Zwei – unvermeidliche – Begebenheiten, die ich nicht sonderlich mag: Erstens, im Verlauf einer Clubnacht nach einem Track gefragt zu werden. Meist verbindet Mein Gehirn diese Frage mit dem Negativerlebnis ‘Prüfungsdruck’ und der Angst, an dieser Frage zu scheitern. Die Folge davon ist ein kurzes Blackout und das Schuldigbleiben der Antwort, auch wenn Informationen wie Titel, Produzent, Label und so weiter grundsätzlich abrufbar gespeichert sind. Zweitens, nach meinem all time favourite gefragt zu werden. Denn ich werde den Eindruck nicht los, der Fragende erwartet sich von mir, dass ich ihm ein rares Detroit-, Chicago- oder sonstiges Stück nenne, einen ‘secret weapon track’, den auch discogs.com nicht führt.
Die erste Situation lässt sich gut vermeiden: auf die Tanzfläche gehen, Augen schliessen, tanzen und am Ende der Veranstaltung schnell verschwinden. Der zweiten Situation zu entgehen, ist etwas schwieriger. Aber immerhin kann man sich besser auf sie vorbereiten, in dem man sich in einer freien Minute ein paar Stücke überlegt, die man dann mit einer gewissen Lässigkeit nennen kann. Ein Track, der bei mir unter die Kategorie ‘all time favourite’ fällt, ist “The Planets” von Aroy Dee. Ursprünglich erschien er 2003 auf NWAQ. 2009 wurde er ein weiteres Mal aufgelegt und zusammen mit einem Remix von Vince Watson veröffentlicht, der einen durchrüttelt wie ein Herbstwind, der wild durch Baumkronen fährt.
Dieser Produzent, Aroy Dee, steht mit seiner Musik für eine felsschroffe Soundästhetik. Rauhe Beat Pattern entfalten in seinen Stücken vom ersten Takt an einen klare und dynamische Unmittelbarkeit – ganz unabhängig davon, ob der Track langsam oder in einem forschen Mid Tempo gehalten ist. Mit seinen Beats bringt Aroy Dee Boden und Wände eines Clubs zum beben, und die tiefen, dunklen, schwebenden Bässe verstärken ihre Wuchtigkeit. Besonders beeindruckend: die psychedelischen Synthesizer, die gleichsam in der Luft, über dem Rhythmusgerüst liegen und hell strahlen wie Aurora Borealis, das Polarlicht.
In Sachen Unmittelbarkeit und Dynamik lässt Aroy Dee auch auf seiner neuen 12″ “Lost Digits“, die dieser Tage auf Steffis Label Dolly erscheint, nichts vermissen. Im Titeltrack lädt der niederländische Produzent ein zu einer rauschhaften Fahrt durch zerklüftete Gebirgswelten aus Bassdrum-, Rim Shot- und Snare-Sedimenten, die alle analogen Ursprungs sind. Auf “Belfast” stellt Aroy Dee dagegen Bass und Acid Synthesizer in den Vordergrund. Die Beats sind zwar weniger zerklüftet, aber kaum zugänglicher, kaum lieblicher, was an den nervösen Hi-Hat-Blitzen und Snares liegt, die wie Blitze niedergehen und die Klanglandschaft elektrisch aufladen. In dieselbe Kerbe schlägt auch “Insolence”.
Als Remixer tritt Marcel Fengler auf. Seiner “Sphinx EP” zählte und zählt noch immer zu den herausragendsten Techno-Platten des vergangenen Jahres, und dass er auch vom Handwerk des Zerlegens und Neuarrangierens viel versteht, bewies der Berghain-Resident mit Remixen für Coincidence Records (“Quake – Device Overload – Marcel Fengler Remix“) oder Perc Trax (“Sawf – Unrhythm – Marcel Fengler Remix“), letzterer ein energetischer, ungezügelt bollernder Kracher. Auf Delsin vermag sich Fengler meines Erachtens noch ein wenig zu steigern und setzt aus meiner Sicht dem Original noch eins oben drauf, indem er Aroy Dees rohester Version von House einen schnittigeren Groove verpasst, was der traumverhangenen Atmosphäre jedoch nichts wegnimmt. Schnörkelloses Kraftpaket mit hoher Dynamik und mächtigem Drehmoment!
English (short) version: Aroy Dee delivering a journey into the depths of powerful analogue house music. Remix by Marcel Fengler: powerhouse techno!
Mehr im Web:
Aroy Dee @ MySpace
Aroy Dee – Interview @ Little White Earbuds
Aroy Dee – DJ Mix @ Zero” Podcast
Dolly – Label Page @ Resident Advisor