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Früher war alles besser. Auch Feindbilder waren deutlicher auszumachen. Damals gab es Minimal, es gab Elektro beziehungsweise NuRave. Sägezahn-Synthesizer, Rockgitarren-Bässe, Atari-Gezwitscher und ödes Geklacker. Das war böse, sehr böse Musik. Man könnte M_nus, Ed Banger oder Kitsuné als Massstab für persönliche Abneigung gegen diese Art von Musik heranziehen. Aber man würde diesen grossen Elektroniklabel grosses Unrecht antun. Denn wenn ich im Vergleich dazu aktuelle Veröffentlichungen auf Label wie, sagen wir einmal Stil vor Talent, anhöre, die voll von Harmonie und Sonnenlaune sind, gefällt mir der Früh- und Mittnuller-Hypesound wieder gut. Was ganz zu Beginn auf M_nus und den französischen Imprints die Plattenläden erreichte, hatte ein inneres Konzept, vielleicht sogar eine spirituelle Dimension, die ich zwar nie zu betreten vermochte, weil mir das Marathonfeiern dann doch nicht liegt, weil ich Knicklichter und Neonfarben schon immer doof fand.
Heute jedoch ist jede Musik irgendwie “deep”. Also eigentlich gut. Oder irre ich da? Hört man sich die Tracks an, habe ich das folgende Bild vor Augen: Ein Groovekuchen, überzogen mit Zuckerharmonie und darauf Vocalstreusel gestreut, der jedoch, kaum aus dem Ofen, lies Presswerk, geholt, schon sehr bald wieder in sich zusammensackt. Ein Werk ohne Label- und Produzentenphilosophie. Aber wozu auch. Das Spiel funktioniert doch. Man kann mittels heruntergeladener App sämtlichen Pop- und Rocksongs ein Viervierteltaktgewand anziehen, kann sie mit Beats unterlegen und daraus einen “Sommerhit” basteln. Sich tage- und nächtelang an einem Sound abarbeiten oder an Bassdrums feilen? Oder sich so intensiv mit Rhythmus, Melodie, Harmonie, mit anderen Musiken, Kunst- und Ausdrucksformen auseinandersetzen, dass einem mittels MPC in Windeseile ein grossartiges, samplebasiertes Kunstwerk gelingt? Das war einmal. Wer das macht, ist irgendwie selbst schuld. Gefragt ist Musik für den Jetztgebrauch, einwegverpackt, zum einmaligen Gebrauch bestimmt.
Das zeigen auch Bezeichnungen wie “Sommerhit” oder “Ibizahit”. Was in diesem Sommer passiert, interessiert im darauffolgenden Jahr niemand mehr. Wenn ein DJ diese Songs auch Wochen nach ihrem Erscheinen spielt, kann er froh sein, den Club lebend zu verlassen. Es sei denn, der “Sommerhit” hat sich so unendlich tief in das Gehirn seiner Liebhaber eingefräst, dass sie ihn als Sofortklassiker immer und immer wieder hören können. Und wollen. Und dann aber Gnade all jenen DJs, die diese Stücke nicht dabei haben. Oder noch nie etwas von ihnen gehört haben.
Was mich daran jedoch am allermeisten stört, ist der leichtfertige Umgang mit den Begriffen “deep” und “deepness”. Wie inflationär DJs damit in anderen Städten hausieren gehen, kann ich nur ansatzweise beurteilen. In Freiburg dagegen spielt inzwischen jeder, absolut jeder DJ “Deephouse”, wenn nicht gar “feinen Deephouse”, vor allem, wenn er an einem Samstag wie dem morgigen in irgendeinem Bekleidungsgeschäft zwischen Boss Orange Jeans und Polo by Ralph Lauren-T-Shirts steht, stehen muss, um mit seinem DJ Control Pad Beats aneinander zu knüpfen. Aber das ist ja “deep” und “deep house” und damit ja gut.
Ehrliche Meinung: DJs, die sich hergeben, in Kaufhäusern zur Hintergrundbeschallung beizutragen, sind zu bedauern. Sie haben keinen Club, keine Crowd, niemand betritt ihretwegen das Kaufhaus, niemand geniesst ihre Musik, niemand lässt sich fallen, an der Hand nehmen und durch den Abend, durch die Nacht führen. Euphorie? Glückseligkeit? Weit gefehlt! Man läuft als Kunde an ihnen vorbei. Man guckt, sofern älteren Semesters, den Kerls über die Schulter, schaut ihnen zu, wie sie an den Knöpfen drehen, stellt vielleicht die Frage, was er denn da mache und wie er es mache, und läuft dann weiter. Durch bunte Strickpulloverberge beispielsweise. Und spätestens nach dem zweiten Glas Sekt ist alles vergessen, der DJ genauso wie die Musik. Denn diese ist genauso seicht wie der Schaumwein, der fünf, zehn Minuten im Glas perlt und danach niemandem mehr schmeckt. Irgendwie traurig.
Ganz anders dagegen die Musik, welche die folgenden DJs in den vergangenen zehn, vierzehn Tagen ausgewählt und in Mixform gegossen haben. Da ich oben schon so viel Text stehen habe, nehme ich mir die Freiheit, die Sets unkommentiert aufzuführen. Die Musik spricht für sich!
Beats In Space liefert eine ganze Reihe grossartiger Gastauftritte. Als da wären:
– Justin Strauss & Lexx @ Beats In Space #642 [Danke, Lexx, für Mixx & Camero – Liquid Cole (Can You Feel It Mix)! Was für ein wunderschöner Tune!]
– Roman Flügel & Studio Barnhus @ Beats In Space #644
Das Studio Barnhus-Kollektiv hat ausserdem einen Promomix für eine Party, die Heaven’s Gate Party im Club Santos (NYC) aufgenommen.
Sebastian Lohse alias Break SL und Stefan Menzel a.k.a. Sandrow M sind C-Beams. Ihr Podcast für die Field Recordings-Podcastreihe ist…überragend gut!
– C-Beams – Field Recordings 041
Baaz produziert nicht nur hervorragende, sich in keiner Weise abgreifende, abnutzende Musik für Label wie Elevate, er mischt auch wundervolle Podcasts ab. Zuletzt für Inverted Audio:
– Baaz – Inverted Audio Mix #79
Ab und an entdeckt man auch neue Plattendreher, die sich möglicherweise noch in einem Bedroom-Stadium befinden. Einer von ihnen nennt sich Laurin, und dieser hat vor einigen Tagen einen Vinyl-Mix aufgenommen. Trocken, treibend, perlend. Nice one!
Und zum Abschluss noch ein kurzer Blick über den ach so engen Tellerrand: Da wäre zum einen der Lumberjack In Hell-Gründer und A&R in Personalunion, Marcel Vogel, mit einem Podcast für Champloo.
Zum anderen ein abschliessender Blick zu den Souldiction-Jungs, die kurz davor stehen, ihren hundersten Podcast zu feiern. Nummer 94 eröffnen sie mit “Ulysses” von Om Unit. Braucht’s noch etwas mehr als Appetizer? Ich denke nicht!
ENGLISH SHORT VERSION
To make it, well, short: In my opinion, DJs who play in department stores on special saturday openings are to deplore. They have no crowd, nobody takes care about them and their music and it’s the most unnecessary ‘gimmick’ department stores can offer. And I do not like this kind of ‘deep house’ that is nothing but a shallow beat and some synth harmonies on top. But I appreciate, not to say love the music DJs like Lexx, the Studio Barnhus collective, C-Beams, Marcel Vogel or Baaz selected and put together. You’ll find’em above. Enjoy!