Norman Nodge: “Im Berghain kann ich mich als Künstler ausleben”

Norman Nodge ist Resident-DJ im Club Berghain in Berlin.

Er ist Resident-DJ im vielleicht bekanntesten Techno-Club der Welt: Am Samstag kommt Berghain-Stammspieler Norman Nodge für ein Set ins Crash. Ein Gespräch über die Faszination Techno und das Auflegen im Berghain.

2007 hast du deine erste EP auf Marcel Dettmanns Plattenlabel MDR veröffentlicht. Die Stücke tragen nur Ziffern als Titel. Wofür stehen diese?

Norman: NN sind meine Initialen. Bei den Titeln habe ich mir nicht so viel gedacht. Die Ziffern beziehen sich auf die ungefähre Dauer des jeweiligen Tracks. In der Arbeitsphase war der eine Track etwa 7,4 Minuten lang, der andere drei Minuten lang. Eine mythologische Ziffern- oder Buchstabenbedeutung gibt es also nicht.

Auf mich als Außenstehenden haben die Ziffern wie verschiedene Versionen eines Stücks gewirkt.

Norman: Die Versionen-These ist leider nicht haltbar. Manchmal macht es ja durchaus Sinn, dass man einen Loop hat, ihn entwickelt, und bei der Aufnahme noch das eine oder andere musikalische Thema in den Track einfließen lässt. Ich fange in der Regel jedoch immer von vorne an, ein Stück zu produzieren. Die Drums und alles nehme ich von Anfang an auf. Da gibt es nichts, was ich von einem vorhandenen Stück übernehme. Ich weiß, dass manche Produzenten auf vorhandene Pattern zurückgreifen, aber das mache ich grundsätzlich nicht.

Wie sieht denn dein Produktionsprozess aus?

Norman: Manchmal habe ich eine zündende Idee, komme in einen Flow und produziere ein Stück in drei, vier Stunden fertig. So war es zum Beispiel bei “The Happenstance”. Das ist auch ziemlich der einzige Titel von mir, der etwas melodischer und nicht ganz so loopbezogen ist. Sonst kann es auch sein, dass ich die Loops lange liegen lasse. Ich lasse meine Musik gerne sacken, denn die Loops müssen mich fesseln und dürfen nicht langweilig werden, wenn ich sie öfters höre.

Dein Veröffentlichungskatalog ist sehr überschaubar. Wie streng gehst du mit dir als Produzent um?

Norman: Ich bin hauptberuflich Rechtsanwalt und will auch Zeit für Familie und Freunde haben. Ich habe deshalb nicht ganz so viel Zeit, um mich hin zu setzen und Ideen umzusetzen. Andererseits habe ich dadurch nicht diesen Veröffentlichungsdruck, wie in manche Kollegen haben, die hauptberuflich als Produzent und Discjockey unterwegs sind. Wenn ich produziere, habe ich aber wirklich große Lust darauf.

Seit 2005 bist du Resident im Berghain. Was kannst du dort auflegen, was du in anderen Clubs nicht spielen kannst?

Norman: Im Berghain kann ich mich absolut auf die Technik verlassen. Ich kann dort mit Schallplatten auflegen, ohne dass die Nadeln springen oder dass es zu Rückkoppelungen kommt. Das ist in vielen Clubs heute leider nicht mehr selbstverständlich. Ich kann mich im Berghain aber auch als Künstler ausleben. Zwar muss ich die Menge auf der Tanzfläche bei Laune halten, aber durch die Dauer des Sets kann ich mich musikalisch entwickeln und auch Brüche riskieren.

Was kann man sich darunter vorstellen?

Norman: Genre- und Tempowechsel. Manchmal gehe ich von 130 BPM auf 110 BPM runter, oder umgekehrt. Manchmal spiele ich Stücke, die Clubgänger mit Scheuklappen vielleicht als kitschig oder unpassend empfinden könnten. Eine alte Cosmic Baby-Nummer zum Beispiel. Aber das ist mir egal. Wir sprechen ja inzwischen von einer Zeitspanne von über 30 Jahren, in der Musik unter den Techno-Begriff subsumiert wird. Es gibt daher immer Menschen, die diese Musik gerade für sich entdeckt haben und für die Altes neu ist, und umgekehrt. Und auch ich kenne längst nicht alle Platten.

Du legst seit über 20 Jahren auf. Wie vermeidest du, dass sich bei der Plattenauswahl und beim Auflegen Routinen einstellen?

Norman: Eine gewisse Abstumpfung kann ich nicht vermeiden, manche Stücke höre und spiele ich ja immer wieder. Trotzdem höre ich viel neue Musik, und wenn ich aus 100 gehörten Stücken zwei für mich entdecke, erweitere ich meine Sammlung um diese zwei.

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Worauf achtest du beim Plattenkauf zuallererst?

Norman: Ich werde hellhörig bei Musik, die ich zuvor noch nicht oder noch nicht so gehört habe. Der Loop muss mich fesseln. Ich gehe gerne in Plattenläden einkaufen, in Berlin aber fast nur ins Hardwax, weil ich weiß, dass ich dort qualitativ hochwertige und ein bisschen vorgefilterte Musik zu hören bekomme.

Ich tausche mich aber auch mit Freunden aus. Wir spielen uns gegenseitig Platten vor, und dann kommt es auch vor, dass ich eine Platte für mich neu entdecke, die schon seit zehn Jahren im Regal steht. In den letzten Jahren gehe ich auch wieder vermehrt aus, höre mir an, wenn Freunde und Bekannte im Berghain spielen. Wenn es sich ergibt, gehe ich mit meiner Freundin dort auch einmal an einem Sonntagabend hin.

Wie fühlt es sich dich an, wenn du das Berghain als Gast besuchst?

Norman: Da ich Resident-DJ bin, habe ich schon einige Privilegien. Ich muss zum Beispiel an der Tür nicht Schlange stehen. Ich kenne die Türsteher, viele Mitarbeiter, und das vermittelt mir immer auch das Gefühl, dass ich Freunde treffe.

Fällt es dir leicht, dich in deinem Stammclub der Musik eines anderen Discjockeys hinzugeben?

Norman: Das ist ganz einfach. Wenn der Discjockey gute Musik spielt, gehe ich auf die Tanzfläche und tanze. Ich bin dann einer von vielen Tänzern und gehe in der Menge auf.

Warum hat deiner Ansicht nach Techno bis heute nichts von seiner Anziehungskraft verloren?

Norman: Ich bin mir nicht sicher, ob die Musik als solche für eine Anziehungskraft sorgt. Ich kann da nur von mir aus gehen. Ich kann Techno nicht in jeder Umgebung hören. Für mich muss diese Musik mit einem Club und einer Menschenmenge zusammengehen, die sich dem Rhythmus hingibt, sich antreiben lässt und in eine Art Trancezustand fällt. Das macht für mich den ungebrochenen Reiz aus.

„Love, Peace and Happiness“ war in den Neunzigerjahren das Motto vieler Raves. Wofür sollte Techno im Jahr 2017 stehen?

Norman: Ich finde, man kann Musik und Clubkultur nicht auf einen Nenner herunterbrechen. Auch wenn dieses Motto grundsätzlich in Ordnung ist, finde ich es dennoch zu plakativ. Man kann nicht davon ausgehen, dass man eine große, eingeschworene Gemeinschaft ist. Auch ich muss immer wieder Denkhemmungen ablegen. Um Offenheit, darum geht es im Club doch eigentlich.


ZUR PERSON: Norman Nodge

Norman Nodge, eigentlich Norman Noczinski, ist seit 2005 Resident-DJ im Berghain in Berlin, dem bekanntesten Techno-Club der Welt.  Der 42 Jahre alte Discjockey und Produzent ist hauptberuflich Rechtsanwalt. 2007 veröffentlichte er mit “MDR 03” seine erste EP auf Marcel Dettmanns Plattenlabel MDR:


Was: YouthLife w/ Norman Nodge, T.A.N.N.E., K_Arim
Wann: Samstag, 4. März 2017, 23 Uhr
Wo: Crash, Freiburg

[Dieses Interview erschien am 3. März 2017 gekürzt in der Badischen Zeitung und im Onlinemagazin fudder.de]

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