Wenn Dennis Wiesch als Agent Schwiech an den Turntables steht, ist alles gut. Auf diese konditionale Satzformel lässt sich reduzieren, dass der Freiburger DJ, Veranstalter und leidenschaftlich brennende Musikliebhaber kaum seinesgleichen findet. Seine Sets lösen die Alltagsgebundenheit auf, rücken diese in eine vergessene Ferne. Es sind zum einen seine Platten, zum anderen ihr Arrangment, sein Aufbau eines DJ-Sets, die Struktur, der Spannungsbogen. Clubnächte, die er musikalisch bestreitet, kommen dem verklärten Ideal des “journey”, der Reise, verdammt nahe. Inhaltlich Genre-offen, frei von jeglichen Scheuklappen und dennoch eine in sich geschlossene Einheit.
In Freiburg ist Agent Schwiech seit Beginn der Nuller-Jahre mit Herzblut und Leidenschaft aktiv unterwegs. Ohne ihn kein tageins in dieser Form, an der Seite von Shaddy war er bei Garage Traxx, der Soul Industries Radio Show sowie der Plattenbau am Start und kümmert sich im zweiten Jahr zusammen mit Kowski und Shaddy um die Somebody Scream.
Da er somit auch eine Schlüsselrolle bei meiner musikalischen Sozialisierung einnimmt, freut es mich umso mehr, dass Agent Schwiech die heutige Ausgabe der Podcast-Reihe mit einem Beitrag unterstützt. Denn mit Beginn dieses Wochenendes wird das Blog keep-it-deep drei Jahre alt, und auch die Guest Mix-Reihe nahm vor zwei Jahren ihren Anfang. An dieser Stelle auch ein grosses Dankeschön allen treuen Lesern, Hörern und Spontanbesuchern. Interview und Tracklist werden in der kommenden Woche nachgereicht. Bis dahin: enjoy the music!
Interview:
1. Hallo Dennis, Du bist seit rund zehn Jahren in Freiburg als DJ und Veranstalter tätig. Warum – wenn nicht aus Leidenschaft – tust Du Dir das nach so vielen Jahren noch an?
Ganz ehrlich frage ich mich das auch hin und wieder mal. Gerade mit der Musik, die ich auflege, hat man es in dieser Stadt traditionell schon immer schwer gehabt. Aber irgendwie steht meistens noch der Spaß im Vordergrund, der Glaube an das Gute und die Motivation, gegen das übliche Geplänkel anzugehen, ist noch nicht verloren gegangen. Ich habe mich lange Zeit gefragt, was in Sachen Deephouse und Co. in dieser Stadt noch los wäre, wenn ich nicht mehr weitermachen würde. Aber es gibt Hoffnung, denn momentan gibt es einigen sehr verheißungsvollen Nachwuchs in Sachen House Music im Freiburger Nachtleben, der es einem erleichtert, weiterhin bei der Stange zu bleiben. Und gelegentlich kommen auch völlig andere Veranstaltungsreihen, die mit dem ein oder anderen überraschenden Booking aufwarten.
2. Wie hat sich die (Club-)Szene in dieser Zeit aus der Veranstalterperspektive gewandelt?
Eigentlich nicht viel. Der ein oder andere Club hat mittlerweile geschlossen, dafür haben ein paar andere aufgemacht. Viele Veranstalter setzen immer auf die gleichen DJs und kaum jemand wagt noch Experimente. In meinem musikalischen Bereich ist es in den letzten Jahren schwieriger geworden, mal ein gutes Booking zu riskieren. Das hat man bei Tama Sumo oder Shit Robot gesehen. Früher war es zwar auch schon bei Guest-DJs wie Losoul oder Âme nicht einfach, aber mittlerweile muss man sich selbst bei Größen wie Sebo K Sorgen machen, ob da genug Leute kommen würden. Die Leute hier rennen lieber zehnmal zu Adam Beyer als einmal zu Dixon. Ich befürchte, dass sich dieser Zustand hier auch nicht mehr ändern wird. Zumindest waren die vergangenen zehn Jahre dafür viel zu ernüchternd.
3. Und wie beurteilst Du aus der Sicht des DJ die Veränderungen der vergangenen zehn Jahre?
Vor zehn Jahren hat seelenloser Techno, sinnloses Gebretter und pumping Ibiza-House schon dominiert und so ist es auch geblieben. Hinzugekommen ist vielleicht nur noch der in dieser Stadt nach wie vor unvermeidliche Nu Rave / Elektro / Mashup -Sound. Natürlich hat das alles seine Daseins-Berechtigung, ist aber nun mal gar nicht meine Tasse Tee. House hatte es damals wie heute schon schwer, vor allem wenn er deep, langsam und soulful und mit den entsprechenden Harmonien und Chords versehen ist. House füllt eine Nische, die mal ein wenig größer und dann wieder ein wenig kleiner ist. Allerdings habe ich momentan das Gefühl, dass diese Musik wieder mehr Leute zu begeistern scheint. Da gab es vor etwa fünf Jahren ein richtiges Loch.
4. tageins ist Dein ältestes Kind. Das musikalische Angebot ist aufgrund wechselnder DJs breit gefächert, von Big Beats / Breakbeats bis hin zu Techno. Notwendigkeit oder Konzept?
Das gehört definitiv zum Konzept. Als Veranstalter / Booker sollte man nie nur nach dem eigenen Geschmack gehen und ich denke, dass genau diese musikalische Vielfalt auch den Erfolg von tageins ausmacht. Die Leute erwartet jeden Montag ein anderer DJ und andere Musik. Ich versuche, dass die Veranstaltung viele verschiedene Musikstile repräsentiert, wobei der Schwerpunkt schon auf den 4/4 – Beats liegt. Zusätzlich vermeide ich den ganz harten Sound. Ich finde, da die Veranstaltung nun mal an einem Montag stattfindet, darf es auch ruhig mal etwas entspannter zugehen.
5. Diese Montagsveranstaltung im Waldsee ist weit über die Stadt Freiburg hinaus bekannt. Einmal bei tageins spielen zu können / dürfen -das ist für viele DJs ein Traum. Wonach entscheidest Du, wer an die Plattenteller darf (und wer nicht)?
Der DJ muss mich begeistern. Selbst wenn mir die Musik als solche vielleicht nicht so gut gefällt, muss ich aber das Gefühl haben, dass er es aus Leidenschaft macht, in der Lage ist, einen schönen Spannungsbogen aufzubauen und eine gewisse musikalische Vielfältigkeit besitzt. DJs, die schon um 22 Uhr ohne Sinn und Verstand mit 130 BPM losbrettern und um 3 Uhr genau so aufhören, auf die kann ich gerne verzichten. Musikalisch ist eigentlich alles erlaubt, was nicht zu sehr Richtung Mainstream im Bereich elektronischer Musik geht. Das kann House und Techno, aber auch BigBeat, Drum’n’Bass, Dubstep oder in gewissem Rahmen auch Elektro, oder wie man das auch immer nennen soll, sein.
Tageins sehe ich als eine typische Clubnacht, die man hier leider oft vergeblich sucht. Der DJ soll den Raum und die Zeit bekommen, sein Set zu entwickeln und aufzubauen und nicht, wie oft üblich, in 90 Minuten seine Hits runterspielen und durch den nächsten abgelöst werden. Wann hat man hier schon mal die Gelegenheit, wirklich fünf Stunden am Stück alleine auflegen zu können?
Stolz bin ich darauf, dass mit Âme, Quarion, Gerd Janson, Dplay, Boris Hotton, Sassy J, Finn Johanssen, Zukie173, Kejeblos, Trickski, Hunee, Soulparlor, Groover Klein, Mark Seven, Nick Weston, Johannes Albert, Knigge und Mitch (Melting Point Berlin) schon diverse DJs zu tageins gekommen sind, die eigentlich auch finanziell in einer ganz anderen Liga spielen, aber die Veranstaltung sehr schätzen und jedes Mal hier viel Spaß haben.
Zusätzlich versuche ich natürlich auch immer eher unbekannten und neuen DJs bei tageins eine Chance und Plattform zu geben. Nicht so interessant sind für mich DJs, die eh jedes Wochenende 2-3 mal hier in der Region auflegen. Natürlich gibt es auch persönliche Zu- und Abneigungen, aber wo ist das nicht so?
6. Würdest Du aus heutiger Sicht den jungen DJ Agent Schwiech dort spielen lassen? Warum (nicht)?
Hmm, vermutlich schon. Wobei ich meine Sets von damals jetzt auch nicht mehr unbedingt hören möchte.
7. Du hast auch bei legendären Freiburger Eventreihen wie Plattenbau und Garage Traxx (zusammen mit Shaddy) unheimlich viel Zeit und Arbeit für die Freiburger Clubkultur investiert. Wie gelang / gelingt der Spagat zwischen kommerzieller Notwendigkeit und idealistischen Motiven?
Das ist eine gute Frage. Unsere Veranstaltungen waren eigentlich alle eher Low-Budget orientiert, so dass sich das finanzielle Risiko meist im Rahmen gehalten hat. In erster Linie haben wir, gerade bei Garage Traxx, immer versucht, befreundete DJs aus anderen Städten mal nach Freiburg zu holen. Dazu gehörten Âme, Gerd Janson, Dplay, Ingo Sänger, um nur mal einige zu nennen, die auch alle keine exorbitanten Gagen aufgerufen haben. So war es uns fast immer möglich, in erster Linie nach dem persönlichen Geschmack gehen zu können.
8. Ein absoluter Höhepunkt der vergangenen zehn Jahre Clubkultur?
Höhepunkte sind für mich regelmäßig die Abende, an denen ich selbst bei tageins auflege, da es mir einfach unheimlich viel Spaß macht, dort zu spielen. Ich kann experimentieren, auch mal andere Platten als sonst üblich ausprobieren und habe das Gefühl, ein sehr offenes Publikum vor mir zu haben.
Sonst waren die gemeinsamen DJ-Nächte mit Shaddy auf dem ZMF und einige Partys im Drifters unvergesslich. Aber auch diverse Auswärtsspiele in Essen, Siegen, Bern und Karlsruhe waren unglaublich schöne Erlebnisse.
Ein wirklicher Höhepunkt ist für mich, wenn ich mal mit meinem Kumpel Dplay zusammen auflegen kann, was leider viel zu selten passiert.
9. Gab es auch schon einen Zeitpunkt, an dem Du am liebsten alles hingeschmissen hättest?
Es gab natürlich schon Momente, in denen das Auflegen überhaupt keinen Spass gemacht hat, da Anlage, Leute und Location total furchtbar waren. Da wäre ich am Liebsten sofort nach Hause gegangen. Aber ganz aufhören? Nein, so weit ist es bisher zum Glück noch nicht gekommen.
10. Ein DJ-Set von Agent Schwiech bedeutet jede Menge ausgewählte Musik und klingt nach hohem Rechercheaufwand. Wie bereitest Du Dich auf einen Gig vor?
Recherche betreibe ich eigentlich jeden Tag, da ich ständig auf der Suche nach neuer Musik und interessanten Songs bin. Auf einer Party versuche ich jedes Mal, den Spagat zwischen eher funktionalen aber trotzdem absolut vertretbaren und anspruchsvollen, herausfordernden und neuen Platten zu finden. Schon Tage vor dem Auflegen kommen mir Platten in den Sinn, die ich an dem Abend spielen möchte und suche sie dann direkt raus und lege sie auf einen bestimmten Stapel. Am Tag der Party verbringe ich dann oft einige Stunden an meinen Plattenspielern, um die Vorauswahl durchzuhören und daraus dann die endgültige Selektion zu treffen. Dabei wähle ich aber eigentlich nur Tunes aus, auf die ich in dem Moment gerade total Lust habe. Ich verfolge dabei keinen bestimmten roten Faden, der ergibt sich immer erst während des Auflegens. Ich brauche die Spontaneität und die Flexibilität, deswegen habe ich auch jedes Mal viel zu viele Platten dabei.
11. Wieviel Nerd steckt dabei in Dir?
Ich glaube viel zu viel.
12. Kann Dir Dein hoher musikalischer Sachverstand auch zum Hindernis in der Vorbereitung werden?
Das ist sicherlich so, da so die Gefahr bestehen könnte, dass man dem Publikum um jeden Preis nur den eigenen Geschmack aufdrücken möchte. Bestimmte Platten möchte man einfach aus idealistischen Gründen nicht auflegen, obwohl man genau weiß, dass man damit in dem Moment den Laden komplett auseinander nehmen würde. Vielleicht steht einem da der eigene Anspruch manchmal zu sehr im Weg. Aber so muss ich auf der anderen Seite kein schlechtes Gefühl und Gewissen haben, da ich mir treu geblieben bin und kein Zeug spiele, mit dem ich mich in keinster Weise identifizieren kann.
13. Eine der grossen Herausforderungen eines DJs ist das Aufrechterhalten der Spannung in einem Set. Wie kann dies gelingen?
Das kann ich ehrlich gesagt gar nicht so genau beantworten, da es von vielen unterschiedlichen Faktoren abhängig ist. Wie fühlt man sich selbst, wie ist die Anlage, wie sind die Leute und ihre Reaktionen auf bestimmte Sachen, und und und. Meines Erachtens gehört auf jeden Fall dazu, nicht nur einen offensichtlichen Hit nach dem anderen zu spielen, sondern einfach auch mal das Tempo rauszunehmen, zu variieren und eventuell die Leute auch einfach mal vor den Kopf zu stossen und sie zu fordern. Meistens habe ich beim Auflegen eine ganz bestimmte Platte vor Augen, die ich in einem bestimmten Moment spielen möchte und versuche dann den besten Weg zu finden, die Platte auch entsprechend effektiv einsetzen zu können. So habe ich in der Regel schon die nächsten vier fünf Songs, die ich spielen möchte, im Kopf.
14. Ein kurzer Blick auf Deine Vinylsammlung: welche Platte(n) haben Dein Leben verändert?
Das sind unfassbar viele und ständig kommen neue dazu. Um nur mal eine herauszupicken, die mich in Sachen House Music ungemein geprägt hat, das ist die KMS 049 von Chez Damier (http://www.discogs.com/Chez-Damier-Untitled/master/4241), die ich sogar dreimal besitze und zum Auflegen fast jedes Mal dabei habe. Als ich die zum ersten Mal gehört habe, war ich sofort süchtig nach diesem Track. Für mich ist das die perfekte Houseplatte! (Danke, Shaddy!)
15. Du beschäftigst Dich auch intensiv mit Dubstep, Disco, Folk / Rock und Jazz. Worin besteht für Dich die Faszination des Jazz?
Vor allem die Freiheit, alles tun und ausprobieren zu können. Ich finde es faszinierend, den Musikern zuzuhören, wie sie aus einem bestimmten Rhythmuskorsett ausbrechen, mit ihren Instrumenten improvisieren, ohne dabei ihre Mitmusiker zu vergessen und sich am Ende alles wieder zusammenfindet. Im Jazz entsteht so viel Energie, die Leidenschaft, Virtuosität und Intensität der Musiker ist förmlich zum Greifen. Jazz ist der Ursprung, der Ausgangspunkt und Auslöser für so vieles andere, in jedem Moment kann etwas völlig unerwartetes geschehen. Es ist einfach spannend, dieser Musik zuzuhören und man dabei noch versucht, sich in die Atmosphäre der damaligen New Yorker Jazzclubs hineinzuversetzen. Jazz erzählt so viele Geschichten und offenbart so stark wie kaum eine andere Musik das Gefühlsleben der Musiker. Einfach faszinierend.
16. Gab es dafür einen Auslöser?
Für die Liebe zum Jazz und generell zur Musik? Die umfangreiche Plattensammlung und das enorme musikalische Wissen meines Vaters und der Klavierunterricht, den ich in meiner Jugend für viele Jahre hatte.
17. Du hast Dich mit dem Projekt „Between The Beats“ in den vergangenen zwei Jahren auch als Veranstalter auf dem Jazz-Parkett erprobt. What’s next?
Ich arbeite gerade hart daran, in dieser Richtung weiterzumachen. Von Between the Beats habe ich mich vor kurzem getrennt und werde nun meinen eigenen Weg gehen. Pläne, Ideen und Konzepte gibt es einige und an der Umsetzung wird im stillen Kämmerlein gerade gearbeitet. Alles Weitere wird man dann schon zur entsprechenden Zeit erfahren.. Erstmal machen, dann darüber reden. So habe ich es schon immer gehalten, vom Gegenteil halte ich nicht so viel.
18. (Weitere) Pläne für Deine musikalische Zukunft?
Auf jeden Fall weiterhin auflegen und die ein oder andere Veranstaltung planen und umsetzen. Alles andere: siehe Frage 17!
Podcast:
Agent Schwiech – Keep It Deep Guest Mix by keep-it-deep
Tracklist:
01. Claro Intelecto – Dependant – Modern Love
02. Ovatow – Phalaenopsis Dub 1 – Frantic Flowers
03. Melchior & Pronsato – Puerto Rican Girls – Smallville
04. Ryo Murakami – Underworld – Baud
05. Vinalog – Somewhere – Relative
06. Third Side – Goddess Of The Night – Restoration
07. Steve O’Sullivan – Touch Up – Mosaic
08. Omar-S – Foe-Show – FXHE
09. A Made Up Sound – Disconnect – Clone Basement Series
10. Sigha – Rawww – Hotflush
11. Falty DL – St. Marks (Cosmin TRG Remix) – Rush Hour
12. Julio Bashmore – Battle For Middle You (Maurice Donovan Dub) – PMR
13. Gowentgone – Love And Respect (Oracy’s Dusty Basement Attempt) – Vidab
14. Sian – Apple Tree (Efdemin Remix) – Aus Music
English (short) version: Freiburg based DJ and promoter Dennis Wiesch a.k.a. Agent Schwiech is a true music enthusiast. He’s been sharing all his glowing passion and joyful verve with an unbreakable energy over the past ten years. I think, the main responsibility that I still go out at night, falls upon him, his outstanding and sophisticated musical taste coupled with his music-storytelling skills when gracing the decks. Therefore, I’m glad and thankful to present a podcast by Agent Schwiech on today’s guest mix edition. It’s a special day, or, weekend to me, as three years ago, keep-it-deep saw the light of day and two years ago, there was the first podcast. Interview and tracklist next week. Enjoy!
Mehr im Web:
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