Chaim – Alive (Remixes)

Weg von mythisch überhöhten Orten, den zwei, drei beinahe schon heiligen Städten, ihren Produzentengenerationen und der unantastbaren Soundarchitektur. Es schreibt sich auf viel leichter, druckbefreiter, da es sich nicht um das Werk irgendwelcher Legenden [spätestens mit der dritten Platte sollte dieser Ausnahmestatus erworben sein, ansonsten wird das nichts mehr], sondern von Menschen aus Fleisch und Blut handelt. Albern. Fleischliche, menschliche, irdische Wesen sind auch die Detroiter Produzenten, auch wenn wir der Verehrung unserer Helden oftmals mehr Platz einräumen, als ihnen eigentlich gebührt. Letztendlich kann die Musik auch in der Einsamkeit eines kleinen Ardennendorfes produziert werden. Hauptsache “my feet keep dancings”, um es einmal mit Chic zu halten.

Von etwas weiter weg kommt Chaim Avital, der unter Verwendung seines Vornamens – Chaim – seit Jahren schon eine House-/Techno-Platte nach der anderen veröffentlicht. Auf die Frage “Where Is Jack” hat er zwar noch immer keine allgemeingültige Antwort, keine Weltformel gefunden, mit der sich das Phänomen des “Jack” komplett beschreiben liesse. Aber seither ist ihm ein Platz in der Stammelf von BPitch Control sicher.

Chaim Avital zählt mit Guy Gerber, Shlomi Aber, Itamar Sagi, Gel Abril, Guy J, und wie sie alle heissen, zur “Golden Generation” israelischer House-/Techno-Produzenten. Ihr Sound lässt sich weniger leicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Wiederkehrende ähnliche Eigenschaften, Muster und Themen in der Musik dieser Produzenten lassen sich zwar herausarbeiten. Es sind epische, sonnendurchflutete Klangbilder, die immer auch ein wenig Open Air-geeignet sind. Manche Riffs und Harmoniebögen strotzen nur so vor Auftriebspotential, die Hände gehen beinahe ohne eigenes Zutun in die Luft. Dabei aber von einem “Sound Of Israel” zu sprechen, halte ich persönlich für überzogen.

Anyway. Chaim Avital hat zum Jahresanfang sein Debütalbum “Alive” auf BPitch Control veröffentlicht. Es zeichnet sich aus durch eine verblüffende klanggestalterische Form zwischen sinnlichem, melodischem Elektronika-Pop und Tanzflächeneuphorie. Er baut langsam eine Dramaturgie auf, ohne sich in der Suche nach dem grossen Überraschungsmoment zu verzetteln. Dazu laufen die einzelnen Handlungsstränge zu deutlich auf den (nach-)mitternächtlichen Club zu. Hört selbst:

Chaim – Alive (BPC233CD) by BPitch Control

Nun aber endlich zur vorliegenden EP. Auf ihr befindet sich neben dem Original von “Alive” eine Vielzahl Remixe. Chaim beziehungsweise BPitch Control schart darauf eine Anzahl Produzenten um sich, die ich in dieser so nicht erwartet hätte. So trifft man einmal auf den Finnen Joakim Ijäs alias Kiki. Er gehört zum Inner Circle von BPitch Control, bildet mit seiner Vielzahl Releases einen wesentlichen Bestandteil des Rückgrats des Labels, hat auch die erste hauseigene Mix-Compilation “Boogy Bytes Vol. 1” herausgebracht (die ich mir übrigens in einem Anflug von Mittnuller-Nostalgie erst die Tage wieder einmal angehört habe). Er befreit das Original von seiner süssen Pop-Melancholie und unterfüttert es mit einem machtvollen Elektro-Bass. Die Vocals entkleidet Kiki von ihrem wolkenverhangenen Synth-Beiwerk, lässt sie gewissermassen im Lichtkegel des Tracks erstrahlen.

Einen weiteren Beitrag für diese 12″ geliefert haben Philip Lauer und Christian Beisswenger, mit ihrem Projekt Arto Mwambe Hüter über klassische Moral und Wertvorstellungen im zeitgenössischen (Deep) House. Da ich ihre Platten auf Brontosaurus, ihre Remixe und ihre Live At Robert Johnson-Compilation liebe – diese starke Gefühlsbekundung ist aufrichtig und ehrlich gemeint -, bin ich vielleicht ein wenig voreingenommen und befangen und deswegen nicht wirklich unparteilich, was ihren Remix betrifft. Aber ihr Track vermittelt einfach eine Stimmung, wie sie an einem kalten, klaren Frühlingsmorgen herrscht, an dem die Sonne über dem Horizont erscheint und den morgendlichen Rauhreif schnell verschwinden lässt. Der pumpend-federnde Arto Mwambe-Bass, die warmen Synth-Chords, orgelähnliche Klänge, und irgendwann steht die Sonne hoch im Mittagszenit.

Bleibt noch Deniz Kurtel. Die türkischstämmige, in New York residierende Produzentin hat sich ja in kürzester Zeit einen hohen Bekanntheits- und Beliebtheitsgrad erarbeitet. Eine EP, “Whisper“, auf Wolf+Lamb, dann war sie da und stand unter aller Beobachtung. “Shootingstar” könnte man schreiben. Nur das Wort “Legende” habe ich bisher noch nicht im Zusammenhang mit ihr gelesen. Kann aber sicher noch kommen. Ihre Überarbeitung hat etwas sehr Behutsames an sich, sie lässt Ruhe einkehren, wie das abendliche Eindunkeln, das eine gravitätische Stille über die Welt legt. Ein Glas schweren, körperreichen Rotweins mit intensiven Aromen dazu, und die Gedanken ziehen lassen.

English (short) version: Israeli producer Chaim recently debuted with a full length album on BPitch Control. It is not his first record ever but his first long player. It is accompanied by a single on which the title track – an overwhelming emotive song in between house music and electronic pop – gets a special treatment by three artists. The first is Kiki, a BPitch Control stalwart. He brings a strong electro form into “Alive”. Second is Arto Mwambe, the Frankfurt based keepers of the law of House. Their remix is rising sun, energy throughout and creates a feeling of well-being and euphoria. Third is Deniz Kurtel, rising star, shooting star, with a subtle treatment that works early at night or late in the morning.

Mehr im Web:

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Deniz Kurtel

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