Sie ist da. Und ich bekomme sie nicht mehr aus dem Kopf. Werde sie nicht mehr los. Die Assoziation zu Klingsor / Klingsohr, der wundersamen Zauberergestalt in der deutschsprachigen Literatur.
Sie taucht dort vornehmlich in der Zeit der Romantik auf. Bei Novalis’ “Heinrich von Ofterdingen” lesen wir von ihr. Sie hat einen Auftritt in Richard Wagners Oper “Parsifal” (in Rezeption zu Wolfram von Eschenbachs gleichnamigem Versroman aus dem 13. Jahrhundert) und taucht auch in “Klingsors letzter Sommer”, einer Erzählung von Hermann Hesse auf. Sie, die literarische Figur, bekleidet unterschiedliche Rollen. Sie nimmt in den Werken jeweils verschiedenartige Funktionen ein. Mal ist sie Dichter (bei Novalis), mal Zauberer (bei Wagner), dann wieder Maler (bei Hesse). Eines ist ihr jedoch, Werk-, Genre- und Autor-überspannend gemein: die Lehrer- und Erzieherrolle, die Verkörperung einer Kunstform, der Kunst im Allgemeinen. Sie verfügt über besondere Fähigkeiten, die sich dem Menschen nur geistig-intuitiv erschliessen. Diese Figuren, Lehrmeister, Zauberer, Künstler, treten als Hüter und Bewahrer ihrer Fähigkeit(en) in Erscheinung. Sie warten wie fernbestimmt auf den einen Tag, auf den einen Schüler und Zögling, der sich als würdig erweist, in diesen Künsten gelehrt, in den Traditionen unterwiesen zu werden.
Bei Marco Bernardi, dem schottischen Produzenten, erscheint nun nicht Klingsor, sondern Klinsfrar. Er wird uns näher beschrieben als “Melode”, als Hymnendichter also. Hat man das Stück Marco Bernardis, das noch im unmittelbar abgelaufenen Jahr 2010 auf Crème Organization veröffentlicht wurde, einmal verinnerlicht, wird man unschwer zu der Feststellung kommen, dass diese Namensgebung in Anbetracht des breit angelegten, raumgreifenden Tracks nicht aus der Luft gegriffen erscheint. Mit schwer stampfenden Kickdrums als Fundament, den metallisch klingenden Synthesizer-Flächen und Melodie-Einsprengseln ist ihm ein Track mit hymnischer Dimensionierung gelungen, der die Tanzfläche vereinnahmt, die Crowd umarmt und irgendwo zwischen bedrohlicher Aggressivität, dem Erzeugen eines Drucks nach vorne sowie emotionaler Tiefe steht.
Auf der B-Seite begegnen wir DJ Sprinkles als Remixer. Kaum konnte eine bessere Wahl getroffen werden. Denn DJ Sprinkles ist ein Künstler, dessen personale Individualität von einem dialektischen Charakter geprägt (und bestimmt) ist, wie sie – zumindest im House-Techno-Electronica-Universum – nur wenige aufweisen. Um tiefsten House, in dessen Bassschwingungen man eine geistige Bewegung, gar die Reinheit einer Lotus-Seele zu erkennen vermag, kümmert er sich unter seinem DJ Sprinkles-Alias. Als Terre Thaemlitz steht er für allerlei Ambient-Dub-Elektronika und glänzt zudem durch eine intensive intellektuelle Auseinandersetzung mit der Trans Gender- und Queer-Kultur. Sein rauhes, mit einem Basement-Disco-Sleaze überzogenes Drum Programming, den säurehaltigen, brennend heissen Synthesizer-Lines und seinen darin einlegten Vocal-Samples sorgt er für eines der grossartigsten Rave-Momente, das (Acid) House, Elektro-Disco und Manchester-Romantik vereint. Top!
English (short) version: two tracks of a rugged aesthetic with the addition of spaced-out metallic synthesizer sounds (original version) and a gritty, dirty, ravey twist (DJ Sprinkles remix). Top!
Mehr im Web:
Marco Bernardi @ MySpace
Marco Bernardi @ Facebook
Marco Bernardi @ Soundcloud
DJ Sprinkles @ Facebook (non official!)
Terre Thaemlitz @ Facebook (non official!)
Terre Thaemlitz @ Comatonse
Comatonse
Crème Organization @ MySpace
Crème Organization @ Soundcloud
Global Darkness
Klasse Release, Wenn im Sprinkles Mix dann schließlich die House Nation Vocals einsetzen ist alles vorbei. Hab ich auch verbaut in meinem neuen Podcast unter http://www.deeptechno.com.