Mädchenhaft-zerbrechlich und dennoch kraftvoll: Die Band Kafka Tamura bringt sphärischen Elektronik-Pop ins Freiburger Jazzhaus.
“Sängerin sucht Musiker zwecks Bandgründung.” Wer kennt sie nicht, Zettel mit solchen Suchanliegen und Abreißadressen. Seit jeher kleben sie an öffentlichen Plätzen, an Bushaltestellen, Laternenmasten und schwarzen Brettern. Sie haben bald ausgedient. Kontaktforum Nummer Eins für Musiker ist mittlerweile die Internetplattform Soundcloud. Laien und Profis veröffentlichen dort im Schnitt zwölf Stunden Song- und andere Audiodateien – in der Minute.
Soundcloud hat auch die beiden Leipziger Patrick Bongers und Gabriel Häuser mit Emma Dawkins aus der englischen Stadt Southampton zusammengebracht. Gemeinsam bilden sie das Elektronik-Pop-Trio Kafka Tamura, das am Freitag im Freiburger Jazzhaus auftritt. Ihre Künstlerbeziehung begann im Frühjahr 2012 mit einer E-Mail, geschrieben von Bongers an Dawkins. Damals waren er und Häuser auf der Suche nach einer englischen Sängerin für ihr neues Bandprojekt. Tagelang durchforsteten die Mittzwanziger Soundcloud. “Eigentlich kann man gleich die richtigen Lottozahlen suchen”, beschreibt Bongers rückblickend ihren Zeitaufwand.
Bei den Songskizzen der damals 15 Jahre alten Emma Dawkins blieben die beiden hängen. Dawkins ging noch zur Schule. Musik machte sie nur in ihrer Freizeit. Sie schrieb Songs, nahm sie auf, veröffentlichte sie auf Soundcloud und teilte sie in verschiedenen Interessengruppen des Netzwerks. Für sie war diese Musikplattform einfach ein virtueller Proberaum. Dort konnte sie schnell erfahren, wie ihre Lieder auf andere Menschen wirkten. “Emmas Stimme hatte genau das, wonach wir suchten. Sie ist kräftig, drängt sich aber nicht in den Vordergrund. Mal klingt sie kristallklar und transparent, dann wieder hat sie ein leicht rauchiges Timbre”, sagt Bongers.
Wer Dawkins auf Kafka Tamuras Debütsingle “Somewhere Else” singen hört, fühlt sich gleichermaßen an Romy Madley Croft, Sängerin der Indiepop-Band The XX, an die Chromatics-Frontfrau Ruth Radelet und das Riot Girl Kate Nash erinnert. Ihre Stimme klingt mädchenhaft-zerbrechlich, trotzdem selbstbewusst und kühl. Diese stimmliche Variabilität durchzieht auch die Lieder auf “Nothing to Everyone”, dem Debütalbum des Trios. Das erscheint im Mai auf Lichtdicht Records, auch Heimat des Kasseler Pop-Duos Milky Chance (“Stolen Dance”). Mit diesen gingen Bongers, Häuser und Dawkins im Februar auf Europa-Tour. Das Konzert im Jazzhaus ist Teil ihrer ersten Headliner-Tour, die sie unter anderem nach München, Frankfurt und Berlin geführt hat. “Für mich ist das alles noch ganz neu. Ich war noch nie so lange am Stück weg von Zuhause. Ich denke aber, dass man sich ab einem gewissen Alter vom Elternhaus ablösen und versuchen sollte, auf eigenen Beinen zu stehen”, sagt die 18-jährige Dawkins.
Von Zuhause ausziehen, selbständig und erwachsen werden: Das beschäftigt auch den Protagonisten in Haruki Murakamis Erziehungsroman “Kafka am Strand”. Er heißt Kafka Tamura und ist Namenspate des Elektronik-Pop-Trios. “Patrick hat mir den Roman zum Lesen gegeben. Ich habe mich darin sofort wiedergefunden. Als junger Mensch hat man manchmal ganz schön wirre Träume und muss ausbrechen. Uns war sofort klar, dass wir uns Kafka Tamura nennen werden”, sagt Dawkins.
Dicht und berührend, wie ein Roman von Murakami, wirken auch die Klanglandschaften, die Bongers und Häuser um Dawkins’ Gesang schichten. Langsam fließen reduzierte Beats über düster rauschende Bässe. Synthesizer perlen leise im Hintergrund. Vorsichtig angeschlagene Klavierakkorde treffen auf schüchtern gezupfte Gitarrenklänge. Ob auf “No Hope” oder in “Lullabies”: Kafka Tamuras Melodien wirken zugleich federleicht und nachdenklich, die Beats zugleich kraftvoll und tief entspannend. Genau so müssen unvergessliche Popballaden im Jahr 2015 klingen.
Freiburg | Kafka Tamura | Jazzhaus | Fr, 27. März | 20 Uhr
Weiterführende Links
Facebook: Kafka Tamura
Webseite: Kafka Tamura
[Dieser Beitrag erscheint auch in der gedruckten Ausgabe der Badischen Zeitung]