Beruflich habe ich dieser Tage viel mit Pressemitteilungen zu tun. Manche sind klar und nachrichtlich verfasst. Sie informieren über aktuelle Projekte und Entwicklungen von Unternehmen, Veranstaltern oder Vereinen. Andere Pressemitteilungen wiederum verfolgen nur ein Ziel: So viel Aufmerksamkeit wie möglich erzeugen. Die Sprache ist fast ausschliesslich werblich. Sie transportiert ausser ein paar Worthülsen nichts. Die Glaubwürdigkeit geht gegen Null.
Auch einigen Booking- und Künstler-Agenturen gehen diese Basics in Marketingkommunikation und PR völlig ab. Nehmen wir als Beispiel den – frei erfundenen – Neuproduzenten und Disc Jockey Kevin Schröder: Kevin Schröder ist Anfang zwanzig, legt seit zwei, drei Jahren mit Serato in den Clubs seiner Heimatstadt auf und bastelt Woche für Woche via MixMeister einen Podcast. Diesen teilt er über Social Media-Plattformen wie Soundcloud, YouTube und Facebook.
Das macht er auch mit seinen eigenen Tracks. Die erstellt er ebenfalls am Rechner. Popsongs mit viel Airplay im Radio dienen ihm dabei als Grundlage. Nach kurzer Zeit werden Musikblogs auf ihn aufmerksam, deren Betreibern jeglicher kritische Blick abhanden gekommen ist und die – ähnlich wie werbliche Pressemitteilungen – eine hohe Reichweite mit geringem Aufwand erzielen wollen. Das Stück wird somit vieltausendmal, was schreibe ich, millionenfach gespielt, geteilt, weiterverlinkt.
Es folgen erste Bookings. Sie führen Kevin Schröder nach Höxter, Bad-Kreuznach, Straubing und zu einem Holi-Festival, das in einer der Umlandgemeinden stattfindet. Das zieht auch den Betreiber einer Künstler-Agenture an, der in dem jungen Kerl so etwas wie eine leicht zu haltende, aber sehr ertragreiche Milchkuh sieht. Von nun an soll Kevin Schröder an jedem Wochenende in wenigstens zwei Städten auftreten, und um das zu erreichen, muss so viel Aufmerksamkeit wie möglich erzeugt werden.
Entsprechend wimmelt es in der Pressemitteilung über den neuen “Star” Kevin Schröder von folgenden Begriffen: “Erfolgsgeschichte” – muss gleich an den Anfang gestellt werden; “absoluter Star”; “beeindruckt”; “großer Durchbruch”; “erfolgreichst”; “mehrere Millionen erreicht”; “unzählige”; und so weiter
Bevor ich mich in diesem Thema verliere, ein kleiner Tipp, eine kleine Bitte an die Booking- und PR-Agenten: Selbst Biographie-Generatoren wie 500letters.org erzeugen inhaltlich vielseitigere und sprachlich ausdifferenziertere Texte. Verwendet doch diese und erspart mir, in Zukunft dieses ganze Stargeschwafel lesen zu müssen. Von euren “Künstlern” werdet ihr mich sowieso nicht überzeugen können.
Zu 100 Prozent überzeugt bin ich allerdings von den Produzenten und Disc Jockeys, deren Podcasts ich an diesem Montagabend empfehle:
I Tom Noble – Juno Plus Podcast 75. Es waren eine EP auf Clone (“Dancing Hard“) und Monate später eine Ausgabe des Boiler Rooms, die mich auf den US-amerikaner Tom Noble aufmerksam gemacht haben. Seither bin ich Fan der Musik, die der jetzt in New York lebende Disc Jockey und Produzent auf Label wie Peoples Potential Unlimited und einigen anderen Label veröffentlicht hat. LoFi-Discoboogiefunk. Oder wie auch immer man das nennen mag. Einige seiner Tracks verarbeitet er auch im Mix für Juno Plus.
II Kalidasa The R$N Mix. Kalidasa heisst eigentlich Tim Rivers. Er kommt aus England und erhielt die wohl grösste Aufmerksamkeit, als Andrew Weatherall seinen Track “Bursting Through” für die Masterpiece-Compilation auf Ministry Of Sound lizensiert hatte. Als Kalidasa produziert Rivers Musik, die man irgendwo zwischen Disco und House einsortieren kann. Zwischen diesen beiden Genre bewegt er sich auch in seinem Mix für The Ransom Note.
III Dynamo Dreesen – Welcome To The Room Mix No. 39. Dynamo Dreesen hat uns in diesem Jahr auf seinem Label Acido Recordings zwei der schönsten Platten beschert, die man in dem ganzen Wust an House- und Techno-Platten finden konnte: “Untitled“, produziert von der Labeleigenen Supergroup Tase sowie eine weitere “Untitled“-Zwölfzollscheibe, an der er selbst zusammen mit SVN beteiligt war. Wer an dieser Stelle mehr über ihn, seinen musikalischen Hintergrund und die Herkunft seines Namens erfahren möchte, sei auf das Interview auf Made Like A Tree verwiesen. Für alle anderen geht’s sofort zum Mix.
IV DJ Speckgürtel – Trushmix 43. Ich tue mir immer schwer mit so dämlichen Festlegungen auf “Platte des Monats” oder “Platte des Jahres”. Wenn dann aber so einer Killer-12″ wie “Speckbass” von den Sex Tags Mania-Jungs DJ Fett Burger und DJ Speckgürtel erscheint, erliege auch ich der Versuchung, Superlative hervorzukramen. Dass der Speckgürtel als Selector und Disc Jockey ebenso taugt, liegt auf der Hand. Würde er sonst das “DJ” seinem Namen voranstellen?
V Kim Brown – Get Deep Mixcast Vol. 20. Nach “Platte des Monats” und “Platte des Jahres” dürfen auch “Album des Monats” oder “Album des Jahres” nicht fehlen. Dazu zählt unbestritten “Somewhere Else It’s Going To Be Good”, das Debütalbum von Ji-Hun Kim und Julian Brown auf Just Another Beat. Dieser Longplayer schenkt dem Zweifler den Glauben zurück, dass Jack nicht tot ist. Dass House lebt. Auch schön: Ihr Groove-Podcast.