Ganter Kulturtage – Tage ohne Kultur?

Quelle: fuckyeahabandonedplaces.tumblr.com

2013 wird das Jahr der Kulturfestivals. Wohin man blickt, schiessen drei-, vier-, sieben- oder gar vierzehntägige Veranstaltungen aus dem Boden, die sich der darstellenden und bildenden Kunst, der Literatur und Musik widmen. Sie zeigen einen umfangreichen Querschnitt ortsansässiger, nationaler und internationaler Künstler, die auf dem Gebiet der Malerei, Grafik, die in Theater, Tanz, Film und Musik tätig sind. Sie rücken heimische Kunstschaffende in ein ganz besonders positives Licht und schmücken sich mit wohlklingenden Namen, die der Stadt für diese Zeit einen mondänen Charakter verleihen.

Kulturfestivals laufen meist unter einem Motto, das Anlass zu kulturellen und künstlerischen Auseinandersetzungen bietet. Die ausstellenden und darstellenden Künstler werden oft im Vorfeld angefragt, sich dazu Gedanken zu machen. Sie malen Bilder, schreiben Texte, konzipieren Installationen, fertigen Skulpturen an, komponieren Musikstücke, dichten Lieder. Dazu beleuchten Musik-, Literatur- und Theaterwissenschaftler, Physiker, Theologen, Soziologen, Architekten, Journalisten, Autodidakten, Quereinsteiger das Motto in Vorträgen, Diskussionsrunden und Workshops. Sie stellen Fragen, geben Antworten, fordern zum Hinschauen, Staunen, Nachdenken, Mitmachen auf. So weit der allgemeine Teil.

Auch Freiburg bekommt schon bald seine Kulturtage. Sie finden vom 18. bis 21. April 2013 auf dem Areal der Brauerei Ganter statt. In der neuen Produktionshalle und auf dem Gelände dieses Freiburger Bierherstellers gibt es Filme zu sehen, Streetart zu gucken und Musik und Literatur zu hören. Doch das Programm bietet letzten Endes nicht mehr als eine Zusammenfassung dessen, was in den vergangenen zehn Jahren im Breisgau passiert ist und was mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in den kommenden zehn Jahren im Breisgau passieren wird. Und das ist leider nicht viel.

Das Streetart-Duo Herakut wird irgendein Werk enthüllen, das sie zuvor am Veranstaltungsort angefertigt haben. Haben Jasmin Siddiqui (Hera) und Falk Lehmann (Akut) in den vergangenen fünf, sechs Jahren immer wieder einmal in Freiburg getan, und wenn es nur ein Schriftzug auf einem Blatt Papier war. Dass ich die Werke des Duos inzwischen nicht mehr sehen kann, liegt weniger an den Künstlern selbst, als an ihrem Freiburger Mäzen. Dieser neigt in Gesprächen gerne zu Übertreibungen, die meist darin enden, dass er “sogar einen Banksy in den Breisgau holen”, könne. Das bleibt er der Stadt seit etwa sieben, acht Jahren schuldig. Oder Banksy war längst hier, nur haben wir es bis heute nicht gemerkt.

Was sonst noch im Programm steht: Der Stuttgarter Grossveranstalter Catch A Fire präsentiert mit Kool Savas, Curse, Olli Banjo & Co. die Rentnerbank des deutschen Sprechgesangs. Denis Scheck, Moderator der ARD-Sendung “Druckfrisch”, stellt einen Abend lang Bücher vor. Vielleicht malt er sein Gesicht ja in den Farben des SC Freiburg an. Man weiss ja nie bei ihm. Bücher vorstellen – soweit so gut. Aber was ist daran einzigartig und besonders? Büchervorstellungen finden allwöchentlich statt, in Buchhandlungen, Bibliotheken und an Schulen. Klassik kommt von – unter anderem – Katharina Persicke (Sopran) und Igor Kamenz (Klavier). Beides hervorragende Musiker, beide treten aber regelmässig in Freiburg und Umgebung auf. Liederabende im Historischen Kaufhaus, in Tiengen, in Bad Krozingen, Persicke intoniert Wagners Wesendonck-Lieder – so auch im Rahmen der Ganter Kulturtage. Alles schon einmal gehört. Wer am 18. April der Darbietung nicht beiwohnen kann, sei unbesorgt: Vier, fünf Termine, an denen Katharina Persicke in Freiburg auftreten wird, stehen jetzt schon fest. Igor Kamenz, bekannt für präzises Spiel und beeindruckende Interpretation von Liszt, Rachmaninow, Tschaikowsky, macht ebenfalls nichts anderes, was er an Klavierabenden in Tiengen, in Denzlingen, im Historischen Kaufhaus tun würde. Warum so zurückhaltend? Warum nicht etwas wagen? Hauschka und sein präpariertes Klavier? Francesco Tristano? Benyamin Nuss?

Zurückhaltung auch und gerade in Sachen “Electronic Culture”. Lexy & K-Paul werden gemeinsam mit Oliver Koletzki für “elektronisches Entertainment” sorgen. Das verschlägt selbst mir für einen kurzen Augenblick die Sprache und wirft die Frage auf, ob die Veranstalter entweder besonders dumm oder besonders dreist sind. Vielleicht beides. Dumm, weil selbst ein einfältiger, in Sachen elektronischer Clubmusik kaum bewanderte Mensch irgendwann einmal begreift, wie langweilig es ist, ein und dieselben Headliner auf jeder grösseren Tanzveranstaltung im Südwesten Deutschlands auftreten zu lassen. Dreist, weil es an Frechheit kaum zu überbieten ist, ein Programm zu präsentieren, das an den Entwicklungen der elektronischen Musik der vergangenen zehn Jahre völlig vorbeigeplant ist. Wie kann so etwas passieren? Ein Pop-Moment mit Laurel Halo, Darkstar oder Hype Williams? Düstere Soundscapes von Actress, Andy Stott und dergleichen, die einen an das vom Existenzialismus geprägte Paris der Fünfziger und Sechziger Jahre denken lassen? Simian Mobile Disco, Robert Hood, Marcel Dettmann oder Ben Klock für das ekstatische Feuer der Nacht? Die “Electronic Culture” ist Lichtjahre davon entfernt.

Die Ganter Kulturtage sind das Richtige, wenn man nicht ausserordentlich anspruchsvoll ist und eine nette Abendunterhaltung sucht. Das Programm ist spannungsfrei und frei von aller Herausforderung, querdenken, über den Tellerrand schauen und Neues entdecken zu müssen. Eine fachliche und kulturelle Horizonterweiterung wird daher ausbleiben. Interdisziplinär und interkulturell geht anders.

Nach oben scrollen