Don Williams: „Auflegen ist für mich Realitätsflucht”

Für Don Williams sind House und Techno ein Ort, an dem der Alltag draußen bleiben muss. Ein Gespräch über Detroit als Sehnsuchtsort – und den Druck der Deadlines.

Am 31. März 2017 spielt der Produzent, Discjockey und Betreiber mehrerer Plattenlabel, darunter Mojuba Records, a.r.t.less und wandering, ein Set im Club Zukunft in Zürich.

„Ich brauche den Druck der Deadline“. Das haben Musiker wie Duke Ellington und Chilly Gonzales gesagt. Wie sieht es bei dir als Produzent aus?

Don Williams: Die Aussage kann ich genauso unterschreiben. Ohne Deadline fällt es mir schwer, Studiozeit zu planen. Ich bin eigentlich permanent mit Dingen beschäftigt, die mit dem Tagesgeschäft meiner Labels zu tun haben, sich aber nicht rein um das “Musik machen” drehen. Es gibt immer genug zu tun!

Wie sieht eine typische Studio-Session von Don Williams aus?

Don Williams: Die typische Studio-Session gibt es nicht. Ich habe keine normale Routine im Studio, auch keine regelmäßigen Studiozeiten oder so. Wenn die Inspiration kommt, verziehe ich mich ins Studio und lege einfach los. Oft starte ich mit rhythmischen Elementen und widme mich dann den Harmonien und Melodien zu. Diese Reihenfolge kann sich auch ändern. Das hängt auch stark davon ab, wie oder durch welche Faktoren sich die Inspiration manifestiert hat.

Wann fühlt sich das Produzieren von Musik wie Arbeit an, wann ist es Vergnügen?

Don Williams: Es sich fühlt sich sehr selten bis gar nicht nach Arbeit an, da ich es auch nicht als Beruf betrachte. Musik, insbesondere Techno und House zu produzieren oder auch aufzulegen, war und ist für mich Realitätsflucht. Ein Ort, wo der Alltag draußen bleiben muss. Ich finde das essentiell, um sich die Freude daran zu bewahren. Dinge aus dem Alltag können natürlich gern als Inspirationsquelle dienen.

Der seltene Fall, dass Produzieren wie Arbeit wirkt, ist bei mir das Ausarbeiten und Arrangieren eines Tracks. Hier kann es schon mal etwas anstrengend werden. In letzter Zeit tendiere ich aber sehr stark dazu Live-Takes zu machen, um den teilweise langwierigen Arrangement-Prozess zu unterbinden und mich nur vom Gefühl des Tracks leiten zu lassen.

Wie entscheidest du, welche Idee es wert ist, weiter entwickelt zu werden?

Don Williams: Bauchgefühl!

Von welchem Stück, das du produziert hast, hast du selbst als Produzent am meisten gelernt?

Don Williams: Im Grunde mit jedem Track. Im Vergleich zu anderen Künstlern verbringe ich verhältnismäßig wenig Zeit im Studio und lerne eigentlich in jeder Session etwas. Sei es zum Beispiel die Bedienung eines bestimmten Studioequipments, deren Eigenheiten ich mir durch „gewollte” Limitierung im Produktionsprozess aneignen muss. Das fordert mich teilweise auch kreativ sehr heraus und bringt dadurch neue Ergebnisse zu Tage. Diese selbst gewählte Beschränkung in den Produktionsmitteln ist gerade in Zeiten des Computer mit seinen zahllosen Möglichkeiten besonders interessant.

2000 hast du mit der EP „Love Promise“ deine erste Platte veröffentlicht. Inwieweit hat sich dein Schaffensprozess seither verändert?

Don Williams: Das war meine erste Solo EP, nachdem ich schon ein paar Tracks zusammen mit Freunden zu EPs auf Tokomak beigesteuert hatte. Die Produktionsprozesse sind durch meine persönliche Herangehensweise im ständigen Wandel. Die Tracks dieser Platte entstanden komplett am Rechner, mit dem tollen kostenlosen PC-Programm Buzz. Damals, als Teeanger, hatte ich noch nicht mal ein Midi-Keyboard.

Allein von dieser Perspektive her hat sich so einiges geändert. Der Weg beim Produzieren von Software zur Hardware sorgt zwangsläufig zu einem Wechsel beziehungsweise zu einer Veränderung im Schaffensprozess. Das begrüße ich sehr.

Wie hältst du deine künstlerische Linie als Produzent bei?

Don Williams: Schwer zu sagen, ich habe keinen Masterplan und lasse mich vom Bauchgefühl und der Musik leiten, die mich inspiriert oder die mir Nahe geht. Es ist die berühmte Summe aller Teile, die dann am Ende hoffentlich etwas Eigenes kreiert. Wobei ich auch nicht sagen kann wo die Reise genau hingeht. Dazu mag ich einfach zu viel unterschiedliche Musik, um eine eindeutige Linie zu verfolgen.

„Love Promise“ ist auf deinem Label Tokomak erschienen, von dir und Sirko Müller gegründet. Was waren die Gründe, es 2015 zu reaktivieren?

Don Williams: Tokomak wurde von insgesamt fünf Freunden 1998 gegründet, wenn man das so nennen kann. Wir sind damals fast alle noch zur Schule gegangen und wollten einfach unsere Tracks rausbringen, unabhängig und auf eigene Faust. Ein Freund mit Plattenladen hatte uns damals geholfen, das organisatorisch abzuwickeln. Ein paar Jahre später haben Sirko und ich das Ganze mal offiziell angemeldet als Firma.

2015 war es einfach Zeit für den Relaunch. Er sollte bereits Jahre früher stattfinden, aber dazwischen passierte wohl das, was man “Leben” nennt. Studium, Familie, Arbeit etc. der ganz normale Wahnsinn halt.

Warum habt ihr das Label 2002 eigentlich still gelegt?

Don Williams: 2002 gab es einen gravierenden Einschnitt. Unser Vertrieb Integrale Muzique in England ging Pleite und unser Label-Backstock und einige offene Posten verabschiedeten sich in der Konkursmasse. Ich kann getrost sagen, dass wir erst einmal bedient waren und keinen Bock und auch keine finanziellen Mittel hatten, um weiter zu machen. Wir waren zu diesem Zeitpunkt alle in der Ausbildung, haben kaum etwas verdient und waren mittlerweile auch bei unseren Eltern ausgezogen und standen auf eigenen Füßen. Wir haben jeden Pfennig zweimal umgedreht!

Worin unterscheidet sich Tokomak von Mojuba, a.r.t.less und wandering, deinen anderen Plattenlabel?

Don Williams: Tokomak ist Techno, sehr funktional und knüpft an eine DJ-Kultur an, die von Detroit, England und Japan mit DJs wie Jeff Mills, Claude Young, Ben Sims, Surgeon und Fumiya Tanaka in den 90ern nach Deutschland kam. Mojuba & Co. sind soundmäßig für mich eine andere Baustelle. Da geht es emotionaler zu, denke ich, zumal es ja auch meine ganz persönlichen Entscheidungen sind, die den Labeloutput prägen. Bei Tokomak wird schon diskutiert und am Ende bestimmen wir gemeinsam, was veröffentlicht wird.

Nach welchen Kriterien entscheidest du, auf welchem Label eine Platte erscheint?

Don Williams: In erster Linie bestimmt es der musikalische Stil des Releases selbst. Danach kommen andere Kriterien ins Spiel, aber auch hier ist das Bauchgefühl ein sehr wichtiger Indikator.

Und wie entscheidest du, welcher Künstler bei dir veröffentlichen darf?

Don Williams: Das ist etwas sehr Spezielles und variiert auch stark nach Label. Neben der Musik muss der menschliche Vibe stimmen. Mojuba startete sozusagen als „Familienbetrieb“ als Plattform für Sven Weisemann und Nick Solé. Mit beiden bin ich seit Mitte der 90er-Jahre befreundet. Diese Tatsache legte auch einen Grundstein, was die Auswahl neuer Künstler betrifft.

Was hast du in fast 20 Jahren als Labelbetreiber gelernt, was du am Anfang nicht erwartet hättest?

Don Williams: Dass der Markt sehr unberechenbar ist. Vor allem Releases, die einem persönlich näher gehen als andere, kommen manchmal nicht so an wie vorher vermutet beziehungsweise die Offenheit der Kunden gegenüber der Musik als solche wird teilweise falsch eingeschätzt.

Zwischen 2006 und 2009 erschien deine Trilogie „Detroit (Black, Red, Blue)“. Was bedeutet dieser Ort Detroit für dich?

Don Williams: In erster Linie verkörpert er den schon vorher angesprochenen Eskapismus, insbesondere in Form einer musikalisch formulierten Idee von Zukunft. Selbst Tracks, die vor mehr als zwanzig Jahren von Detroiter Künstlern mit genau dieser Inspiration geschrieben wurden, klingen auch heute noch nach Zukunft, Utopie, Science Fiction und Realitätsflucht.

Darüber hinaus gibt es auch komischerweise einige Parallelen zwischen Detroit und meinem Heimatort Treuenbrietzen in Bezug auf den städtischen Verfall, Niedergang der Automobilindustrie und die damit zusammenhängende Arbeitslosigkeit nach der Wende. Mich hat es definitiv nicht gewundert das gerade Detroit Techno in den Post-Wende-Jahren vor allem in der ehemaligen DDR einen so großen Anklang gefunden hat.

Was war deine ersten Berührung mit Techno im Allgemeinen, Detroit Techno im Besonderen?

Don Williams: Als Teenager aus der brandenburgischen Provinz kam ich etwa 1993 das erste mal wie viele andere über die ganz normalen Medien wie Radio und Fernsehen mit Techno in Berührung. Internet kam ja erst viel später in die Haushalte. Techno erlebte damals in Deutschland seine erste kommerzielle Welle und Leute wie Marusha, Westbam & Co. stürmten die Charts. Bereits vorher gab es aber auch schon Tracks von U96, Snap, The KLF, die zu meinen Favoriten zählten und die den Weg des kommerziellen Erfolges für Techno ebneten.

Die Instrumentierung einiger früher Eurodance-Tracks waren im Grunde Techno und House. Wer also wie ich die Drums und Synth dieser Tracks mochte und mehr wollte, landete zwangsläufig bei Techno und den Raves in den frühen 90er-Jahren. So richtig bewusst mit Detroit Techno kam ich erstmals Ende 1995, Anfang 1996 durch einen guten Freund aus meinem Heimatort in Berührung. Er zeigte mir Platten von Jeff Mills, Robert Hood, Drexciya und Underground Resistance. Allerdings habe ich vorher schon Tracks von den populäreren Vertretern wie Inner City gehört, aber das nicht wirklich Detroit Techno zugeordnet.

Würdest du deinen Sound eigentlich selbst als „Detroit Techno“ beschreiben?

Don Williams: Wenn ich die geographische Komponente außen vor lasse definitiv. Bei dem Sound geht es für mich eher um ein Gefühl, das durch die Musik vermittelt wird, als die reine Herkunft eines Künstlers.

Was für Musik begleitet dich neben Techno – und beeinflusst dich vielleicht auch?

Don Williams: Ich mag viel unterschiedliche Musik und würde behaupten, alles hat einen gewissen Einfluß auf das, was ich selbst schaffe, wenn auch vielleicht nur unterbewusst. Neben meinen großen Lieben Techno & House mag ich genauso Jazz, Funk, Soul, Disco, Reggae, Klassik, insbesondere Programmmusik und Soundtracks. Jungle und Drum’n’Bass sowie Trip Hop spielen auch eine große Rolle. Es muss halt grooven.

Im Grunde bin ich wie eh und je auf der Suche nach Musik, die als Inspiration für Techno und House dient, meist auch als Sample-Quelle. Wenn diese Reise einmal angetreten ist, merke ich schnell, wie unendlich der Horizont eigentlich ist und ich immer wieder neue Sachen entdecken kann. Ich finde es auch sehr wichtig Musik in Relationen setzen zu können. Gerade heute, wo bestimmte Hypes als das neue Ding abgefeiert werden, scheinen einige selten ihre Hausaufgaben zu machen und realisieren nicht, dass der besagte Hype ohne gewisse Künstler und Tracks aus einem anderem Jahrzehnt überhaupt nicht existieren würden. In diesem Sinne „Dig deeper!”


Webseite: Mojuba Records
Bandcamp: Mojuba Records
Soundcloud: Mojuba Records

[Dieser Beitrag erschien auch im Online-Fanzine des Zürcher Clubs Zukunft]

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