilhite live at Affiliated Vibes, Miami 2008:
Rick Wilhite Live @ Affiliated Vibes, The Office, Miami Beach – 29-03-2008 (Play.Fm) by R_co