Eine Grande Dame süddeutscher Clubnächte – das ist die Veranstaltungsreihe “Bag of Goodies”. Sie feiert 2016 ihr 21-jähriges Bestehen. Ein Gespräch mit Emanuela De Luca und Marc Bohlmann über Beziehungskitt, Freistil, Wärme und Soul.
“Zwei, um die mancher Stuttgarter die Tübinger beneidet.” So schrieb einst die Stuttgarter Zeitung über Emanuela De Luca und Marc Bohlmann,die Veranstalter und Resident-Discjockeys der Bag of Goodies-Partys in Tübingen. Diese Veranstaltungsreihe feiert an diesem Samstag, 20. Februar, ihr 21-jähriges Bestehen. Im Jazzkeller in der Haaggasse, an dem Ort, an dem im Februar 1995 alles angefangen hat. Höchste Zeit also für ein Interview, mehr Protokoll eines Gesprächs, das mit einer konkreten Frage begonnen und einen eigenen Flow entwickelt hat. Flow – darum ging und geht es ja eigentlich beim Auflegen und beim Feiern.
Bag of Goodies gibt es seit 21 Jahren. Was ist der Kitt, der eure Beziehung zusammen hält?
Marc Bohlmann: Eine persönliche Freundschaft, die weit über das Auflegen und Veranstalten der Partys hinaus geht. wir verstehen uns, wir sind auf dem selben Lebel.
Emanuela De Luca: Ich lebe mittlerweile in Paris, Marc wohnt auch nicht mehr in Tübingen. So sind die Partys eine gute Möglichkeit, dass wir uns wenigstens ein paar Mal im Jahr in Tübingen sehen.
Marc Bohlmann: Angefangen hat ja alles mit derselben Leidenschaft für die Musik. Wir haben beide voneinander profitiert, auch mit anderen Projekten, die wir nebenher gemacht haben.
Wie hast du, Emanuela, von Marc profitiert?
Emanuela De Luca: Ich habe mir viel von Marcs Auflegestil abgeschaut. Ich habe ja sehr frei gespielt, stückweise und ein bisschen abrupter. Marc dagegen hat sehr in Spannungsbögen gedacht, die er sehr langsam angegangen ist. Das habe ich mit der Zeit übernommen.
Inwieweit hast du, Marc, von Emanuela profitiert?
Marc Bohlmann: Als ich mit Auflegen anfing, habe ich nur House gespielt. Ich habe mich zwar auch für Jazz und artverwandte Genre interessiert, auf die Plattenteller kam mir das aber nicht. Für mich war es sehr spannend zu sehen, wie Emanuela soulige und jazzige Platten in einem Kontext spielt, der aufs Tanzen ausgerichtet war. Ich war auch fasziniert, wie sie zwischen Funk und Soul zu den TripHop- und Broken Beat-Geschichten gewechselt hat, die zu der Zeit massiv aus England rüberkamen, ohne dass das Publikum aufgehört hat, zu tanzen. So habe ich auch angefangen, mich als Discjockey für andere Stile zu öffnen und nicht nur House aufzulegen.
Bag of Goodies war und ist ja als Freistil-Nacht bekannt. Wie versteht ihr diesen Begriff eigentlich?
Marc Bohlmann: Das ursprüngliche Motto war “a soulful, funky, jazzy affair”. Das stand auch ziemlich lange auf unseren Flyern. Der Fokus war ganz klar auf Clubmusik ausgerichtet…
Emanuela De Luca: …aber wir wollten einfach kein Korsett haben, in das wir uns zwängen mussten.
Marc Bohlmann: Auch unter Dancemusik oder Clubmusik versteht jeder etwas anderes. Viele, die unter dem Label “Freistil” aufgelegt haben, haben sich ja selber wieder auf Broken Beats, Rare Grooves, diese West-London-Sachen, beschränkt. Die haben sich selber ein eigenes Korsett geschneidert. Für mich bedeutet Freistil wirklich Freiheit, auf der Grundlage eines Clubkontexts.
Emanuela De Luca: Wichtig ist, dass der Flow stimmt. Dass das Ganze irgendwie Sinn macht. Wir hatten immer etwas zu erzählen mit der Musik. Und das wollen wir auch weiterhin tun.
In den 21 Jahren hat sich viel getan in der Clubmusik. Es kamen Electroclash, Minimal-Techno als Hypes auf, sogenannter Deep House wurde wieder fancy. Wie geht ihr mit solchen Entwicklungen um?
Marc Bohlmann: Ich bin grundsätzlich offen für alles. Bei vielen Platten wird mir aber schnell klar, dass die überhaupt nicht mein Ding sind. So war das Electroclashige, Trancige nie mein Fall. Für mich müssen in der Musik immer der Funk und der Soul dabei sein. Das Schwarze, wenn man so sagen will.
Emanuela De Luca: Soul ist für mich immer der Kern der Musik. Ich habe die Szene und Trends auch immer mit offenen Augen beobachtet und mir vieles angehört. Aber für mich muss Musik muss etwas Warmes vermitteln.
Marc Bohlmann: Vieles ist ja auch dem persönlichen Geschmack des Moments geschuldet. Auch an unseren Abenden wanderten wir nie durch alle Stile. Man öffnet zwei, drei Schubladen, aus denen man sich bedient. Mehr geht einfach nicht. Mal hatten wir mehr Drum and Bass, mal mehr brasilianische Boogie-Platten dabei. Dann wieder mehr Dubstep, als sich auf diesem Gebiet sehr viel Spannendes getan hat. Wenn man einen Mitschnitt von 1997 anhört, einen von 2002 und einen von 2011, dann klingt keiner gleich.
Apropos Wärme und Soul: Welche Kriterien muss eine Platte erfüllen, damit sie in den “bag of goodies” kommt?
Emanuela De Luca: Ich kaufe nie etwas, nur weil es gerade Mode ist. Ich muss hinter der Platte stehen. In den vergangenen Jahren bin ich wieder sehr soulig geworden. Alles, was Groove und Soul hat, nehme ich mit, egal, ob das jetzt House, Disco oder Techno ist. Wenn mich ein Stück berührt, wird es in den “bag of goodies” gepackt. Denn nur, wenn mich irgendetwas berührt, kann ich diese Berührung weitergeben und andere Menschen glücklich machen.
Marc Bohlmann: Bevor ich auflege, mache ich mir mal weniger, mal mehr Gedanken, wie ein Abend ablaufen soll. Mir ist wichtig, dass ich das Publikum auf eine Reise nehme und es unterschiedliche Gefühlswelten erleben lasse. Danach kategorisiere ich die Platten, danach sortiere ich sie. Je nachdem, was ich vorhabe, landet die Platte in der Tasche. Im Club geht es ja nicht nur um das Musikspielen, sondern um die Leute zu einem gewissen Höhepunkt zu bringen.
Immer wieder hattet ihr auch Gast-DJs im Club, Gerd Janson, Mike Huckaby, Rahaan. Wie schafft man es, große Namen ins kleine Tübingen zu holen?
Marc Bohlmann: Als wir die Party noch jeden Montag gemacht haben (1995-2005, die Red.), konnten wir uns Bookings finanziell gut einplanen. Wenn man an drei Abenden ohne Risiko auflegt, kann man einen vierten Abend ins Risiko gehen und einen auswärtigen DJ einladen. Manche DJs, die gerade in der Gegend aufgelegt hatten und auf der Durchreise waren, kamen dann vorbei. Zudem hat sich unsere Veranstaltung rumgesprochen, so dass andere, wie zum Beispiel Rainer (Trüby, die Red.) uns ab und zu seine Gast-DJs vermittelt hat, die am Samstag zuvor bei ihm aufgelegt hatten.
Emanuela De Luca: Zu manchen Discjockeys hat sich auch so etwas wie Freundschaft entwickelt. Mit der Zeit wird das Auflegen dann auch zu einer Freundschaftsangelegenheit.
Wie “Bag of Goodies” heute. Wie gut könnt ihr euch eigentlich noch an die ersten Abende erinnern?
Emanuela De Luca: Den allerersten Abend?
Marc Bohlmann: Da war ich noch gar nicht dabei…
Emanuela De Luca: In den ersten Monaten habe ich mit jemand anderem aufgelegt. Ich hatte mich sehr von den Montags-Clubnächten in London inspirieren lassen, in der Bar Rhumba oder im Mojo. Ich fand die Atmosphäre toll, und wollte so etwas auch in Tübingen machen. Der Jazzkeller hat sich als Ort gut angeboten. Damals gab es dort noch keine Clubabende. Noch nicht einmal eine Anlage war vorhanden. Die mussten wir für jeden Montag reservieren, mitschleppen, aufbauen. Der Aufwand war groß, aber wir waren auch motiviert.
Keine Anlage, alles aufbauen, warum tut man sich das eigentlich an?
Emanuela De Luca: Leidenschaft, Motivation, Lust, Musik mit anderen Menschen zu teilen, etwas auf die Beine zu stellen.
Marc Bohlmann: Die frühen Neunzigerjahre waren auch eine gute Zeit. In Tübingen sind 1992 die Franzosen abgezogen. in den leerstehenden Kasernen und Armeegebäuden gab es Freiräume, die man besetzen konnte. Viele haben versucht, dort eine Nische für ihre Kunst zu finden.
Emanuela De Luca: Der Geist der Neunzigerjahre war ein anderer. Man musste eigentlich alles selber machen. Betrachtet man die Entwicklung der Clubmusik und ihrer Szenen, hat heute alles Rockkonzert-Charakter. Die Leute tanzen nicht mehr wild durcheinander, sie stehen alle in Richtung Mischpult ausgerichtet. Sie verlieren sich nicht mehr, treiben gemeinsam durch die Nacht, sondern warten angespannt, was der Discjockey als nächstes macht.
Marc Bohlmann: Das hat man bereits gemerkt, als in Tübingen das Depot eröffnet hatte. Als sich dieser Ort allmählich etabliert hatte, kamen viele Leute, die dort auflegen wollten, einfach um an diesem Ort gespielt zu haben.
Früher war also doch alles besser?
Marc Bohlmann: Ganz bestimmt nicht. Auch bei uns gab es Abende, die so etwas wie einen Konzertcharakter hatten. Zum Beispiel, als wir DJ Vadim zu Besuch hatten. Da kamen an einem Montag 600 Mann, und alle waren darauf fixiert, was er da vorne gemacht hat. Da mussten wir sogar ins Depot ausweichen, weil der Jazzkeller zu klein war.
Emanuela De Luca: Ich denke, dass das vor allem an den einzelnen Menschen liegt. Es gibt welche, die haben ein Geltungsbedürfnis und suchen nach einer Plattform. Die werden nie in den sogenannten Untergrund gehen.
Marc Bohlmann: Die suchen dann die großen Clubs, stehen hinter dem Discjockey und himmeln ihn an. Das ist aber etwas, das wir nie gesucht haben. Auf unseren Kellerpartys ging und geht es immer mehr um die Musik als um den Discjockey. Und das ist mir auch lieber so.
PODCAST
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Die Anfänge der Partyreihe “Bag of Goodies” reichen bis in das Jahr 1995 zurück. Damals spielte Emanuela de Luca zum ersten Mal unter diesem Veranstaltungstitel im Jazzkeller in Tübingen – an einem Montag im Februar. Bald darauf stieß Marc Bohlmann alias Bobby Mhark dazu, Mitgründer des Musik- und Clubkultur-Magazins ouk. House, Disco, aber Platten, die zurück zu den Wurzeln dieser Tanzmusiken führen, kamen auf die Plattenspieler. Immer wieder spielten auch Gast-DJs bei “Bag of Goodies”, so zum Beispiel DJ Vadim, Kon & Amir, Rich Medina, die Jazzanova-Jungs, Gerd Janson. Aber auch Rainer Trüby, der gleich noch den Japaner Yoshihiro Okino (Kyoto Jazz Massive) mitbrachte.
Webseite: Bag of Goodies
Facebook: Bag of Goodies
Soundcloud: Goethebunker-Podcast Bobby Mhark
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