Ich glaube, es war irgendwann im Herbst des letzten Jahres, als Papst Benedikt der XVI. sich eines Appells seines Vorgängers bediente. “Europa, du darfst deine christlichen Wurzeln nicht vergessen, du darfst Gott nicht vergessen.” Aufrufe und Ermahnungen wie diese hört man auch immer wieder im Bereich der House Musik. Bei aller Offenheit für Veränderungen und Entwicklungen möge man bitte nicht die Wurzeln, die “Roots”, ausser acht lassen. Das können dann Phrasen sein wie “Let’s go back to the raw” und Schlagworte wie “Keep it real” oder auch “Keep it…”. Na ja, ihr wisst schon. Die Produzenten und Sprecher der Preacherman-Vocals bemühen sich dabei, eine gemeinsame Identitätsbasis herzustellen, die Crowd und zahlreiche weitere Produzenten gleichsam auf die reine House-Lehre einzuschwören. Dabei kann es durchaus einmal zu langen Textstellen kommen, wie beispielsweise bei “Black Music” (Frankie Boissy feat. Roland Clark) oder “House Music” (Eddie Amador).
Zurückzukehren zu dem einen wahren Gott und ursprünglichen Sound, anknüpfen an ein ursprüngliches Ideal, soll jedoch nicht gleichzusetzen sein mit einer selbstauferlegten Beschränkung in der Formsprache. Es geht vielmehr um einen spirituellen Hintergrund. Wie immer…
Dieser Geist ist auch aus jedem einzelnen Taktschlag der neuesten Platte auf Deeply Rooted House, dem hochgeschätzten Label von Cyril Étienne alias DJ Deep herauszuhören. Dieser kümmert sich seit eh und je um einen am klassischen US-House orientierten Sound. Jede Menge Kerri Chandler, aber auch Jovonn, Manoo oder K-Alexi finden sich hierauf ein. Das schöne an DJ Deep und Deeply Rooted House: er hält nicht krampfhaft an der Vergangenheit fest. Sein Blick, sowohl als DJ als auch als Labelbetreiber, ist nach vorne gerichtet. Er hat jungen Produzenten wie beispielsweise Fabrizio Ortella eine Plattform geboten, aber auch vertreter eines sehr rohen und doch seelenvollen Techno- und House-Hybriden an sich gebunden, wie ihn Ben Klock oder Mike Dehnert produzieren. Die Entwicklungslinie weist ins Dunkle, in technoide Gefilde- Und von dort heraus führt “Rootstrax”, eine neue Reihe, die den Informationen des Labels zufolge wieder etwas stärker auf klassischen House ausgerichtet sein wird.
So geht “Harlequin” nicht in grenzenlosen Tiefen verloren. Vielmehr kommt man mit diesem Track auf dem House(unter)grund an. Forcierter Rhythmus, knappe, scharfkantige Hi-Hats, honigmilden Synth Pads und eine schüchtern intonierte Tonfolge eines Blechblasinstruments. Könnte auch von Music Station, Freeze, Vibe Music, Happy Soul, Nice n Ripe, Deep Vision, und wie die ganzen Jersey-House-Label alle heissen, stammen, nur ohne Vocals, die dirtydubrubversion also.
Der “Harlequin 808 Dub” ist eine hocherotische Angelegenheit. Der Bass hält sich an der Grenze zum Infrabereich auf, die oben als “schüchtern intoniert” charakterisierte Tonfolge ist kein bisschen frecher geworden – sie erklingt sogar noch zurückhaltender. Dies mag jedoch nur mein ganz persönlicher Eindruck sein. Er rührt von den in tiefen Hallräumen verschwindenden Rim-Shots, dem Echo- bzw. Verzögerungseffekt. Mit diesem Track liesse sich derzeit auch auf bassnäheren Label hausieren gehen.
Bleibt noch “Deep N Raw” – der glasklare Sound bei den Akkorden, atemberaubend, oder? Seidenweiche Streicherflächen, bumpy beats und whompy basslines. Beinahe hätte ich einen Namen ausgeschrieben, dem ich die Arbeit an diesem Klanggewand durchaus zutrauen könnte. Aber das lasse ich für dieses Mal sein. Vielleicht steckt hinter dieser 12″ doch ein ganz neuer, bisher noch nie in Erscheinung getretener Produzent.
English (short) version: DJ Deep and his label Deeply Rooted House did and still do a great job releasing all sort of underground club music that varies from 12″ to 12″. In the label’s very beginning, its focal point was a classy US-oriented sound produced by artists like Jovonn, Kerri Chandler, Manoo or DJ Gregory. Then, step by step, the label moved onwards into the darker side of electronic club music with releases from Ben Klock, Mike Dehnert or Francois X. Now, the basslines and beat patterns remain dark, but there’s a little garagey flair added to the music. Bumpy beats, whompy basslines augmented with warm and envelopping synthesizer sounds. Great!
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