Scheuklappen sind grauenvoll. Sie verengen das Blickfeld. Sie fixieren den Blick auf nur einen Ausschnitt dessen, was sehbar ist. Die verengte Wahrnehmung, die Konzentration auf nur eine Richtung, hebt zwar noch viel deutlicher hervor, was unmittelbar vor Augen liegt, verhindert aber die Sicht auf vielerlei Dinge, die ein wenig abseits davon passieren. Was für Politik oder gesellschaftliches Zusammenleben gilt, gilt erst recht für die Kunst. Und die Clubmusik.
Manch ein guter Track geht deswegen an mir vorbei, taucht auf meinem Radarschirm erst viel später auf, nicht, weil es sich um ein anonymes White Label-Release handelt, nicht weil das Stück sich auf der B-Seite einer 12″ verborgen hält, sondern weil ich Scheuklappen trage und manche Veröffentlichungen von vornherein erst gar nicht anhöre. Das ist bedauernswert. Man verzichtet – selbstverschuldet – auf so viel Gutes. Scheuklappen sind grauenvoll.
So wäre mir beinahe der Roman Flügel Remix von “Don’t Look Down Now” an mir vorübergezogen. Denn den Urheber des Originals, Anthony Collins, habe ich gedanklich nicht mit einer Bookmark versehen. Discogs weist ihn als einen aktiven Produzenten aus, der nahezu am Fliessband Tracks auf Label wie Highgrade, Darkroom Dubs, Freak’n’Chic und einem guten Dutzend weiterer veröffentlicht. Allerdings auch auf dem Belgischen Imprint Curle. Und dort habe ich ihn ein um’s andere Mal verpasst, obschon mir die Sachen dort sehr gut gefallen. Allen voran die Kooperation zwischen Donato Dozzy und Peter Van Hoesen, deren kreativer Geist und Verständnis von elektronischer Musik in den unglaublich genialen Track “Talis” mündete.
Anthony Collins beweist auf “Don’t Look Down Now” einen melodisch-fliessenden Stil. Die Klangsprache lehnt sich mit ihren atmosphärischen Synthie-Sequenzen und den Vibraphon-Perlen an eine nordische Melancholie an. Zu Beginn noch tageslichtfern, kommt später doch noch ein wenig tänzerischen Fröhlichkeit auf. Das Original, so befürchte ich, braucht etwas mehr Zeit, um mit Titel, Produzent, Label und Erscheinungsjahr in meinem Hirnkasten abgelegt werden zu können. Roman Flügels Remix hingegen hat dort sofort Eingang gefunden. Zunächst einmal fällt auf, dass er sich im Aufbau des Tracks sehr viel Zeit lässt. Das ganze Stück zieht sich über etwas mehr als neun Minuten hin. Zudem hat Roman Flügel das Gewebe etwas aufgerauht. Allerdings nicht flauschig weich, sondern kratzig, stonewashed. Sein Remix verzeichnet ausserdem drei kurze Breaks, in denen der Frankfurter seiner Überarbeitung Raum zum Atmen lässt. Nur im Zusammenspiel mit diesem Raum wirken der starke Körper des Tracks – Bässe und Beats – sowie seine Seele – die instrumentalen Parts – als Einheit. Gross!
[CURLE036] Anthony Collins – Don’t Look Down Now (incl Roman Flügel rmx) by CurleRec
English (short) version: “Don’t Look Down Now” by Anthony Collins is a record you mustn’t miss, especially because of it’s rough, rugged and raw remix by Roman Flügel.
Mehr im Web:
Anthony Collins @ MySpace
Roman Flügel @ Facebook
Roman Flügel @ Soundcloud
Curle
Curle @ Facebook
Curle @ Soundcloud