Da stehen sie, meine persönlichen Sonnengötter des Nachtdigital 2013: Kompakts Michael Mayer und Gerd “Super Gerd” Janson. So unterschiedlich ihre DJ-Sets sind, spenden beide mit ihrer Musikauswahl Licht, Wärme, Geborgenheit und Kraft. Sie lassen mich vergessen, wo ich bin, was war und was sein wird.
Michael Mayer eröffnet sein Set mit ambieten, instrumentalen Stücken. Vielleicht wird man den einen oder anderen Track auf einer Kompakt Pop Ambient 2014 entdecken, vielleicht in einer älteren Ausgabe dieser Compilation-Reihe finden. Feinfühlige Beats und langgezogene Basslines deuten an, wohin die Reise am zweiten Abend des Nachtdigital Festivals gehen wird. Mayer spielt House von Isolée (oder war es doch Roman Flügel?) und Sevensol & Bender (“Captain Trollig”). Er zieht das Tempo an, packt Platten aus dem Relief-Umfeld auf die Plattenteller und legt episch-ravige Nummern nach. Eine ‘Speicher’ war da sicher auch mit dabei. Den Abschluss macht sein eigener Remix zu Superpitchers “Happiness”. Vier Stunden auflegen sind für einen Disc Jockey wie Michael Mayer einfach zu wenig.
Ein tiefes Glücksgefühl habe ich auch im Zelt, kaum dass Gerd Janson die erste Platte spielt. Erinnert sich noch jemand, was das für ein Stück war? Der flächige Hintergrund des Tracks wirkt wie eine kaum spürbare Berührung auf meiner Haut. Er elektrisiert mich. In meinen Körperzellen entsteht das Bewusstsein, dass schon bald ein Euphorieregen niedergehen wird. Er lässt nur kurz auf sich warten. Pianotöne, Staccato gespielt, kündigen ihn an. Es folgen Dubs von Mark Kinchen, “I Feel Good Things For You”, ein Spätneunziger-Hit des schottischen Sub Club-Residents James Harrigan (Daddy’s Favourite) sowie Soundstreams “Inferno”. Längst brennt das Zelt.
Kurz vor Mitternacht verlassen wir es. Ein Live-Set von Sheela Rahman alias Xosar ist für die Open Air Bühne angekündigt. Ihre Platten auf Rush Hour und L.I.E.S., ihr Xamiga-Projekt mit Legowelt, alles beruht auf einem maschinenverliebten House-Fundament. Auf dem Nachtdigital Festival bietet sie House mit feinsinnigen Beats und melancholischer Chicago- von mir aus auch Detroit-Poesie. Schön zum anhören, die organisch warme Beschaffenheit ihrer Tracks erinnert mal an Galaxy 2 Galaxy oder Drexciya, mal an Larry Heard oder den Guidance-Kram. Leider geht ihre Performance nach dem Vier-Stunden-Trip Michael Mayers und einem Gerd Janson in Bestform ein wenig unter.
Dann ist es ein Uhr morgens. Noise-Flächen erfüllen den Strand des Bungalowdorfs Olganitz. Synth-Sequenzen stöhnen heiser, Effekte schaben, kratzen, knacken. Jamie Roberts alias Blawan übernimmt. Er dreht den Sound raus, bis nur noch ein leises Rauschen zu hören ist; eine fast schon Angst einflössende Geräuschkulisse. Dann setzen der Bass und die Beats ein. Sie rumpeln, donnern, scheppern. Sie versetzen mich inmitten eines Berggewitters mit intensiven Regenentladungen, Steinschlag und Felsabgang. Agent Schwiech und ich schauen uns an. “Der scherbelt wirklich gewaltig”, sagen wir beide zugleich und lachen. Uncanny Valley-Mann Albrecht Wassersleben hatte nicht zu viel versprochen. Blawan fegt die letzten Erinnerungen an Xosars schüchternes Live-Set aus den Hirnkammern raus. Die UK-Hardcore-/Rave-Schule ist nichts für einen Softie wie mich. Schnell zurück ins Zelt, die letzten Minuten von Gerd Janson, seinem letzten Stück (Massive Attack – Unfinished Sympathy) und dem Live-Set von Sam Haar und Zach Steinmann, das sind Blondes.
Es folgen: ein DJ-Set des grossen Joy Orbison, das mich zwiegespalten zurücklässt. Selection und Mixing kann ich gleichermassen loben und kritisieren. House und Tech House, an dem ganz viel Zucker klebte und den ich auf Ministry of Sound- oder Defected-Compilations erwartet hätte, stehen Killertunes von – unter anderem – Pal Joey, Paul Woolford und dergleichen gegenüber. Crazy! Zudem fehlte mir passagenweise der Flow. Es schien, als wollte Joy Orbison wie ein Jeff Mills den ‘essential part’ aus den Stücken herausarbeiten. Doch wieder und immer wieder klang es so, als ob er durch die Tracks holperte und stolperte. Schaden, denn sein Set, das er 2010 im Berghain anlässlich der Honest Jon’s-Nacht spielte, war so wunderbar.
Zur selben Zeit draussen: Chymera, Steffen Bennemann und James Holden. Dabei wird mir – erneut – klar: Trance beziehungsweise stark angetrancte Musik und ich werden in diesem Leben keine Freunde mehr. Später versöhnen mich Steffen Bennemann und James Holden mit einem back-to-back Set auf der Zielgeraden des Nachtdigital Festivals. Disco, Italo, französische Rock- und Popballaden, krautige Elektronika-Stücke, Yacht und Surf Rock, und bei “Sun” von Caribou kommt auch tatsächlich die Sonne wieder zum Vorschein. Ein schöner, würdiger Abschluss eines großen Festivals, das mit Skydden und Robag Wruhme am See noch eine Ehrenrunde drehen sollte. Danke, für alles, Nachtdigital 2013.